Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Mit dem Leberkäswecken durch die Intensivstation
Lothar Riebsamen spricht beim Funkensonntag der Kressbronner CDU über die Pflege in Deutschland
GATTNAU - In den Schulen für die Pflegeberufe werben zu sollen und der Pflege mehr Vertrauen entgegenzubringen anstatt ihr zu misstrauen, daran hat der Bundestagsabgeordnete und Gesundheitsexperte Lothar Riebsamen beim traditionellen Funkensonntag der Kressbronner CDU in Gattnau appelliert. Themen in der Diskussion im „Rössle“waren gestern unter anderem die Keimgefahr in deutschen Krankenhäusern und die Pflegeheim-Kosten. Im Mittelpunkt von Riebsamens Ausführungen standen freilich die Inhalte des Koalitionsvertrages.
Kressbronns CDU-Vorsitzender Karl Bentele nannte es eingangs „kein Wunder“, dass so viele gekommen waren, schließlich lasse nicht kalt, was derzeit in Berlin passiere. Er hat keine Hoffnung, dass nach der 40-tägigen Fastenzeit dort endlich regiert werde, denn regieren wolle offensichtlich keiner mehr. Benteles Auflage erfüllend, „über alles zu reden und um 12 Uhr fertig zu sein“, machte Lothar Riebsamen eingangs keinen Hehl daraus, dass ihm eine Jamaika-Koalition mit der FDP lieber gewesen wäre. Er bedauerte die Abgabe des Finanzministeriums an die SPD, tröstet sich aber damit, nach 52 Jahren wieder den Wirtschaftsminister zu stellen, sollte es zur Großen Koalition kommen.
Stärken und Schwächen
Riebsamen zitierte aus den 14 Kapiteln im Koalitionsvertrag und nannte daraus Stärken und Schwächen. Zu ersteren zählt er die Themen Zuwanderung, bei denen sich die Union durchgesetzt habe. Da hier auch die SPD-Wähler nicht anders als die der CDU „tickten“, habe man einen Kompromiss mit der Aufnahme von maximal 220 000 Flüchtlingen pro Jahr gefunden. Eine gute Lösung habe man auch beim Familiennachzug gefunden.
Der Abgeordnete lobte die Beibehaltung der privaten Krankenversicherung und die Regelung, dass die Arbeitgeber künftig 50 Prozent der Beiträge bezahlen. Zur von der SPD, den Grünen und Linken in unterschiedlichen Ausführungen gewollten Pflegeversicherung sagte er, eine solche koste den Versicherten mehr Geld und schaffe die privaten Krankenversicherung nicht ab. „Das wäre lediglich „ein Bombengeschäft für die Zusatzversicherungen“.
Nicht einverstanden ist er mit der Einschätzung der Ärztekammer, in der Region gebe es eine Überversorgung mit Landärzten. Denn: Hier werde deren Alter nicht berücksichtigt. In der Pflege scheitere der künftige Anspruch von zwei Monaten Auszeit für pflegende Angehörige oft daran, dass es keine ausreichenden Kurzzeit-Pflegeplätze gebe.
Riebsamen: Ohne Soli fehlen Mittel
Die Ursache dafür, den Solidaritätszuschlag erst ab 2021 für 90 Prozent der Steuerzahler komplett wegfallen zu lassen liege in der finanziellen Ausgangslage. Nachdem im Koalitionsvertrag 45 Milliarden Euro mehr Ausgaben vorgesehen sind, würden bei einem sofortigen Wegfall des Soli in der Bildung, beim Kindergeld, dem Wohnungsbau, im Verkehr, der Landwirtschaft oder der Breitbandförderung Mittel fehlen.
Zum Thema Regierungspersonal weiß Lothar Riebsamen, dass das die Menschen oft mehr bewege als Inhalte. Klar sei: In den nächsten vier Jahren werde es auch personelle Änderungen geben. Allerdings brauche man „keine Kanzlerin auf Abruf“. Schmerzhaft nannte der Abgeordnete die wochenlange Mitgliederbefragung der SPD, denn: Jetzt müsse man in die Gänge kommen.
In der Diskussion meinte ein Teilnehmer: Es mache keine Freude mehr, CDU-Mitglied zu sein, wenn man sehe, wie man sich von dem Partner (SPD) vor sich hertreiben lasse. Riebsamen gab zu bedenken, die Große Koalition sei mangels Alternativen gewollt. Seine Befürchtung: Nach Neuwahlen würde die AfD zweitstärkste Partei werden: „Wir sind in einem klassischen Dilemma.“
Hygiene: Gefahr auch von außen
Die Gefahr, aus deutschen Krankenhäusern wegen der Keimgefahr kränker herauszukommen als man hineingegangen sei, thematisierte ein anderer Teilnehmer. Riebsammen weiß um die Notwendigkeit hin zu mehr Hygiene, erinnerte dabei aber auch an mache Unverantwortlichkeit von außen. So beobachtete der Architekt eines Krankenhauses, wie ein Besucher mit einem Tablett auf die Intensivstation gekommen sei, auf dem er Leberkäswecken transportierte, mit denen er einen Angehörigen verzücken wollte.
Offen sei, an was es liege, dass weltweit nur vier Länder mehr Personal pro 10 000 Einwohner in ihren Krankenhäusern angestellt haben. „Wir bringen’s nicht fertig, das Personal an’s Bett zu bringen“, stellt der Gesundheitsexperte im Deutschen Bundestag fest. Weitere Themen waren die hohen Pflegeheim-Kosten und die Bedeutung der häuslichen Pflege, wobei Riebsamen betonte, „ohne Pflegeheime geht’s nicht“. Erfreulich: In der Demenz-Forschung liege Deutschland auf einer Skala von 1 bis 10 auf Platz 7.
„Was ist falsch gelaufen, dass die AfD so stark wurde?“, fragte ein Diskutant. Und: „Was müssen wir anders machen“? Die Probleme Stück für Stück abarbeiten, empfahl Riebsamen, ehe er in die Kisten mit den Funkenbrezeln griff, um den Funkensonntag-Frühschoppen pünktlich um 12 Uhr zu beenden.