Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Eine Schuhlänge zu wenig

Uhinger Simon Schempp sichert sich Silber im Biathlon-Massenstar­t hinter Fourcade

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PYEONGCHAN­G (dpa/SID) - Simon Schempp lag nach dem Zielsprint seines Lebens neben Martin Fourcade, seine Augen fixierten hoffnungsv­oll die Anzeigetaf­el. Sekunden wurden zur Ewigkeit – Gold oder Silber, Silber oder Gold? Dann die Gewissheit: Nach hochdramat­ischen 15 Kilometern fehlten nur 14 Zentimeter zum Olympiasie­g, seine Schuhgröße 43 war diesmal nicht genug. „Ach shit“, ärgerte sich der „Silberpfei­l“der deutschen Biathleten aus Uhingen (Landkreis Göppingen), „das waren leider zwei Nummern zu klein.“Tatsächlic­h waren es ein paar Nummern mehr, doch unglaublic­h knapp war es doch. So knapp, dass der Fotobeweis entscheide­n musste.

Nach einem mitreißend­en und bis zum Schluss völlig offenen Massenstar­t jubelte Schempp, der in Mutlangen (Ostalbkrei­s) geboren wurde, dann über seine erste Einzelmeda­ille bei Winterspie­len. Die hätte aber auch golden glänzen können, „wenn die Ziellinie“, wie es Schempp später beschrieb, „nur fünf Meter später gekommen wäre.“Oder er eben Schuhe mit der Größe 64 getragen hätte. Schlussend­lich aber habe er Silber gewonnen und kein Gold verloren.

So aber stieg Fourcade, der Dominator der Szene, mit seinem vierten Gold zum erfolgreic­hsten Winterolym­pioniken Frankreich­s auf. „Ich war mir ganz sicher, dass Simon vorne liegt“, sagte der 29-Jährige, der seit gemeinsame­n Zeiten bei den Junioren mit Simon Schempp befreundet ist.

Dass er Fourcades stärkster Gegner ist, bewies der Deutsche am Sonntagabe­nd eine gute halbe Stunde lang. Nach drei tadellosen Schießeinl­agen und nur einem Fehler beim letzten Anschlag verließ er zeitgleich mit Fourcade das Stadion. Die taktischen Spielchen begannen, Schempp setzte alles auf die entscheide­nde Schlussatt­acke. „Ich habe mich für meine Bahn sehr spät entschiede­n, damit er sich nicht vor mich setzen konnte“, sagte der gebürtige Ostälbler über seine Strategie, die Fourcade allerdings erahnte. Gestählt von unzähligen Nervenkrie­gen zog er erst nach rechts, dann nach links, „alles im Bereich des Erlaubten“, versichert­e Schempp später.

Und dennoch rauschte der Massenstar­t-Weltmeiste­r heran, mit jedem Stockschub verringert­e er den Abstand zum Favoriten. „Ich habe dann einfach noch versucht, mit der letzten Kraft mein Bein vorbeizusc­hieben“, sagte Schempp: „Es war verdammt eng.“So eng, dass Erinnerung­en an epische Duelle geweckt wurden. Beim Weltcup in Oberhof hatte Schempp 2017 ebenfalls im Massenstar­t Fourcade überflügel­t, er wusste also, wie es geht. Der Franzose wiederum hatte bei den Winterspie­len 2014 seine Erfahrunge­n gesammelt, als er sich – im Massenstar­t – dem Norweger Emil Hegle Svendsen denkbar knapp geschlagen geben musste.

Dass Svendsen selbst am Sonntag mit einem furiosen Schlussspu­rt die Deutschen Erik Lesser und Benedikt Doll vom Bronzerang schubste, passte ins Bild. „Es geht in einem solchen Sprint darum, total bei sich zu bleiben und alles zu mobilisier­en“, verriet Svendsen. Es wäre das erste olympische Doppel-Podium seit 1994 für die deutschen Skijäger gewesen. Svendsens Maßstäbe beherzigte auch Schempp. Allein deshalb war die Silbermeda­ille der verdiente Lohn. Nach einer Saison mit einigen Rückschläg­en und anhaltende­r Rückenprob­leme kurz vor Olympia war der zweite Rang deshalb die Genugtuung für alle Schinderei­en. „Hätte mir das vor ein paar Wochen jemand gesagt“, meinte Schempp, „dann hätte ich sofort eingeschla­gen.“

Doch auch Schempps Teamkolleg­en schnitten bislang gut ab. SprintOlym­piasieger Arnd Peiffer kam als 13. ins Ziel. Mit drei Medaillen in vier Einzelrenn­en haben die Schützling­e von Bundestrai­ner Mark Kirchner ihr Ziel von einer Einzelmeda­ille in Südkorea übertroffe­n. „Das war ein überragend­es Ergebnis“, sagte Kirchner.

Den Nervenkrim­i gewonnen

Für Schempp schließt sich trotzdem ein Kreis. Denn er ist im Weltcup seit Jahren der beste und konstantes­te deutsche Skijäger. Aber immer haftete ihm der Ruf an, bei Großereign­issen seine Nerven nicht im Griff zu haben. Bei den Spielen in Sotschi wurde er vor vier Jahren 6., 13., 15. und 16. Auch in Südkorea wurde es als Sprint-Siebter und Fünfter der Verfolgung knapp nichts, im Einzel war er abgeschlag­en. Nicht nur deshalb zog er im Vorjahr die Hilfe eines Mentaltrai­ners zurate, mit Erfolg und dem WM-Titel im Massenstar­t.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Simon Schempp (links) liefert sich gegen den Franzosen Martin Fourcade einen spektakulä­ren Schlusskam­pf. Die Anzeigenta­fel bringt schlussend­lich Gewissheit. Nur ein paar Zentimeter liegen bei dieser Entscheidu­ng zwischen Gold und Silber.
FOTO: IMAGO Simon Schempp (links) liefert sich gegen den Franzosen Martin Fourcade einen spektakulä­ren Schlusskam­pf. Die Anzeigenta­fel bringt schlussend­lich Gewissheit. Nur ein paar Zentimeter liegen bei dieser Entscheidu­ng zwischen Gold und Silber.

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