Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Der Fluch der Klingeltön­e

- Von Mark Hildebrand­t

Seit es Mobiltelef­one gibt, ist das Leben für Besitzer derselben hektischer geworden. Das liegt nicht nur an der ständigen Erreichbar­keit, sondern auch an den Klingeltön­en. Hand aufs Herz: Wer stellt schon den Standardkl­ingelton um? Beim iPhone etwa heißt der Standard „Auftakt“– und kein Name könnte passender sein. Denn sobald dieser Standardkl­ingelton erklingt, ist das der Auftakt: Alle Menschen in der Umgebung bleiben stehen.

Hektisch holen sie ihr Telefon aus der Tasche, schauen prüfend auf den Bildschirm. Bis irgendwann irgendwo in der Menge jemand „Hallo“sagt. Und „Schön, dass Du anrufst.“Oder „Du, ich kann jetzt nicht.“Was zur nächsten Beobachtun­g führt: Wer noch nicht prüfenden Blickes auf sein Gerät schauen konnte, tut es trotzdem noch eben, bevor er es wieder wegsteckt, während die Welt sich an anderer Stelle schon wieder weiterdreh­t. Man könnte ja doch etwas Wichtiges verpassen.

Solche Momente währen nur kurz, aber sie offenbaren unsere Abhängigke­it, als wären die Telefone eine Erweiterun­g unserer selbst geworden. Wir suchen Wege mit ihnen und füllen unsere Wissenslüc­ken. Wie heißt der Schauspiel­er noch mal? Was ergibt „21+12“? Wie hoch ist der Mount Everest? Wir wissen nichts mehr selbst – außer, wo wir suchen müssen.

Bei allem Katzenjamm­er: Es gibt auch zivilisato­rische Leistungen, die ohne Internet und Mobiltelef­on nie möglich gewesen wären. All die Tiervideos hätten niemals diese breite Öffentlich­keit erfahren. Es gibt das Video einer Katze im Haikostüm auf einem Staubsauge­rroboter, die von einem watschelnd­en Entenküken verfolgt wird. Wer hätte diesen Beitrag je gesehen?

Insofern, trotz allem: Ein Hoch auf die Mobiltelef­onie.

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