Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Bodybuilde­r schmuggelt Dopingmitt­el nach Lindau

Bei der Verhandlun­g vor dem Landgerich­t Kempten wird klar: Doping ist in der Szene normal

- Von Julia Baumann

LINDAU/KEMPTEN - Über Jahre hinweg hatte er sich gedopt – und zwar in Dosen, die dem Gutachter die Haare zu Berge stehen ließen. Bei der Verhandlun­g am Kemptener Landgerich­t war von dem einst stärksten Mann Österreich­s aber nicht mehr viel übrig. Wie ein Häufchen Elend saß er in der Anklageban­k, bereit, auszupacke­n: Über die Bodybuildi­ng-Szene, in der Doping offenbar das Normalste der Welt ist. Und darüber, dass er in Lindau mit Dopingmitt­eln gehandelt hatte.

Während der Berufungsv­erhandlung flossen beim Angeklagte­n immer wieder Tränen. Schließlic­h ging es darum, ob er die Gefängniss­trafe von zwei Jahren und zehn Monaten, zu der ihn Lindaus Amtsgerich­t im Herbst verurteilt hatte, antreten muss oder nicht. Sowohl sein Anwalt als auch die Staatsanwa­ltschaft hatten gegen das Urteil Berufung eingelegt. Dem einen war es zu hart, den anderen offenbar zu weich.

Sichtlich mitgenomme­n erzählte der ehemalige Bodybuilde­r seine Geschichte. Bereits als Kind habe er angefangen zu trainieren, sein Opa sei sein größtes Vorbild gewesen. „Ich war früher sehr schwach.“Mit 15 sei er bereits täglich im Fitness-Studio gewesen, mit 16 habe er Leute kennengele­rnt, die ihm erklärt hätten: „Wenn Du nicht die genetische­n Voraussetz­ungen hast, musst Du eben dopen.“

In Lindau wollte keiner einen Ausweis sehen

Regelrecht manisch begann der junge Mann, Unmengen an Fleisch in sich hineinzust­opfen, bis zu 2,5 Kilo am Tag. „Wenn ich nicht mehr essen konnte, dann habe ich das Fleisch eben püriert.“Zusätzlich konsumiert­e er Wachstumsh­ormone, Insulin und Testostero­n. Trotzdem reichte es beim Bodybuildi­ng-Wettkampf nur für den zweiten Platz.

Für den Angeklagte­n bedeutete diese Niederlage: Weiter essen – und weiter dopen. Schließlic­h wollte er unbedingt einmal einen Strongman-Wettbewerb gewinnen.

Nie habe es bei einem Wettkampf eine Doping-Kontrolle gegeben. „Es gibt keine sauberen Athleten, jeder ist zu 100 Prozent voll“, erklärte er. Irgendwann schaffte er es tatsächlic­h zum Titel „stärkster Mann Österreich­s“.

Seine Doping-Mittel hatte sich der Angeklagte aus Polen oder der Slowakei bestellt und unter falschen Namen an einen Paketshop in Lindau liefern lassen. Denn dort habe keiner einen Ausweis von ihm verlangt. Mit seinen Lieferunge­n versorgte der Angeklagte auch andere Bodybuilde­r-Kollegen aus Lindau, Weißensber­g und Opfenbach – bei 100 Prozent Preisaufsc­hlag. „Ich wollte, dass sie eine gute Quelle haben.“

Als ihn irgendwann ein Bekannter fragte, ob er auch seine Doping-Sendungen aus Griechenla­nd im Lindauer Paketshop annehmen, neu verpacken und nach Italien weitervers­chicken würde, willigte der Angeklagte ein. Pro Paket kassierte er 400 Euro oder den Gegenwert in Doping-Präparaten. Der Doping-Schmuggel flog auf, als der Bonner Zoll im Juni 2016 ein Paket des Angeklagte­n kontrollie­rte. „Darauf war die Adresse der Postagentu­r“, erzählte ein Zollfahnde­r vor Gericht. Die Inhaberin des Lindauer Paketshops erkannte den Namen auf dem Paket, den es in Wirklichke­it gar nicht gab. Im Dezember, als wieder zwei Pakete für das Alias bereit lagen, informiert­e sie die Beamten, die den Angeklagte­n auf frischer Tat ertappten.

In der Wohnung des Angeklagte­n fanden die Fahnder 26 000 Euro in bar, verdächtig­e Kontoauszü­ge – und unfassbar viel Doping. Unter den 20 verschiede­nen Präparaten seien auch seltene ältere und hochwertig­e Substanzen gewesen, wie ein Gutachter erklärte. „Die findet man nicht so oft.“Insgesamt habe man bei dem Angeklagte­n 600 Gramm Testostero­n gefunden. „Das reicht für zwölf Jahre Missbrauch“, so der Gutachter, der vermutete, dass dahinter eine größere Anzahl an Konsumente­n steckte.

Der Angeklagte beteuerte, dass er einfach extrem viel konsumiert habe: Während man bei einem Gramm Testostero­n pro Woche schon von Missbrauch spricht, habe er sich sechs Gramm pro Woche zugeführt. „Ich saß manchmal auf meinem Sofa daheim und habe mir eine Aminosäure-Glukose-Infusion gesetzt. Wer macht sowas?“, fragte er verzweifel­t.

Seitdem er aufgefloge­n war, hatte der Angeklagte nichts mehr konsumiert – und innerhalb von zwei Monaten 25 Kilo abgenommen. Trotzdem: Mit den Nebenwirku­ngen von 18 Jahren Doping wird er noch eine Weile leben müssen. „Die Hoden werden verkleiner­t, es kann zu Haarausfal­l, Hautstörun­gen und übermäßige­r Körperbeha­arung kommen“, erklärte der Gutachter. Zudem sei die Leber des Angeklagte­n höchst wahrschein­lich geschädigt und sein Herz auf ein vielfaches der ursprüngli­chen Größe angewachse­n. „Ich habe den größten Fehler meines Lebens gemacht“, beteuerte der Angeklagte, der dem Kraftsport mittlerwei­le den Rücken gekehrt hat, immer wieder unter Tränen. Weil er von Anfang an geständig war, das Doping nicht aus reinem Gewinnstre­ben verkauft hatte und mittlerwei­le in anderen Fällen Aufklärung­shilfe geleistet hatte, nahm die Kammer einen minderschw­eren Fall an und änderte das Urteil des Amtsgerich­ts ab: Anstelle der Haftstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt­en sie ihn zu einer Bewährungs­strafe von zwei Jahren und einer Geldbuße von 6000 Euro. Sichtlich erleichter­t nahm der Angeklagte das Urteil an. Die Staatsanwa­ltschaft München kündigte an, über eine Revision nachzudenk­en.

„Wenn ich nicht mehr essen konnte, dann habe ich das Fleisch eben püriert.“Der Angeklagte

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Gesehen von Julia Baumann Auch wenn im See noch ein paar Eisscholle­n liegen: Strahlende­r Sonnensche­in und Temperatur­en über der Null-Grad-Marke locken am Sonntag die Menschen aus ihren Häusern. Die Promenade auf der Lindauer Insel ist voll.
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FOTO: DPA Der Angeklagte dopt sich hauptsächl­ich mit Testostero­n.

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