Schwäbische Zeitung (Tettnang)
In der Höhe liegt die Kraft
In Nauders braucht man sich auch zum Saisonende um Schnee keine Sorgen zu machen
Die Bilder, die Anna Köllemann herauf beschwört, sind grausam: „Von hier aus haben sie die Verurteilten dann zum Richtplatz gebracht, gefoltert und am Ende getötet“, sagt sie und deutet auf zeitgenössische Bilder an der Wand, auf denen alle nur erdenklichen Arten zu sehen sind, wie man Menschen abscheulich vom Leben in den Tod befördern kann. Der Betrachter fröstelt, aber nicht nur weil die Räume ungeheizt sind. Mit „von hier aus“meint sie das Schloss Naudersberg, ein mittelalterlicher Gerichtssitz, den Anna Köllemann und ihr Mann einst vom Land Tirol gekauft und in vielen Jahrzehnten liebevoll zum Museum mit Ferienwohnungen um- und aufgebaut haben. Ein paar 100 Meter weiter in Richtung Scheitel des Reschenpasses stehen im sich weitenden Hochtal keine Galgen und Scheiterhaufen mehr. Wo früher gefoltert wurde, ragt heute weithin sichtbar das moderne Seilbahncenter in die Landschaft, der Einstieg in das Skigebiet von Nauders namens Bergkastel.
Wer hier im Dreiländereck Österreich, Italien und Schweiz auf die Piste geht, ist auf dem Weg von Deutschland her an einigen großen Skiarenen wie zum Beispiel Serfaus/ Fiss/Ladis oder Samnaun/Ischgl vorbeigefahren. Und dann weiter weit nach oben gereist – was einiges für sich hat. Bei 1400 Meter Meereshöhe beginnt das Skigebiet, am höchsten Punkt, dem Gueser Kopf, windet sich der Skifahrer auf 2850 Metern aus dem Bügel eines alten Schleppers und blickt auf einige 3000er-Gipfel wie zum Beispiel die 3739 Meter hohe Weißkugel in den Ötztaler Alpen. In Zeiten des Klimawandels ist diese Höhe Garant für Schneesicherheit. Und der muss noch nicht einmal vom Himmel fallen, die 75 Kilometer Pisten können beschneit werden und für die nötige Kälte garantiert die Höhe.
Die Lage hat noch einen weiteren Vorteil namens Talabfahrt. Was der Wintersportler oft als Abtrieb der Massen auf engen Ziehwegen erlebt, ist hier eine breite, übersichtliche und lange Piste bis hinunter zum Seilbahncenter. Das Tal an sich wäre in Pfunds unten am Reschenpass, aber bis da runter geht keine Piste mehr. Oben bleiben bedeutet denn auch eine gute Schneequalität bis weit ins Frühjahr hinein und Skifahren in einem Gebiet, in dem man sich trotz der vielen Pistenkilometer immer wieder trifft. Sozusagen als Gegenentwurf zu den großen Skiarenen auf dem Weg hierher.
Modernes Seilbahncenter
Bei der Weite und der Höhe ist es leicht, die Gedanken fliegen zu lassen und den Ski frei zu geben. Platz ist genug und die Kapazität der 13 Lifte ausreichend. Und man spürt allenthalben Qualität. Das fängt schon beim Einstieg an. Das Seilbahncenter ist ein knapp zehn Millionen Euro teures Objekt vom Feinsten, ein wuchtiger Funktionsbau, im Bauch ein voluminöses Skidepot mit beheizbaren Schränken, die direkt im Hotel gebucht werden können und mit einer Rolltreppe zum Lift. Im Skigebiet hat es dann Hütten, in denen mit einer Ausnahme auch bedient wird.
Party auf der Stieralm
Eine davon ist zudem sehr speziell – die Stieralm. Bis Anfang der 1970er Jahre hat man hier im Sommer bis zu 70 Zuchtstiere aus ganz Tirol gehütet. Ein Höllenjob, denn so ein ausgewachsener Stier kann auch mal eine knappe Tonne pure Aggression sein. So mancher italienische Zollbeamte musste sich bei Kontrollgängen vor den Hörnern wütender Rindviecher auf Bäume retten, selbst die Hirten flüchteten manchmal gezwungenermaßen vor den Tieren ins Geäst, wobei sie dann aber von oben mit einer Art Lasso den schnaubenden Stier wieder einfangen und besänftigen konnten. Meistens wenigstens. 1972 tötet dann aber ein Stier namens Arno einen Hirten, der sich im Bach gewaschen und dem Tier den Rücken zugewandt hatte. Keine gute Idee.
Dieses Unglück war das Ende der Sommerfrische für Stiere in Nauders, aber auch der Beginn einer neuen Ära. Der ehemalige Stall der Alm, in dem unten die Tiere und oben die Hirten die Nächte verbrachten, wurde renoviert ohne am Charakter der wuchtigen Holzkonstruktion etwas zu verändern. Selbst die uralten Bodenbretter wurden erhalten, lediglich mit einem Hochdruckreiniger abgestrahlt. Dazu kam ein moderner Anbau, der aber den Stil nicht veränderte. Boris Plangger versichert, dass der typische Geruch der Stiere immer noch in der Luft liegt, wenn der Boden nass gereinigt wird. „Dann stallalets“, sagt der Wirt. Ob man das braucht – nun ja, gereinigt wird ja, wenn die Gäste weg sind. Aber die sitzen im März oder April sowieso meist auf der Terrasse in der Sonne und lassen es sich gut gehen. Gekocht wird hier traditionell, aber mit Pfiff und für einen Preis, zum Beispiel für ein Knödeltris (elf Euro), für den man in der nahen Schweiz wohl nicht mal einen Sandwich bekommen würde. Wer hier essen, aber nicht Ski fahren möchte, kann sich auch mit einem Motorschlitten an der Bergbahn abholen lassen.
Aber der würde dann etwas versäumen. Die Pisten locken einfach, und durch die Höhe wird es auch nachmittags nicht besonders sulzig – zumindest bis Mitte März. Doch irgendwann folgt zwangsläufig das Hinunterschwingen ins Tal. Die Sonne scheint friedlich auf die Terrasse des Restaurants in der Talstation. Ein freundliches Bild. Kaum vorstellbar, dass hier einst der Richtplatz war. Aber das ist zum Glück lange her, und das Grauen ins Schlossmuseum verbannt. Gut so.
Das Skigebiet Nauders Bergkastel mit seinen 13 Liften erstreckt sich zwischen 1400 und 2850 Metern und ist bis weit in den April hinein schneesicher. Allgemeine Informationen gibt es bei Nauders Tourismus, Telefon: 0043/50225400, Internet: www.nauders.com Die Recherche wurde unterstützt von Nauders Tourismus.