Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Tote Wilhelmsdorferin: Prozess heute in der Schweiz
Vater muss sich in Frauenfeld auch wegen Schändung und Störung der Totenruhe verantworten – Urteil erwartet
WILHELMSDORF/WAGENHAUSEN Das Bezirksgericht in Frauenfeld verhandelt heute, Freitag, den Fall der im Januar 2016 in Wagenhausen im Kanton Thurgau getöteten Wilhelmsdorferin Vanessa W. Angeklagt ist der Vater der damals 25-jährigen Frau. Die Staatsanwaltschaft Thurgau wirft ihm (eventual-)vorsätzliche Tötung, Schändung und Störung des Totenfriedens vor. Laut Schweizer Strafgesetzbuch droht dem Mann aus Leutkirch im Kreis Ravensburg eine mehrjährige Haftstrafe nicht unter fünf Jahren.
(Eventual-)vorsätzliche Tötung ist ein Begriff aus dem Schweizer Strafrecht und beschreibt einen Sachverhalt, wenn dem Täter ein direkter Vorsatz nicht nachgewiesen werden kann. Der Eventualvorsatz liegt vor, wenn der Täter bei seinem Handeln den Tod als möglich erachtet und ihn in Kauf nimmt.
Eineinhalb Jahre lang ermittelt
Die Tat sorgte im Jahr 2016 für großes Aufsehen in den überregionalen Medien. Deswegen wird heute Morgen zum Verhandlungsstart um 7.45 Uhr auch mit vielen Journalisten im Gerichtssaal gerechnet. In der Region ist die Tat als der „Fall der toten Wilhelmsdorferin“im Gedächtnis geblieben – in der Schweiz spricht man vom „Fall Wagenhausen“. Länger als eineinhalb Jahre ist ermittelt worden, bis schlussendlich im September des vergangenen Jahres Anklage beim Bezirksgericht in Frauenfeld erhoben wurde. Die Staatsanwaltschaft Ravensburg war ebenfalls in die Ermittlungen eingebunden, schlussendlich haben dann aber die Schweizer Behörden übernommen.
„Außergewöhnlicher Todesfall“
Wie die Schwäbische Zeitung mehrfach berichtet hatte, ereignete sich die Tat am 2. Januar 2016 in der Wohnung des Ex-Freundes des Opfers in einem Mehrfamilienhaus in Wagenhausen (Kanton Thurgau). Dort wollte man gemeinsam Silvester feiern und ein paar Tage verbringen. Die Polizei hatte nach einem Notruf die Wohnungstür geöffnet und eine am Boden liegende Frau vorgefunden. Außerdem standen zwei Männer im Raum: der Tatverdächtige und sein Freund.
Schnell habe sich dann der Verdacht auf eine vorsätzliche Tötung erhärtet, sagte der Thurgauer Oberstaatsanwalt Stefan Haffter der SZ. Die Ermittler hatten es mit einem sogenannten „außergewöhnlichen Todesfall“zu tun, wie es damals die Behörden ausdrückten. Beide Männer wurden festgenommen und kamen in vorzeitige Haft. Der Ex-Freund von Vanessa W. wurde aber bereits im Februar 2016 wieder freigelassen. Laut Medienberichten ist er vom Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung freigesprochen worden.
Die Schweizer Boulevard-Zeitung „Blick“schrieb in ihren Artikeln, dass sich das Opfer sowie die beiden Männer in der Mittelalter-Szene bewegten. Man traf sich auf speziellen Mittelalter-Märkten, Ritterturnieren und Konzerten. Und wer das 1700Seelen-Dorf Wagenhausen besucht, der glaubt auch die perfekte Kulisse für diese Szene vorzufinden. Wagenhausen liegt am Hochrhein direkt neben dem malerischen Mittelalterstädchen Stein am Rhein mit seinen engen Gassen, Türmchen und Fachwerkhäusern. Über den beiden Orten thront gut sichtbar eine Burg auf einem Berg, Wagenhausen schmücken aufwendig renovierte Riegelhäuser und eine Propstei. Eine Tat, wie sie dem Angeklagten vorgeworfen wird, passt so überhaupt nicht in die Gegend. Über den Fall spricht aber niemand im Ort. „Das ist kein Thema hier. Da redet niemand, da hört man auch nichts – außer wenn mal wieder was in der Zeitung steht“, sagt die Wirtin des Bistros im Zentrum. „Den hat hier auch niemand gekannt“, sagt sie und meint den ExFreund von Vanessa W., ein Freund ihres Vaters, der damals in Wagenhausen wohnte. Auch im Friseursalon und in der Nachbarschaft des Tatorts schweigt man. Mit den Berichten über die Gerichtsverhandlung wird sich das wieder ändern – genauso wie in Wilhelmsdorf.
Haft in Schweizer Gefängnis
Ihren Vater hat Vanessa W. erst zwei Jahre vor ihrem Tod zum ersten Mal getroffen. Sollte er beim Urteilsspruch heute Abend schuldig gesprochen werden, wird er seine Strafe mit höchster Wahrscheinlichkeit in einem Schweizer Gefängnis im Osten des Landes verbringen. Die Entscheidung darüber trifft das Amt für Justizvollzug des Kantons Thurgau nach einer Verurteilung, heißt es auf Nachfrage der Schwäbischen Zeitung.