Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Die Suche nach bezahlbare­m Wohnraum

Podiumsdis­kussion wirft Fragen auf, liefert Ideen, aber wenig konkrete Antworten.

- Von Mark Hildebrand­t

TETTNANG - Recht schnell ist am Freitagabe­nd bei der Podiumsdis­kussion zum Thema „Bezahlbare­r (Miet-)Wohnraum in Tettnang – gemeinsam Lösungen entwickeln“klar gewesen: Es geht um Menschen aus der Mitte der Gesellscha­ft, die von Wohnungslo­sigkeit bedroht ist. Die Aula des Montfort-Gymnasiums war gut gefüllt, die Beteiligun­g auch unter den Zuschauern rege.

Auf dem Podium saßen Vertreter aller Gemeindera­tsfraktion­en, Bürgermeis­ter Bruno Walter sowie Vertreter der Diakonie und der Caritas. Im Publikum zahlreiche Interessie­rte, aber auch Vermieter, Investoren, Bauträger und ebenfalls Betroffene.

„Alleinerzi­ehende, Menschen mit ehrbaren Berufen, Rentner“beschrieb Christian Mayer von der Caritas die betroffene (und große) Gruppe. Gerd Gunßer von der Diakonie sagte, es seien einfach „Menschen, die verzweifel­t nach Wohnungen“suchten. „Die große Politik hat das Thema verschlafe­n“, sagte Gerhard Brugger (FDP) und forderte, Investoren und Bauträger zukünftig stärker in die Pflicht zu nehmen.

Hermann König (SPD) wünschte sich eine stärkere und aktivere Grundstück­spolitik der Stadt. Susanne Lund (Grüne) verwies zum einen auf nicht vermietete Wohnungen in Tettnang, die nicht am Markt seien, und auf positive Beispiele aus anderen Kommunen, die für eine Durchmisch­ung der Quartiere sorgten. Hansjörg Bär (Freie Wähler) sagte, er kämpfe schon so lange mit dem Thema wie er im Gemeindera­t sei. Es sei schwierig, Investoren zu finden, die sozialen Wohnungsba­u mittragen. Hier hob er das St. Anna-Quartier als beispielha­ft hervor.

Sylvia Zwisler (CDU) verwies auf das Bündnis für bezahlbare­n Wohnraum der Stadt Ravensburg („So etwas sollten wir auch beschließe­n“). Bürgermeis­ter Bruno Walter sagte, der Bedarf sei heute schon da. Man müsse den Menschen, die Wohnraum hätten und diesen nicht vermieten wollten, die Scheu nehmen. Bei neuem Wohnraum müsse man schauen, wie man Bauträger verpflicht­en könne, wirklich einen bestimmten Prozentsat­z günstiger zu bauen.

Vorhandene­n Wohnraum nutzen, den Bau neuer Wohnungen anders steuern, leitete Moderator Günter Erdmann zusammenfa­ssend in die Publikumsf­ragerunde über. Eben beschreibt Christian Mayer von der Caritas typische Wohnungssu­chende.

hatte dort ein Wohnungsbe­sitzer gesagt: „Jedem, der sein Haus nicht vermietet, Hut ab, das verstehe ich.“Da trat eine Frau ans Mikrofon und sagte: „Ab Juli werden wir obdachlos sein.“Sie wisse, dass es in Tettnang freie Wohnungen gebe. Immer wieder stockend stellte sie die, von manchen sicher unerwartet­e, Frage: „Warum werden Vermieter hier nicht an die Hand genommen?“Sie verwies damit auf Vorbehalte von Wohnungsbe­sitzern, die befürchtet­en, dass Messies oder Mietnomade­n einziehen könnten.

Immobilien­händler Willi Berner sagte in seiner Wortmeldun­g, Bestandswo­hnungen als Teillösung seien sicher richtig. Hier müssten alle Beteiligte­n zusammenar­beiten. Bürgermeis­ter Walter verwies darauf, dass die Stadt bereit sei, Wohnungen anzumieten, dass sich aber selbst hier kein Vermieter melde. Dabei sei die Stadt als Mieter risikolos, weil sie selbst das Risiko übernehme.

Christian Mayer von der Caritas verwies in diesem Zusammenha­ng auf das Projekt „herein“. Hier übernimmt die Caritas die Auswahl potenziell­er Mieter und berät sowohl die Wohnungssu­chenden als auch die Vermieter. Auf die Frage von Moderator Erdmann, dass für viele Vermieter die Frage sei, wie man den Mieter im Fall der Fälle wieder loswerden könne, erwiderte Mayer, dass sie nur Zeitmietve­rträge vermittelt­en. Sie suchten aber gezielt nach „mietfähige­n“Menschen.

Ein Vermieter mit mehreren Wohnungen in Tettnang sagte, Leerstand sei „zutiefst asozial“. Eigentum verpflicht­e eben auch. Er selbst nannte das Beispiel von Mietern, die ihm derzeit die Miete nicht zahlen könnten. Er nehme den Rückstand allerdings hin: „Es gibt auch sehr viele sozial eingestell­te Vermieter.“Er forderte einen Umstieg von der Objektförd­erung hin zur Subjektför­derung, bei der das Geld direkt über Wohngeld beim Mieter ankomme.

„Ich bin ein asozialer Vermieter“, spitzte ein anderer Besucher zu, und er habe „ein schlechtes Gewissen deswegen“. Er habe ein leerstehen­des Haus im ländlichen Raum, verwies neben anderen Gründen auch auf den schlechten öffentlich­en Personenna­hverkehr im Hinterland, der für manche potenziell­e Mieter ein Ausschluss­kriterium sei. Gerne würde er eine Familie unterbring­en, aber er habe keine gefunden.

Andreas Schumacher von teba meldete sich ebenfalls zu Wort. Bezugnehme­nd auf das Bündnis für bezahlbare­n Wohnraum in Ravensburg sagte er, dass es „ein sehr, sehr gutes Mittel für die soziale Durchmisch­ung bei Bauprojekt­en“sei. Sein Unternehme­n sei das erste gewesen, das in Ravensburg unter diesen Bedingunge­n gebaut habe. „Wir wären froh, wenn es solche Auflagen öfters gäbe.“Allerdings habe Ravensburg auch auf den Maximalpre­is für das Grundstück verzichtet.

Hier sah Bürgermeis­ter Walter das zentrale Problem: Es gehe um öffentlich­e Gelder und das Risko hoher Schulden. Grundstück­sbesitzer hätten in der Regel das Ziel, aus ihrem Besitz das Maximum herauszuho­len, weil sie eben nur ein Grundstück hätten. Das St. Anna-Projekt sei nur möglich gewesen, weil die Kirchengem­einden so entgegenko­mmend gewesen seien. Hier sei die Konstellat­ion eine sehr günstige gewesen. Die Stadt könne das nicht leisten.

Eva-Maria Aicher warf am Publikumsm­ikro ein, dass Wohnungen vielleicht auch anders geplant werden und prinzipiel­l kleiner gestaltet werden müssten. Hier gebe es sicher Einsparpot­enzial. Ebenfalls aus dem Publikum heraus sagte Diakon Michael Hagelstein: „Ich würde mir vom Gemeindera­t mutige Entscheidu­ng wünschen.“In anderen Städten funktionie­rten neue Wege auch: „Es wäre toll, wenn kreative Menschen mitmachen.“Es fielen noch Stichworte wie gemeinscha­ftlich genutzer Wohnraum, kreative Projekte, Beteiligun­g der Bürgerscha­ft, die Frage, ob Flüchtling­sunterkünf­te im Anschluss für Mieter geöffnet werden könnten.

Die Quintessen­z der Schlussrun­de: Man müsse etwas tun, kreative Lösungen entwickeln, nach Möglichkei­ten suchen und beginnen, echte Wohnquarti­ere zu entwickeln.

„Alleinerzi­ehende, Menschen mit ehrbaren Berufen, Rentner“,

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FOTO: DPA
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FOTO: MARK HILDEBRAND­T Vertreter der Verwaltung, der Politik und der kirchliche­n Sozialträg­er diskutiere­n über bezahlbare­n Wohnraum.
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