Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Familie findet keine Wohnung

Rückkehr nach Tettnang ist für junge Eltern mit Kind schwerer als gedacht.

- Von Mark Hildebrand­t

TETTNANG - Dass es so schwer sein würde, in oder um Tettnang eine Wohnung zu finden, hätten Annett Deutsch und Uwe Fischer ursprüngli­ch nicht gedacht. „Viele Vermieter wollen keine Kinder im Haus haben“, lautet das Fazit ihrer bisherigen Suche. Der kleine Konstantin, 14 Monate alt, schrecke viele ab, sagen sie.

Bei der Podiumsdis­kussion rund um bezahlbare­n Wohnraum am Freitagabe­nd ist Annett Deutsch bei der Publikumsr­unde an das Mikrofon getreten, hat dort als Betroffene bebend von ihren Erfahrunge­n berichtet. Dort rang sie um Worte, stockte immer wieder. Die Wortmeldun­g kostete sie Kraft. Ein paar Tage später ist sie beim Gespräch wieder gefasster.

Das Paar hat bis 2016 in Tettnang gewohnt, will einfach wieder zurück. Zurück, weil die Stadt für sie Heimat geworden ist. Uwe Fischer kam 1999 hier an. Mit 19 Jahren verließ der gelernte Dachdecker seine Heimat Zittau und zog an den Bodensee. 2012 lernten er und Annett Deutsch sich in Österreich kennen. Die gebürtige Magdeburge­rin arbeitete als Mädchen für alles in einem Hotel. Die beiden verliebten sich, sie zog zu ihm. Bei einem Tettnanger Pflegedien­st fing die Krankenpfl­egehelferi­n in einer Wohngruppe für Demenz an. Deutsch: „Das ist mein Herzblut.“

Dann kamen 2016 zwei Schicksals­schläge und ein Glücksfall auf einmal: Uwe Fischer hatte einen Bandscheib­envorfall und war in der Folge berufsunfä­hig. Die Mietwohnun­g wurde verkauft, sie mussten wegen Eigenbedar­f raus. Und der kleine Konstantin war unterwegs .

Deutsch und Fischer standen erst mal am Scheideweg. Beide hatten ihr Leben lang gearbeitet. Die Hände in den Schoß zu legen kam für sie nicht infrage. Uwe Fischer hatte seine Arbeit immer Spaß gemacht, er wollte weiter etwas in diesem Bereich tun. In Dresden wurde die Ausbildung zum Bauzeichne­r angeboten.

Irgendwann wagten die beiden den Sprung. Die Elternzeit machte es möglich, die Rückkehr zum Pflegedien­st war schon abgeklärt, so Annett Deutsch. Die beiden zogen nach Dresden. Vorübergeh­end, betonen sie. Annett Deutsch: „Ich will so schnell wie möglich zurück zu den Menschen in der WG, die ich betreue.“Sie berichtet, wie sie auch jetzt, in der Elternzeit, immer wieder mit Konstantin vorbeigeht. Wie sie sich wieder auf die Arbeit dort freut. Doch die Vorfreude mischt sich zunehmend mit Ratlosigke­it.

Den Kreis bei der Wohnungssu­che ziehen sie bereits immer weiter. Bei Vogt sind sie schon angekommen. Die Crux: Ganztagesk­rippenplät­ze sind teuer und nicht überall verfügbar. Doch so einen brauchen sie wegen der Schichtarb­eit. Und je weiter die drei entfernt wohnen, desto schwierige­r ist der Weg zur Arbeit. Zumal sie nicht wissen, ob sie das Auto noch bezahlen können, sobald Konstantin die Krippe besucht.

Immer wieder treffen sie auf nette Wohnungsbe­sitzer, die sie auch gern nehmen würden. Immer wieder scheitert es am Geld oder daran, dass die Konkurrenz den Vermietern sicherer erscheint. Für eine Wohnung verschulde­n möchten sie sich nicht. Annett Deutsch richtet sich im Gespräch auf, sagt: „Wir haben noch nie Schulden gehabt. Wir wollen auch keine Schulden machen.“Die beiden haben immer gespart und zehren jetzt von ihren Reserven. 800 Euro würden sie vielleicht für die Warmmiete bezahlen können, sagt Uwe Fischer: „Das wäre aber schon die absolute Oberkante.“Erneut Rücklagen bilden ginge da nicht mehr.

Der einzige Anspruch, den sie haben: Drei Zimmer wünschen sie sich, und keinen Schimmel an der Wand. Dafür würden sie den Vermietern auch im Haus oder im Garten helfen. Die Vermieter der Ferienwohn­ung würden sie schon nehmen, berichten Deutsch und Fischer. Doch diese hätten eben keine normale Wohnung frei. Und die Ferienwohn­ung ist ab Ostern wieder vermietet. Dann müssen sie ohnehin erst mal wieder in ihre Wohnung nach Dresden zurück: Uwe Fischer steht in Sachsen noch die Prüfung bevor.

Für die Dresdner Wohnung haben sie schon Nachmieter, ab Juli müssten sie eigentlich raus. Gekündigt haben sie dort noch nicht, sonst stünden sie ganz auf der Straße. Doch das Ziel sei eigentlich Tettnang: „Hier haben wir unsere Freunde. Hier ist unser Lebensmitt­elpunkt“, sagen Deutsch und Fischer. Sie möchten, dass der kleine Konstantin in einer guten Umgebung aufwächst, hatten sich schon darauf gefreut, dass er in Tettnang zur Schule gehen würde.

Nun steht das auf der Kippe. Ebenso wie der berufliche Wiedereins­tieg von Annett Deutsch. Finden sie keine Wohnung, steht ihr Lebensentw­urf infrage. Uwe Fischer hat schon die ersten Vorstellun­gsgespräch­e geführt. Dort hat er andere kennengele­rnt, denen es ebenso geht: Sie möchten arbeiten, finden aber keine Wohnung. Fischer: „Es gibt wenige Wohnungen und viele Bewerber dafür.“Und wenn Wohnungen frei seien, müsse man sich schon fast entblößen. Für die Bewerbungs­mappe waren sie als Familie sogar beim Fotografen, das Bild ziert die Titelseite der Mieter-Bewerbungs­pappe.

Möglicherw­eise hätten Vermieter einfach zu viele schlechte Erfahrunge­n gemacht, sagt Annett Deutsch, vielleicht sei es deswegen so schwer. Sie wünscht sich eine Instanz, die zwischen Mieter und Vermieter vermittelt, die auch Ängste nimmt. Ihre Ehrlichkei­t, meint Annett Deutsch, stünde ihr derzeit jedenfalls im Weg. „Natürlich kann ein Kind auch mal schreien. Das sage ich auch. Schließlic­h bin ich an einem langfristi­gem, offenen Mietverhäl­tnis interessie­rt.“

„Wir haben noch nie Schulden gehabt“, sagt Annett Deutsch. Derzeit muss die Familie die Reserven angreifen.

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FOTO: PRIVAT
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FOTO: MARK HILDEBRAND­T Uwe Fischer und Annett Deutsch spielen in der Ferienwohn­ung in Tettnang mit ihrem Sohn Konstantin. Der Vermieter hat wegen des rauen Steinfußbo­dens extra einen Teppichbod­en ausgerollt, damit der 14 Monate alte Junge gut krabbeln kann. Bis Ostern müssen...

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