Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Kehre mit kritischem Weltbild zurück“
Sabrina Gessler aus Tettnang verbringt ihr freiwilliges soziales Jahr in Tansania.
TETTNANG - Das Kigamboni Community Centre (KCC) wurde 2007 gegründet und ist ein Zentrum für Kinder und Jugendliche in Kigamboni, einem Stadtteil von Dar es Salaam an der Ostküste von Tansania. Mit dem Ziel, Armut durch soziale und wirtschaftliche Entwicklung zu bekämpfen, bietet das KCC seitdem kostenlose Schulbildung an. Die vielfältigen Talente von Kindern und Jugendlichen aus der Region werden mit unterschiedlichen Freizeit-Projekten gefördert, um ihre Chancen auf ein selbstständiges Leben zu erhöhen. Sabrina Gessler aus Tettnang ist seit August dort. Sie gibt Unterricht und betreut Kinder in einem Waisenhaus. Im Gespräch mit Helen Belz spricht sie über ihre Erfahrungen, neue Freundschaften und Akrobatik.
Wie bist du zu dem Projekt gekommen?
Ich habe 2017 Abitur gemacht und für mich war klar, dass ich noch nicht gleich mit studieren anfangen will. Ich wollte auf jeden Fall ins Ausland, wobei mich der Bereich der Entwicklungszusammenarbeit schon immer interessiert hat. Ich habe mich dann informiert und vom Weltwärts-Dienst des Bundesministerium für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit gehört. Weltwärts ist ein entwicklungspolitischer Freiwilligendienst, bei dem man sich auf verschiedene Projekte bewerben kann. Durch Recherche bin ich auf das Projekt KCC gestoßen und habe mich, da mich Ostafrika ohnehin interessierte, für Tansania beworben. Ich wurde angenommen und hatte zwei Wochen Vorbereitungskurse, in denen ich gelernt habe, was auf mich zukommt und wie man Kinder unterrichtet. Insgesamt bin ich acht Monate hier, im April muss ich wieder nach Hause fliegen.
Was zählt zu deinen Aufgaben?
Mein Projekt ist das KCC, das Kigamboni Community Center. Ich unterrichte dort Englisch, Deutsch, Sport und „Peer Education", was Themen wie HIV oder Frauenrechte beinhaltet. Mein Wohnort ist das sogenannte Shelter. Das ist ein Nebenprojekt von KCC, ein kleines Waisenhaus für Straßenkinder. Außer mir leben dort noch 16 Jungs zwischen sechs und 18 Jahren. Ein Mal im Monat fährt einer aus dem KCC und einer aus dem Shelter nachts zu den Plätzen in Dar Es Salaam, wo Straßenkinder schlafen und stellt sich ihnen vor. So kommt man an die Kinder und Jugendlichen heran und versucht, sie von der Straße weg zu holen. Vormittags gehen die Kinder in die Schule und verbringen dann ihren Nachmittag im KCC. Das Shelter ist wie eine große Familie hier, jeder kümmert sich um jeden, die Älteren bringen auch die Jüngeren ins Bett. Sie lernen, wie es ist, in einer Gemeinschaft zu leben und müssen sich auch an bestimmte Regeln halten.
Was für Freizeit-Aktivitäten gibt es?
Grundsätzlich geht das KCC davon aus, dass jeder Jugendliche ein Talent hat. Und genau das soll nachmittags von fünf bis halb sieben gefördert werden. Da gibt es zum Beispiel Musik-Klassen, Theater-Klassen, Handarbeitskurse und auch eine Akrobatik-Gruppe. Zwar gibt es Lehrer, jedoch bringt jeder der etwas kann, es den anderen bei. Ich biete zum Beispiel auch Tischtennis an. Die Jugendlichen werden so von der Straße geholt und entwickeln einen richtigen Ehrgeiz, besser in ihrem Talent zu werden. Die Akrobaten machen auch regelmäßig Shows und verdienen so ein bisschen Geld für das KCC. Alle zwei Jahre dürfen die acht besten Akrobaten sogar für verschiedene Auftritte nach Deutschland, das ist ein riesiges Abenteuer für die Jugendlichen, die davor noch nie irgendwo anders als in ihrer Heimatstadt waren.
Wie sieht denn dein Alltag aus?
Ich stehe meistens um sieben Uhr morgens auf, zumal es danach ohnehin viel zu heiß ist, um länger zu schlafen. Tagsüber hat es 35 bis 40 Grad, es ist wirklich sehr tropisch hier. Jetzt beginnt aber die Regenzeit, das heißt es kühlt etwas ab. Nach der Regenzeit hat es dann ungefähr 30 Grad, es wird also etwas angenehmer. Nach dem Aufstehen arbeite ich tagsüber im KCC, gebe Unterricht und bin bei den Aktivitäten dabei. Abends verbringe ich meistens noch Zeit mit den Jungs im Shelter, helfe bei den Hausaufgaben, unterrichte Englisch oder wir spielen etwas, bis alle ins Bett gehen.
Das ist zumindest temperaturmäßig ganz anders als in Deutschland. Gibt es denn noch mehr Unterschiede?
Die tansanische Kultur ist schon sehr gegensätzlich zu der deutschen. Kigamboni ist sehr dörflich und teilweise auch sehr arm. Aber Kigamboni ist ja nur ein Stadtteil von Dar es Salaam und die Stadt ist so unglaublich vielseitig, dass man gar nicht nur von einer Kultur sprechen kann. In Kigamboni geht es noch sehr traditionell zu, in Dar es Salaam gibt es aber auch Stadtteile, die mit einer europäischen Großstadt vergleichbar sind. Der Kontrast zwischen Armut und Wohlstand ist aber überall sehr präsent. Insgesamt geht es hier aber langsamer zu, viele Dinge gehen ruhiger voran als in Deutschland. Am Anfang kam mir Deutschland viel effizienter vor, vieles erscheint hier chaotisch. Es ist aber einfach eine andere Herangehensweise. Die Menschen sind alle unglaublich offen und hilfsbereit, was es mir vor allem am Anfang auch leichter gemacht hat.
Was nimmst du von dort mit?
Für mich ist das hier nicht so, dass ich nur ein Hilfsprojekt unterstütze. Es ist nicht so, dass ich als Deutsche hierher komme und etwas verbessern möchte. Sondern es ist beidseitig, ich nehme unglaublich viel mit. Ich habe hier selbst wahrscheinlich mehr gelernt, als ich den Jugendlichen beibringen konnte. Ich glaube jeder, der einen Weltwärts-Dienst macht, kehrt mit einem weiteren Horizont und mit einem liberaleren, kritischeren Weltbild nach Hause zurück. Einfach weil man durch den kulturellen Austausch lernt, Dinge zu überdenken, zu hinterfragen und dass unser westliches Weltbild vielleicht nicht immer das optimale ist. Auch wenn der Anfang durch diese komplett andere Kultur schwer war, würde ich mich sofort wieder bewerben. Ich bin inzwischen selbst überrascht, wie wohl ich mich in dieser Umgebung fühle. Und das, obwohl es hier wenig Luxus gibt. Keine Dusche, keine Küche oder ein Badezimmer. Klar freue ich mich darauf, wenn ich das alles Zuhause wieder habe. Aber ich brauche es eben nicht zum Leben. Die Erfahrung, mit wie wenig man leben kann und wie glücklich man auch so sein kann, ist wirklich wertvoll.
Du bist nicht mehr lange dort. Bist du traurig oder freust du dich auch auf Zuhause?
Ich glaube, der Abschied wird sehr schwer. Ich habe mich hier sehr gut eingelebt und im Shelter habe ich fast schon sowas wie meine eigene Familie. Ich fühle mich in Kigamboni wirklich wohl und habe viele Freunde gefunden. Ich versuche gerade noch, den Abschied zu verdrängen, indem ich im März nochmals viele Projekte angefangen habe. Wir streichen zum Beispiel gerade das Shelter und reparieren das Dach, damit es in der Regenzeit dicht ist. Aber natürlich freue ich mich auch auf meine Familie und Freunde in Tettnang.