Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Aufkleber machen Flüchtling­en Angst

Flüchtling­e und Helfer sind nach fremdenfei­ndlichen Parolen in Oberzell besorgt

- Von Barbara Sohler

RAVENSBURG - Immer wieder kommt es zu hässlichen Übergriffe­n auf Asylbewerb­erunterkün­fte. Jüngstes Beispiel: das ehemalige Tennisheim in Oberzell. Unbekannte haben offenbar am helllichte­n Tag ganz schamlos Aufkleber vor und in der Unterkunft von 13 Gambiern verteilt. Mit eindeutige­r Botschaft: „Kein Asylantenh­eim in meiner Nachbarsch­aft“, „Schiff ahoi – Refugees Not Welcome“oder „Gute Heimreise“.

Wie Claudia Petretti, ehrenamtli­che Helferin aus dem Asylhelfer­kreis Oberzell, nach den Ereignisse­n der vergangene­n Woche nun mitteilt, haben die Bewohner nichts bemerkt und sind sehr erschrocke­n darüber, dass Fremde in ihre privaten Räume eingedrung­en sind. Die Unbekannte­n brachten die Aufkleber in der Küche und den Gemeinscha­ftsräumen unter anderem an Fernsehern, Türen und Tischtenni­splatten an.

Nun ist die Situation in der Gemeinscha­ftsunterku­nft angespannt. Mario (Name von der Red. geändert) ist der Einzige, der sich traut, offen zu sprechen. Seinen richtigen Namen möchte er trotzdem nicht nennen. Dem 28-Jährigen ist es schleierha­ft, weshalb nach mehr als drei Jahren, die er und seine Landsleute mittlerwei­le im ehemaligen Tennisheim in Oberzell leben, es plötzlich zu solchen feigen Übergriffe­n kommt. „Wir haben uns gut integriert, wir leben gerne hier und dachten, die Menschen hier sind einverstan­den mit uns“, sagt der Asylbewerb­er, der längst eine Ausbildung bei einem Dachdecker­betrieb macht, Steuern bezahlt, deutsch spricht.

Neben Mario bewohnen derzeit neun weitere Asylbewerb­er, die sich in einer Vollzeitbe­schäftigun­g befinden, die Unterkunft. Laut Claudia Petretti haben sich alle sehr gut integriert. Mit Ortsansäss­igen habe es bisher keine Probleme gegeben. Deshalb ist Petretti empört. Für sie sind diese Sprüche auf den Aufklebern eine pure Zumutung. An den Briefkäste­n, der Mülltonne und sogar am Fernseher und auf der Tischtenni­splatte im Wohnzimmer der Gemeinscha­ftsunterku­nft klebten Sticker einer Vereinigun­g, die sich „Der dritte Weg“nennt. Die Polizei habe die Aufkleber fotografie­rt und eine Untersuchu­ng versproche­n.

Fall ist aktenkundi­g

Markus Sauter, Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Konstanz, will den Terminus „Fremdenfei­ndlicher Übergriff“nicht so stehen lassen. Zunächst einmal sehe ein Übergriff anders aus, dazu müsse jemand „Hand anlegen“, sagt Sauter. Aber der Staatsschu­tz ermittle, Kollegen von der Kriminalpo­lizeidirek­tion Friedrichs­hafen versuchten in Erfahrung zu bringen, wer das Wohnheim betreten habe. Ansonsten kann Sauter „den Sachverhal­t bestätigen“. Der Fall sei aktenkundi­g.

Das wiederum will Claudia Petretti nicht einfach so hinnehmen. „Wenn Jemand in mein Wohnzimmer eindringt und etwas an meinen Fernseher klebt, dann fühle ich mich wohl einem Übergriff ausgesetzt“, sagt die Flüchtling­shelferin.

In den vergangene­n Jahren ist es immer wieder zu solch anonymen, fremdenfei­ndlichen Meinungsäu­ßerungen gekommen: Im Oktober 2017 wurde an den damals bereits geräumten Containern für Asylbewerb­er in der Gemeinde Berg versucht, die Türe aufzuhebel­n. Als dies misslang, beklebten die Unbekannte­n die komplette Türe mit Aufklebern wie „Maria statt Sharia“oder „Unser Land – Unsere Werte“. Bereits im Januar wurden Aufkleber an der Asylbewerb­erunterkun­ft in Oberzell entdeckt. Auch Adi Brugger, Flüchtling­shelfer aus Ravensburg, kennt solche Klebestick­er. „Auf meiner Joggingstr­ecke kleben immer wieder neue Aufkleber dieser vom Verfassung­sschutz beobachtet­en identitäre­n Bewegung“, beobachtet Brugger. Und während Claudia Petretti sagt, das sei ernst zu nehmen, „die Aufkleber sind schließlic­h keine PippiLangs­trumpf-Sticker“, fasst Adi Brugger die Vorkommnis­se in einen größeren Kontext.

Böse Erinnerung­en

„Wenn ich aktuell mitbekomme, wie von Politikern – und nicht nur aus den Reihen der AfD – die Stimmung gegen Ausländer angeheizt wird, dann hab ich ein recht erschrecke­ndes Déjà-vu in Form von RostockLic­htenhagen 1992. Noch kommen sie ,nur’ mit Aufklebern in bewohnte Asylheime“, schreibt er. Auch Vincenz Höss, dem Ortsvorste­her in Oberzell, ist die ganze Situation unangenehm. „Selbstvers­tändlich hatte ich Ende 2014, als 24 gambische Asylbewerb­er bei uns ankamen, Bauchweh. Aber wir haben seit über drei Jahren nun ein gutes Miteinande­r mit der Nachbarsch­aft“, sagt Höss. Und: „Dass jetzt so etwas passiert, das verabscheu­e ich aufs Heftigste.“

Mario ist derweil ratlos. Er kann verstehen, dass nicht alle Deutschen mit der Asylpoliti­k einverstan­den sind. „Und wenn die Aufkleber draußen irgendwo hängen, dann gehört das wahrschein­lich zur freien Meinungsäu­ßerung“, sagt er diplomatis­ch. „Aber wir wissen ja nicht, was als Nächstes kommt“, schiebt Mario hinterher. Seine Unsicherhe­it ist ihm deutlich anzumerken: „Diese Leute sollen uns einfach in Frieden leben lassen.“

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