Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Aufkleber machen Flüchtlingen Angst
Flüchtlinge und Helfer sind nach fremdenfeindlichen Parolen in Oberzell besorgt
RAVENSBURG - Immer wieder kommt es zu hässlichen Übergriffen auf Asylbewerberunterkünfte. Jüngstes Beispiel: das ehemalige Tennisheim in Oberzell. Unbekannte haben offenbar am helllichten Tag ganz schamlos Aufkleber vor und in der Unterkunft von 13 Gambiern verteilt. Mit eindeutiger Botschaft: „Kein Asylantenheim in meiner Nachbarschaft“, „Schiff ahoi – Refugees Not Welcome“oder „Gute Heimreise“.
Wie Claudia Petretti, ehrenamtliche Helferin aus dem Asylhelferkreis Oberzell, nach den Ereignissen der vergangenen Woche nun mitteilt, haben die Bewohner nichts bemerkt und sind sehr erschrocken darüber, dass Fremde in ihre privaten Räume eingedrungen sind. Die Unbekannten brachten die Aufkleber in der Küche und den Gemeinschaftsräumen unter anderem an Fernsehern, Türen und Tischtennisplatten an.
Nun ist die Situation in der Gemeinschaftsunterkunft angespannt. Mario (Name von der Red. geändert) ist der Einzige, der sich traut, offen zu sprechen. Seinen richtigen Namen möchte er trotzdem nicht nennen. Dem 28-Jährigen ist es schleierhaft, weshalb nach mehr als drei Jahren, die er und seine Landsleute mittlerweile im ehemaligen Tennisheim in Oberzell leben, es plötzlich zu solchen feigen Übergriffen kommt. „Wir haben uns gut integriert, wir leben gerne hier und dachten, die Menschen hier sind einverstanden mit uns“, sagt der Asylbewerber, der längst eine Ausbildung bei einem Dachdeckerbetrieb macht, Steuern bezahlt, deutsch spricht.
Neben Mario bewohnen derzeit neun weitere Asylbewerber, die sich in einer Vollzeitbeschäftigung befinden, die Unterkunft. Laut Claudia Petretti haben sich alle sehr gut integriert. Mit Ortsansässigen habe es bisher keine Probleme gegeben. Deshalb ist Petretti empört. Für sie sind diese Sprüche auf den Aufklebern eine pure Zumutung. An den Briefkästen, der Mülltonne und sogar am Fernseher und auf der Tischtennisplatte im Wohnzimmer der Gemeinschaftsunterkunft klebten Sticker einer Vereinigung, die sich „Der dritte Weg“nennt. Die Polizei habe die Aufkleber fotografiert und eine Untersuchung versprochen.
Fall ist aktenkundig
Markus Sauter, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Konstanz, will den Terminus „Fremdenfeindlicher Übergriff“nicht so stehen lassen. Zunächst einmal sehe ein Übergriff anders aus, dazu müsse jemand „Hand anlegen“, sagt Sauter. Aber der Staatsschutz ermittle, Kollegen von der Kriminalpolizeidirektion Friedrichshafen versuchten in Erfahrung zu bringen, wer das Wohnheim betreten habe. Ansonsten kann Sauter „den Sachverhalt bestätigen“. Der Fall sei aktenkundig.
Das wiederum will Claudia Petretti nicht einfach so hinnehmen. „Wenn Jemand in mein Wohnzimmer eindringt und etwas an meinen Fernseher klebt, dann fühle ich mich wohl einem Übergriff ausgesetzt“, sagt die Flüchtlingshelferin.
In den vergangenen Jahren ist es immer wieder zu solch anonymen, fremdenfeindlichen Meinungsäußerungen gekommen: Im Oktober 2017 wurde an den damals bereits geräumten Containern für Asylbewerber in der Gemeinde Berg versucht, die Türe aufzuhebeln. Als dies misslang, beklebten die Unbekannten die komplette Türe mit Aufklebern wie „Maria statt Sharia“oder „Unser Land – Unsere Werte“. Bereits im Januar wurden Aufkleber an der Asylbewerberunterkunft in Oberzell entdeckt. Auch Adi Brugger, Flüchtlingshelfer aus Ravensburg, kennt solche Klebesticker. „Auf meiner Joggingstrecke kleben immer wieder neue Aufkleber dieser vom Verfassungsschutz beobachteten identitären Bewegung“, beobachtet Brugger. Und während Claudia Petretti sagt, das sei ernst zu nehmen, „die Aufkleber sind schließlich keine PippiLangstrumpf-Sticker“, fasst Adi Brugger die Vorkommnisse in einen größeren Kontext.
Böse Erinnerungen
„Wenn ich aktuell mitbekomme, wie von Politikern – und nicht nur aus den Reihen der AfD – die Stimmung gegen Ausländer angeheizt wird, dann hab ich ein recht erschreckendes Déjà-vu in Form von RostockLichtenhagen 1992. Noch kommen sie ,nur’ mit Aufklebern in bewohnte Asylheime“, schreibt er. Auch Vincenz Höss, dem Ortsvorsteher in Oberzell, ist die ganze Situation unangenehm. „Selbstverständlich hatte ich Ende 2014, als 24 gambische Asylbewerber bei uns ankamen, Bauchweh. Aber wir haben seit über drei Jahren nun ein gutes Miteinander mit der Nachbarschaft“, sagt Höss. Und: „Dass jetzt so etwas passiert, das verabscheue ich aufs Heftigste.“
Mario ist derweil ratlos. Er kann verstehen, dass nicht alle Deutschen mit der Asylpolitik einverstanden sind. „Und wenn die Aufkleber draußen irgendwo hängen, dann gehört das wahrscheinlich zur freien Meinungsäußerung“, sagt er diplomatisch. „Aber wir wissen ja nicht, was als Nächstes kommt“, schiebt Mario hinterher. Seine Unsicherheit ist ihm deutlich anzumerken: „Diese Leute sollen uns einfach in Frieden leben lassen.“