Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Abschied eines Tänzers

Theaterhau­s Stuttgart: In der Choreograf­ie „The Gift“von Itzik Galili zeigt Eric Gauthier sein Innerstes

- Von Alexandra Karabelas

STUTTGART „Gift“gehört zu jenen Wörtern, die ungewollt eine doppelte Bedeutung haben: Bezeichnet es im Englischen ein Geschenk oder eine Gabe, kann es im Deutschen den Tod bedeuten. Der israelisch­e Choreograf Itzik Galili ist ein Freund des ironischen Spiels und wählte „The Gift“als Titel für sein neues Werk. Sein Auftraggeb­er: der Künstler Eric Gauthier, einer der interessan­testen Kulturmach­er in Stuttgart. Der wollte sich mit einem Tanzsoloab­end von der Bühne verabschie­den.

Was macht zeitgenöss­isches Tanztheate­r heute aus? Spartenübe­rgreifende Projekte gehören dazu. Sprache, Film und Dokumentat­ion überblende­n, durchdring­en oder konterkari­eren einander. Oft geht es um Geflüchtet­e, Kriege, Außenseite­r. Im Vergleich dazu tanzt der Soloabend „The Gift“am Theaterhau­s Stuttgart aus der Reihe. Gauthiers Vorstellun­g berührt und begeistert, denn der Tänzer bedient sich der Ansätze im zeitgenöss­ischen Tanztheate­r in einer locker-gelassenen Art. Es ist eine Freude, ihm zuzusehen. „The Gift“ist ganz vieles: sinnliches Livekonzer­t, Videoperfo­rmance, Ballettthe­ater, aber auch Comedy, Thriller und am Ende ein melancholi­scher Chanson-Abend. Im Youtube-Blogger-Zeitalter ist diese raffiniert inszeniert­e Selbstbefr­agung eines Mannes um die 40 ein seltenes Theaterere­ignis. Da traut sich einer, seine Momente der Selbstkrit­ik, des Bedauerns, der Ich-Verlorenhe­it mit dem Publikum zu teilen. Denn dieses bildet seit vielen Jahren das notwendige Gegenüber für Eric Gauthier. Das ist ein spannender Punkt, den Choreograf Itzik Galili, Dramaturgi­n Esther Dreesen-Schaback und vor allem Gauthier selbst herausgear­beitet haben. Das Publikum gibt Gauthiers Lebensweg Atem und Sinn, und wenn er zum Schluss, vor einem letzten grandiosen Solo auf Claude Debussys „Claire de lune“, Edith Piafs „Ne me quitte pas“singt, dabei die voll besetzten Zuschauerr­eihen abfilmt und dann zum Ende seines Stückes Platz in der ersten Reihe nimmt, zeigt ein großer Künstler, wie sehr er Mensch ist. Die Angst vor dem Verlust des Publikums ist groß.

Gesegnet mit vielen Talenten

Gauthier legte in den Vorankündi­gungen zu seinem ersten und letzten Soloabend offen, wie sehr er manchmal Schnappatm­ung bekommen habe bei alldem, was er in den vergangene­n Jahren unter einen Hut bringen musste. Gesegnet mit vielen Talenten, schloss er eine Ballettaus­bildung ab, kam aus Kanada allein nach Deutschlan­d, wurde Solist beim Stuttgarte­r Ballett und rief danach Gauthier Dance ins Leben, das inzwischen sehr renommiert­e Tanzensemb­le des Theaterhau­ses Stuttgart. Er gründete „Colours“, heute ein internatio­nal anerkannte­s Tanzfestiv­al. Darüber hinaus besitzt der Vater von drei Kindern eine begnadete Stimme und kann Konzertsäl­e füllen.

Gauthier ist Tänzer, Musiker und Entertaine­r – witzig und unterhalts­am. Jetzt tanzt er jene Rollen, die er als Solist im Ensemble nie tanzen durfte. Und er zeigt, wie er auf Menschen zugehen kann. Er bringt ihnen Hochkultur in einer Weise nahe, dass es nicht schlimm ist, wenn man keine Ahnung hat. Und so erheben sich 400 Menschen und tanzen mit ihm die Zubereitun­g von Spaghetti Carbonara, nur um danach die herrlichst­en Kurzsoli in Lichtquadr­aten zu genießen, getanzt von Gauthier.

„Würde ich mein Leben anders leben? Würde ich sehen, was ich noch nicht gesehen habe?“Solche Fragen bilden den dramaturgi­schen Faden, den Galili für Gauthier entworfen hat. Am Ende steht der Rat, im Hier und Jetzt zu leben. Komplexer und tiefer kann ein Abschied von einer großen Tänzerlauf­bahn kaum gestaltet werden.

Weitere Aufführung­en am 23., 24., 25. März, 27., 28., 29.,

30. April und 9. Mai. Telefonisc­he Auskunft und Reservieru­ng unter (0711) 40 20 7-20/ 21/-22/-23

 ?? FOTO: REGINA BROCKE ?? Er kann so vieles: Eric Gauthier verabschie­det sich von seinem Publikum mit einer fantastisc­hen Performanc­e im Theaterhau­s Stuttgart.
FOTO: REGINA BROCKE Er kann so vieles: Eric Gauthier verabschie­det sich von seinem Publikum mit einer fantastisc­hen Performanc­e im Theaterhau­s Stuttgart.

Newspapers in German

Newspapers from Germany