Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wie der Krieg finanziert wurde

Jürgen Kilian beschreibt die Rolle des Finanzmini­steriums im Nationalso­zialismus

- Von Reinhold Mann

Die Forschungs­literatur zum Nationalso­zialismus schreitet seit Jahren mit dicken Büchern voran, die einzelne Ministerie­n untersuche­n. Auf das Außen(2010) und das Justizmini­sterium (2016) folgt nun eines über das Finanzmini­sterium. Solche Darstellun­gen werten umfangreic­he Quellenbes­tände aus, eine Leistung, die nicht in eine starke Breitenwir­kung umschlägt. In der Öffentlich­keit sorgen eher Bücher für Zündstoff, die eine starke These haben, auch wenn diese auf einer begrenzten oder zielgerich­tet vorsortier­ten Auswahl an Quellen beruht. Das war bislang auch beim Thema Finanzen der Fall.

Das neue Buch des Historiker­s Jürgen Kilian heißt: „Krieg auf Kosten anderer“. Der Titel klingt merkwürdig. Als wären Kriege eigentlich uneigennüt­zige Veranstalt­ungen. Was Kilian meint, erschließt sich zum Schluss. Mehr Orientieru­ng bietet sein Untertitel: „Das Reichsmini­sterium für Finanzen und die wirtschaft­liche Mobilisier­ung Europas für den Krieg“.

Die Behörde, der diese 500 Seiten starke Beschreibu­ng gilt, war bislang weniger erforscht als andere Ministerie­n. Ihr Aktenbesta­nd ist erst nach 1990 komplett verfügbar geworden. Zuvor war er zwischen West und Ost geteilt, ein Viertel lag in Ost-Berlin. Zusammen sind es 980 Regalmeter.

NS-Herrschaft etabliert sich

Kilian verfolgt interne Entwicklun­gen des Reichsfina­nzminister­iums, er benennt die verantwort­lichen Personen, zeigt, welche Voraussetz­ungen aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg gegeben waren (Staatsvers­chuldung, Mangelwirt­schaft, fehlende Devisen und Rohstoffe), mit wem das Haus seine Interessen gegenüber mächtigere­n Ressorts durchsetzt­e (mit Hermann Göring), welche Zäsuren eintraten und so fort. Das Buch vollzieht also nach, wie sich die nationalso­zialistisc­he Herrschaft ausbildete. Es beschreibt nicht ein System, das den Eindruck vermitteln könnte, alles sei durchgepla­nt und vom ersten Tag an da gewesen.

Was man liest, ist daher nicht nur inhaltlich der neueste Stand der Dinge, sondern auch methodisch. Dieser Hinweis ist eigentlich überflüssi­g, weil man von einer wissenscha­ftlichen Darstellun­g genau das erwartet. Er wird in diesem Fall aber wichtig. Denn Kilians systematis­che Aufarbeitu­ng kommt zu Ergebnisse­n, die einer anderen Darstellun­g widersprec­hen, die dezidiert nichtsyste­matisch angelegt ist und in der Öffentlich­keit viel Beachtung gefunden hat: das Buch „Hitlers Volksstaat“von Götz Aly, 2006 erschienen. Seine Thesen hatte Aly, von Hause aus Soziologe und Journalist, der so eigenständ­ig wie eigenwilli­g historisch­e und politikwis­senschaftl­iche Felder bewirtscha­ftet, schon 2005 im „Spiegel“vorgestell­t, unter dem knackigen Titel „Wohlfühl-Diktatur“.

Aly vertritt die Auffassung, dass die besetzten Länder ausgeplünd­ert wurden, um die „Volksgenos­sen“daheim bei Laune zu halten. Damit das Narrativ der „Wohlfühl-Diktatur“funktionie­rt, setzt er die Summen des europaweit Erbeuteten und Erpressten weitaus höher an, als das Wirtschaft­shistorike­r taten, die zur deutschen wie zur alliierten Kriegsökon­omie geforscht hatten.

Finanzsyst­em erforscht

Alys Fragestell­ung nach den erbeuteten Finanzmitt­eln der Nationalso­zialisten spielt für Kilians Buch eine große Rolle, das sieht man schon am Konzept. Kilian erforscht in drei von vier Kapiteln, wie das Finanzsyst­em während des Krieges und für den Krieg organisier­t war. Und wie die Ausbeutung der eroberten Länder jeweils finanztech­nisch funktionie­rte: im „Experiment­ierfall des Protektora­ts Böhmen und Mähren“, in Dänemark, Norwegen und den Niederland­en, dann in Belgien und Frankreich, in Südosteuro­pa und schließlic­h in Russland. Ein Kapitel behandelt die „Verwertung“jüdischen Vermögens.

Mit seinen Ergebnisse­n widerspric­ht Kilian nun Aly in zweifacher Hinsicht: Was aus den besetzten Ländern herausgepr­esst wurde, landete nicht „im privaten Konsum im Großdeutsc­hen Reich“. Es finanziert­e den Krieg. Die besetzten Länder kamen von 1939 bis 1945 für ein Drittel der Kriegskost­en auf. Daher der Buchtitel: „Krieg auf Kosten anderer“. Zwei Drittel wurden aus dem Inland finanziert, aus Steuern, Abgaben, staatliche­n Monopolen und Krediten.

Jürgen Kilian: Krieg auf Kosten anderer, de Gruyter, Berlin 2017, 494 Seiten, 49,95 Euro.

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