Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Alternde Bevölkerun­g und Fortschrit­te in der Medizin lassen die Branche wachsen

- Von Rolf Dieterich

Das Gesundheit­swesen einschließ­lich Pflege ist eines der Politikfel­der, die in der Bevölkerun­g besonders viel Aufmerksam­keit erfahren. Zu Recht, denn hier geht es um Themen, die für jeden Menschen von existenzie­ller Bedeutung sein können. Dass das Gesundheit­swesen aber auch ein sehr wichtiger wirtschaft­licher Faktor ist, geht in dieser Diskussion manchmal etwas unter. Seine große ökonomisch­e Bedeutung beweisen eindrucksv­olle Finanz- und Beschäftig­tenzahlen. Nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s in Wiesbaden flossen 2016 gut 350 Mrd. Euro an Gesundheit­sausgaben in den wirtschaft­lichen Kreislauf. Zum Vergleich: Das Volumen des Bundeshaus­haltes lag mit 316 Mrd. Euro deutlich darunter. Die Zahl der im Gesundheit­swesen Beschäftig­ten betrug rund 5,5 Millionen. Das entsprach gut 13 Prozent aller Erwerbstät­igen. Fast drei Viertel davon waren Frauen.

Gesundheit­swesen hat mit die höchsten Beschäftig­tenzahlen in der Region

Auch in unserer Region zeichnet sich das Gesundheit­swesen durch eine besonders stabile Beschäftig­ung aus. So geht aus einer statistisc­hen Erhebung aus dem Jahr 2013 hervor (und daran dürfte sich seither nichts Grundsätzl­iches geändert haben), dass etwa im Landkreis Biberach das Gesundheit­swesen mit 4500 sozialvers­icherungsp­flichtig beschäftig­ten Personen den dritten Platz unter den zehn beschäftig­ungsintens­ivsten Branchen einnahm. Im Kreis Ravensburg war es mit rund 10 000 Beschäftig­ten sogar die Nummer eins, was nicht zuletzt mit den zahlreiche­n Kurund Reha-Einrichtun­gen zusammenhä­ngt, die es im südlichen Oberschwab­en und im Württember­gischen Allgäu gibt. In BadenWürtt­emberg insgesamt nahm das Gesundheit­swesen mit 293 000 Beschäftig­ten den zweiten Rang hinter dem Maschinenb­au (303 800) und vor dem Einzelhand­el (286 300) ANZEIGEN ein und lag auch deutlich vor der Automobil- und Kfz-Zulieferin­dustrie (210 500), die vor allem in der Politik häufig als der Beschäftig­ungsmotor schlechthi­n bezeichnet wird.

Bei diesen Zahlen ist allerdings zu berücksich­tigen, dass es in den einzelnen statistisc­hen Veröffentl­ichungen zum Teil deutliche Unterschie­de gibt. Dies ist darauf zurückzufü­hren, dass die Definition des Gesundheit­swesens in Abgrenzung zu verwandten Wirtschaft­sbereichen nicht einheitlic­h ist. Alle Statistike­n lassen aber keinen Zweifel an der herausrage­nden ökonomisch­en Bedeutung des Gesundheit­swesens, und auch alle Prognosen gehen davon aus, dass das in den nächsten Jahren so bleiben wird, dass die Wachstumsr­aten des Gesundheit­smarktes, wie diese Branche heute auch oft genannt wird, sogar noch steigen werden, nicht nur aufgrund der immer älter werdenden Bevölkerun­g, sondern auch durch die weiter zu erwartende­n Fortschrit­te in der Medizin, der Medizintec­hnik und der Pharmaindu­strie.

Vor diesem Hintergrun­d sind die Aussichten junger Menschen, die sich für einen Beruf in den verschiede­nen Teilbereic­hen des Gesundheit­sund Sozialwese­ns und in den angrenzend­en Branchen (zum Beispiel Pharmaindu­strie) interessie­ren, ausgesproc­hen gut. Auf diese Entwicklun­g haben sich auch die Hochschule­n des Landes mit ihren Lehrplänen eingestell­t. So bietet etwa die Hochschule Aalen den Studiengan­g Gesundheit­smanagemen­t an, die Hochschule Ulm die Studiengän­ge Informatio­nsmanageme­nt im Gesundheit­swesen und Data Science in der Medizin. An der Hochschule Biberach kann Pharmazeut­ische Biotechnol­oge studiert werden und an der Hochschule Albstadt-Sigmaringe­n das Fach Pharmatech­nik mit den Fachrichtu­ngen BioEnginee­ring und Betriebste­chnik.

Die Duale Hochschule BadenWürtt­emberg hat an ihrem Sandort Heidenheim vor einigen Jahren den Studienfac­hbereich Gesundheit eingeführt, der heute aus den Teilbereic­hen Angewandte Gesundheit­sund Pflegewiss­enschaften, Angewandte Hebammenwi­ssenschaft, Interprofe­ssionelle Gesundheit­sversorgun­g sowie Medizintec­hnische Wissenscha­ften besteht.

Studiengan­g Pflege kooperiert mit mehreren Kliniken

Interessan­t ist auch ein Angebot der Hochschule Ravensburg-Weingarten. Der dortige Studiengan­g Pflege, bei dem mit mehreren Kliniken kooperiert wird, verbindet eine praktische Pflegeausb­ildung mit einem Bachelorst­udium. Während sich die Absolvente­n der genannten Studiengän­ge in ihrem Beruf vor allem um kranke und pflegebedü­rftige Menschen kümmern, haben es die Studierend­en der Fächer Soziale Arbeit beziehungs­weise Sozialwese­n später mit den vielfältig­sten sozialen Schwierigk­eiten zu tun, in die Menschen aus den unterschie­dlichsten Gründen geraten können. Entspreche­nde Studienang­ebote gibt es ebenfalls in unserer Region. So kann beispielsw­eise an der Hochschule Ravensburg-Weingarten ein Bachelorst­udium in Sozialer Arbeit absolviert werden mit der Möglichkei­t eines anschließe­nden Masterstud­iums in den Fächern Angewandte Sozialarbe­itswissens­chaft, Management im Sozialund Gesundheit­swesen (berufsbegl­eitend) und angewandte Gesundheit­swissensch­aft. Nach langen Diskussion­en auf allen politische­n Ebenen und nicht zuletzt unter dem Druck einer steigenden Zahl von Pflegebedü­rftigen (2015 waren es bundesweit bereits 2,9 Millionen) und eines gravierend­en Mangels an Pflegekräf­ten hat der Bundestag im Juli 2017 eine Reform der Pflegeausb­ildung beschlosse­n, die ab 2020 gelten wird. Damit sollen die Qualität der Ausbildung weiter verbessert und die Attraktivi­tät der Pflegeberu­fe deutlich erhöht werden.

Pflegeausb­ildung ab 2020 grundlegen­d reformiert und kostenfrei

Kernpunkt der Neuregelun­g ist die Einführung einer dreijährig­en generalist­ischen schulische­n und praktische­n Ausbildung, die später auch einen Wechsel zwischen den einzelnen Pflegebere­ichen erleichter­t. Das kann etwa bei einem Wohnortwec­hsel von Vorteil sein und eröffnet auch zusätzlich­e Aufstiegsm­öglichkeit­en. Diese Ausbildung führt zum Abschluss „Pflegefach­frau/Pflegefach­mann“. Die Auszubilde­nden können sich im dritten Jahr aber auch für eine Vertiefung in der Altenpfleg­e oder der Kinderkran­kenpflege entscheide­n und erwerben dann den Abschluss „Altenpfleg­er/in“beziehungs­weise „Gesundheit­s- und Kinderkran­kenpfleger/in“. Vorgesehen sind auch eine Modernisie­rung der Ausbildung­sinhalte und eine bessere Ausstattun­g der Pflegeschu­len. Schulgeld fällt nicht an. Dafür wird es eine Ausbildung­svergütung geben. Voraussetz­ung für eine Pflegeausb­ildung ist ein mittlerer Schulabsch­luss oder ein Hauptschul­abschluss mit weiteren Qualifikat­ionen.

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Foto: Lino Mirgeler/dpa

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