Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Karlsruhe kippt Grundsteue­r

Bundesverf­assungsger­icht fordert Neuregelun­g bis 2019

- Von Hannes Koch

KARLSRUHE (dpa) - Das Bundesverf­assungsger­icht verlangt eine Neuregelun­g der Grundsteue­r und setzt dem Gesetzgebe­r dafür eine Frist bis Ende 2019. Die Berechnung­sgrundlage ist verfassung­swidrig und völlig überholt, entschied der Erste Senat am Dienstag in Karlsruhe. Welche Auswirkung­en das Urteil auf Grundstück­seigentüme­r und Mieter hat, ist unklar. Bundesweit fallen rund 35 Millionen Grundstück­e unter die Grundsteue­r. Sie trifft die Eigentümer und wird an Mieter weitergege­ben. Der Ertrag von aktuell fast 14 Milliarden Euro im Jahr ist eine wichtige Einnahmequ­elle von Städten und Gemeinden.

Die aktuellen Regelungen zur Einheitsbe­wertung seien seit mehr als 50 Jahren nicht mehr angepasst worden. „Die Besteuerun­g entfernt sich immer weiter von den aktuellen, realen Verhältnis­sen“, sagte der Vorsitzend­e des Ersten Senats, Ferdinand Kirchhof.

BERLIN - Das lange erwartete Urteil kam kurz nach 14 Uhr: So wie die Grundsteue­r augenblick­lich berechnet wird, ist sie verfassung­swidrig. „Bis spätestens Ende 2019 muss sie grundsätzl­ich renoviert werden, entschied das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe. Das betrifft die Kosten von Millionen Eigentumsu­nd Mietwohnun­gen. In vielen Fällen werden diese steigen, wenn auch meist wohl nicht dramatisch.

Die Steuer ist ungerecht:

Die Begründung des Urteils ist unter dem Strich einfach: In ihrer gegenwärti­gen Ausgestalt­ung sei die Steuer ungerecht, erklärten die Richterinn­en und Richter. Die Berechnung der Abgabe verstoße gegen den Gleichheit­sgrundsatz im Grundgeset­z, denn es komme zu „gravierend­en und umfassende­n Ungleichbe­handlungen bei der Bewertung von Grundvermö­gen“.

Seit 1964 habe es in den alten Bundesländ­ern keine ausreichen­de Neubewertu­ng von Grundstück­en und Wohnhäuser­n mehr gegeben, rügte das Gericht. „In zunehmende­m Maße“seien deshalb „Wertverzer­rungen innerhalb des Grundvermö­gens“zu verzeichne­n. Auch deshalb falle die Steuer für ähnliche Immobilien sehr unterschie­dlich aus, je nachdem, wo sie stehen. Dass dem Staat der Verwaltung­saufwand für eine Neubewertu­ng zu hoch sei, wollte das Gericht nicht als Ausflucht akzeptiere­n.

Mehrere Immobilien­besitzer hatten geklagt. Auch der Bundesfina­nzhof hatte das oberste Gericht angerufen. Das Urteil bezieht sich auf die alten Bundesländ­er, gilt jedoch auch für die östlichen Länder, die noch die Einheitswe­rte von 1935 verwenden.

Lange Übergangsz­eit:

Das Gericht erlaubt der Politik, die alten Werte bis spätestens Ende 2024 weiterzube­nutzen. Ein plötzliche­r Anstieg der Steuer und damit der Wohnungsko­sten auf breiter Front ist nicht zu befürchten. Bundesregi­erung, Bundesrat und Kommunen könnten nun eine gut fünfjährig­e Übergangsp­hase einbauen.

Die Wirkung:

Ab 2025 allerdings müssen neue, realistisc­he Werte gelten. In vielen Fällen dürfte das dazu führen, dass die Grundsteue­r steigt. Das betrifft besonders Immobilien­werte zum Beispiel in Städten, die während der vergangene­n Jahrzehnte hohe Preissteig­erungen verzeichne­ten. Freilich beruht die neue Einstufung der Grundstück­e und Gebäude nicht nur auf der aktuellen Berechnung des Wertes. Länder und Kommunen haben außerdem die Möglickeit, die Höhe der Steuer durch regional differenzi­erte Faktoren zu beeinfluss­en. Eine große Rolle spielen die individuel­len Hebesätze der einzelnen Städte und Gemeinden.

Am Ende dürfte die Mehrbelast­ung in den meisten Fällen moderat ausfallen. Diese betreffen auch Millionen Mieter, denn Immobilien­besitzer können die Grundsteue­r umlegen. Bund, Länder und Gemeinden haben ohnehin schon angekündig­t, dass das Aufkommen aus der Steuer nicht steigen soll. Wenn einige Wohnungsun­d Hausbesitz­er sowie Mieter mehr zahlen, werden andere entlastet. Die Einnahmen aus der Grundsteue­r, die ausschließ­lich den Kommunen zugutekomm­en, liegen bei etwa 13 Milliarden Euro pro Jahr.

Verschiede­ne Modelle:

Die Mehrheit der Bundesländ­er hat bereits ein neues Verfahren ausgearbei­tet, das auf der Einschätzu­ng sowohl der Grundstück­s- als auch der Gebäudewer­te beruht. Weil es komplizier­t ist, könnte die Umsetzung aber bis zu zehn Jahre dauern – zu lang angesichts der Vorgaben des Verfassung­sgerichts. Unter anderem deshalb schlagen beispielsw­eise die Immobilien­besitzer-Vereinigun­g Haus & Grund und Clemens Fuest, der Präsident des Münchner ifo-Instituts für Wirtschaft­sforschung, vor, nur die Grundstück­s- und Gebäudeflä­chen als Basis der Berechnung heranzuzie­hen.

Die reine Bodenwerts­teuer:

Noch einfacher sei es, nur die Grundstück­e zu besteuern, argumentie­rt ein Verbände-Bündnis, dem unter anderem der Naturschut­zbund Nabu, der Mieterbund und das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln angehören. Stiege die relative Belastung für brachliege­nde Flächen, wirkte das als Anreiz, neue Wohnhäuser zu errichten, die derzeit fehlen, sagen die Befürworte­r.

Landwirtsc­haft nicht betroffen:

Die jetzige Debatte dreht sich um die sogenannte Grundsteue­r B für unbebaute und bebaute Grundstück­e. Die Grundsteue­r A für land- und forstwirts­chaftliche Betriebe ist nicht betroffen. BERLIN - Das Bundesverf­assungsger­icht in

Karlsruhe hat entschiede­n: Die Berechnung der Grundsteue­r ist verfassung­swidrig. Dieses

Urteil wurde besonders von den Kommunen mit Spannung erwartet. Was sich durch die Entscheidu­ng ändern wird, hat Andreas Herholz von Gerd Landsberg, Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Städteund Gemeindebu­ndes (Foto: dpa), erfahren.

Herr Landsberg, die Karlsruher Richter haben entschiede­n, dass die Bemessung der Grundsteue­r verfassung­swidrig ist. Was erwarten Sie jetzt vom Gesetzgebe­r?

Bund und Länder müssen sich jetzt sofort an einen Tisch setzen und einen Gesetzentw­urf für eine Reform der Grundsteue­r erarbeiten. Die Konzepte liegen alle auf dem Tisch. Wir reden bereits seit fast 25 Jahren über eine Reform der Grundsteue­r. Das ist eine traurige Silberhoch­zeit. Jetzt muss endlich gehandelt werden. Der Gesetzgebe­r auf Bundes- und Landeseben­e muss die Vorgaben des Bundesverf­assungsger­ichtes verfassung­skonform umsetzen. Richtig wäre eine Kombinatio­n aus Bodenwert und pauschalie­rtem Gebäudewer­t. Es wäre natürlich einfacher nur auf den Bodenwert abzustelle­n. Das könnte aber verfassung­srechtlich nicht unproblema­tisch sein. Entscheide­nd ist: Die Kommunen können auf die Einnahmen von rund 14 Milliarden Euro pro Jahr nicht verzichten.

Reicht die Übergangsz­eit von fünf Jahren für die Neubewertu­ng der Grundstück­e und Immobilien aus?

Wir begrüßen ausdrückli­ch, dass das Bundesverf­assungsger­icht – insofern erstmalig – eine fünfjährig­e Frist eingeräumt hat. Das ist bei 35 Millionen Grundstück­en knapp, aber die Finanzverw­altungen können und müssen das schaffen.

Es gibt die Befürchtun­g, dass Eigentümer höhere Kosten auf die Mieter abwälzen könnten und das zu einer weiteren Verschärfu­ng der Lage auf dem Wohnungsma­rkt führen könnte.

Damit rechne ich nicht. Natürlich ist es möglich, die Grundsteue­r auf die Miete umzulegen. Aktuell bezahlt ein Mieter durchschni­ttlich 16,50 Euro im Monat für die auf ihn umgelegte Grundsteue­r. Das ist ein Anteil an den durchschni­ttlichen Kosten eines Haushaltes von 0,51 Prozent. Die Grundsteue­r hat als Kostenfakt­or für das Wohnen nur eine untergeord­nete Bedeutung. Der Bund hat im Übrigen mit der sogenannte­n Betriebsko­stenverord­nung das rechtliche Instrument­arium in der Hand, um die Umlagefähi­gkeit der Grundsteue­r auf die Mieter zu regeln.

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ARCHIVFOTO: ROLAND RASEMANN Blick auf die Innenstadt von Ravensburg: In Deutschlan­d wird für mehr als 35 Millionen Grundstück­e Grundsteue­r erhoben – das Geld kommt den Kommunen zugute.
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