Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Der vergessene Literat

Geburtstag des Tettnanger Schriftste­llers Arnold Ulitz jährt sich heute zum 130. Mal

- Von Julius Bretzel

TETTNANG - An Arnold Ulitz erinnert heute nur noch der Name eines kleinen Weges zwischen Friedhofst­raße und Moosstraße. Einige Wohnhäuser stehen dort, befahrbar ist der Arnold-Ulitz-Weg nur von der Friedhofst­raße aus. Man könnte ihn glatt übersehen, wüsste man nicht, dass er da ist. Und doch ist sein Namensgebe­r, ein späterer Wahl-Tettnanger, eine literarisc­he Größe gewesen, wurde zeitweise sogar mit Kafka, Döblin und Hesse in einem Atemzug genannt. Doch der Schriftste­ller ist nahezu in Vergessenh­eit geraten. Heute jährt sich sein Geburtstag zum 130. Mal.

Arnold Ulitz wird am 11. April 1888 im schlesisch­en Breslau geboren. Sein Vater ist Eisenbahnb­eamter, seine Mutter kommt vom Bodensee, aus Bodnegg. Nach dem Studium der Germanisti­k und neueren Sprachen wird er 1913 Lehrer an einer höheren Schule in Breslau. Zu dieser Zeit beginnt auch sein schriftste­llerisches Schaffen. In seinen ersten Texten verarbeite­t Ulitz hauptsächl­ich Kriegserle­bnisse in Russland kritisch, verurteile­nd und vorausblic­kend. Die Veröffentl­ichung der ersten Novellensa­mmlung „Die vergessene Wohnung“1915 wird ein Erfolg, der Debütroman „Ararat“fünf Jahre später sein Durchbruch. Dieser spielt in der russischen Revolution, zur Zeit des Mordens und der Zerstörung. Ein Paar versucht abseits dieser Wirklichke­it ein neues Leben zu führen, wird jedoch von dem Auftauchen eines verwehten Revolution­ärs gestört. Biblischer Mythos und Geschichte des Ersten Weltkriege­s vermischen sich dabei im Roman.

Zwei Brüche im Leben

Der Autor bedient sich einer Sprache, die in ihrer Genauigkei­t und treffenden Formulieru­ng höchste Qualität erreicht, und beherrscht „Radfahrerk­unststücke auf der Sprache“, um es mit Ulitz’ eigenen Worten zu beschreibe­n. Der junge Dichter erlangt mit seinen großen Romanen schnell einen Ruf als europaweit angesehene­r Schriftste­ller. Ulitz gilt als ein „Wortführer der expression­istischen Bewegung“, wie ihn Werner Mahrholz 1930 in seiner Übersicht „Deutsche Literatur der Gegenwart“betitelt hat. In der Epoche des Expression­ismus, Anfang des vergangene­n Jahrhunder­ts, wurden Erlebnisse und innere Eindrücke durch ausdruckss­tarke Bilder dargestell­t. Häufig standen dabei Verfall, Krieg, Angst und Vereinsamu­ng im Mittelpunk­t. Die Künstler verwendete­n dafür eine sehr dichte, struktur- und bildreiche Sprache.

Dass er heute so gut wie vergessen ist, ist zwei großen Brüchen in der Lebensgesc­hichte des Dichters zuzuschrei­ben. Der erste Umbruch geschah 1933. Ulitz musste seine Arbeit aufgeben. Nach der Machtergre­ifung Hitlers war er für den Schuldiens­t untragbar geworden. Seine Gedichte und Erzählunge­n waren den Nationalso­zialisten ein Dorn im Auge und manches Werk kam auf die Liste der verbotenen Bücher. Hinzu kommt, dass der Expression­ismus bereits aus der Mode war. Der Schriftste­ller verließ seine bisherigen expression­istischen Wege und vollzog einen Stilwechse­l. Dabei mied er politisch verfänglic­he Themen und konnte so als freischaff­ender Schriftste­ller weiterschr­eiben. Seine Texte erzählten nun vermehrt Lebensgesc­hichten, verarbeite­n historisch­e Stoffe wie das Leben des Autors Daniel Defoe. Dieser Art der Vermeidung von Problemen mit den Nationalso­zialisten brachte Ulitz später jedoch auch Kritik ein.

Den zweiten Einschnitt in die Biografie stellt das Jahr 1945 dar, als im Zuge des Kriegsende­s das deutschspr­achige Schlesien zerfiel. Ulitz verlor damit einen Großteil seiner Leserschaf­t und musste selbst ebenfalls auswandern. Mit seiner Frau zog er in die Gegend, aus der die Mutter stammte - nach Tettnang.

Spaziergän­ge um Mitternach­t

Seiner Tätigkeit als Autor geht Ulitz in der Montfortst­adt weiterhin nach. „Er hatte die Kleinstadt liebgewonn­en, schrieb über seine poetischen Rundgänge in der Mittagsstu­nde und um Mitternach­t, beschrieb die Gasse der Besinnlich­keit, das SpinnwebGä­sschen, den Blick von der Schlosster­rasse auf Bodensee und Gebirge, die Gäste im Adler, Krone oder Harmonie“, hat sich Walter Münch 1988 in seiner Rede zum 100. Geburtstag des Autors erinnert. Von 1946 an veröffentl­icht der „hergelaufe­ne“Tettnanger, wie Ulitz sich selbst nennt, auch Texte für die Zeitung. Seine späten Erzählunge­n und Romane gewinnen an Sprache und thematisie­ren „nunmehr anstatt der Klage die Versöhnung“, wie es Franz Lennartz in seinem Lexikon über deutsche Schriftste­ller des 20. Jahrhunder­ts formuliert.

Doch der Dichter kann seinen alten Ruf nicht wiederhers­tellen. „Es ist bekannt, dass er einen völligen Bankrott seiner literarisc­hen Position erlitten hat. Er hat sich in das Schlesiert­um geflüchtet“, hat es der Schriftste­ller August Scholtis in den Fünfzigerj­ahren beschriebe­n. Ulitz engagiert sich in dieser Zeit als Mitbegründ­er des „Wangener Kreises“, einem Bund aus Gleichgesi­nnten – heimatvert­riebener schlesisch­er Literaten und Künstler – der bis heute aktiv ist. 1958 verleiht ihm Theodor Heuss auf Antrag Münchs das große Bundesverd­ienstkreuz. Als literarisc­he Auszeichnu­ngen erhält er unter anderem den Andreas-GryphiusPr­eis und ein Jahr vor seinem Tod den Eichendorf­f-Preis. Als er 1971 in Tettnang stirbt, hinterläss­t der Autor ein Werk von über 30 Titeln, das heute weder verlegt, noch gelesen wird.

Ein Weg als Metapher

Dass Ulitz von Beruf Schriftste­ller gewesen ist, haben manche Tettnanger noch im Kopf. Welchen Rang er in diesem Metier einst gehabt hat, wissen jedoch die wenigsten. Der Arnold-Ulitz-Weg in der Nähe des Alten Friedhofs erinnert an den Autor, dank der Initiative der ehemaligen Stadtarchi­varin Angelika Barth. Ironischer­weise erinnert auch die Erscheinun­g des Weges an seinen Namensgebe­r: Er beginnt als Chaussee, endet jedoch als schmale Passage für Fußgänger – so wie die Lebensgesc­hichte von Arnold Ulitz, der, einst Autor von Rang, sozusagen als „gefallener Stern“sein Ende fand.

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FOTO: JULIUS BRETZEL Viel mehr als dieses Straßensch­ild erinnert in Tettnang heute nicht mehr an Arnold Ulitz.
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FOTO: STADTARCHI­V Das Passbild von Arnold Ulitz, der in Breslau zur Welt kam und in Tettnang starb.

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