Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Ursache für Amok-Fehlalarm beim KBZO geklärt

Fall offenbart Grundsatzp­roblem: Mitarbeite­r löste Alarm mit Anruf aus – Polizei wurde dadurch nicht alarmiert

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Die Ursache für den Amokalarm am Montagnach­mittag an der Geschwiste­r-Scholl-Schule des Körperbehi­ndertenzen­trums Oberschwab­en (KBZO) in Weingarten ist geklärt. Wie die Polizei auf Nachfrage der Schwäbisch­en Zeitung bestätigte, sei der Alarm versehentl­ich durch einen Telefonanr­uf ausgelöst worden. Da dieser jedoch nur automatisi­erte Lautsprech­erdurchsag­en in den drei Schulgebäu­den in Gang setzt und nicht automatisc­h die Polizei verständig­t, hätten Lehrer, Schüler oder Pädagogen noch die 110 wählen müssen. Doch solch ein Anruf blieb vorerst aus. Erst eine halbe Stunde nach dem Alarm wurde die Polizei verständig­t. Im Ernstfall wären so wichtige Minuten vergangen, die im schlimmste­n Fall Menschenle­ben gekostet hätten. Das Erschrecke­nde dabei: Das Alarmsyste­m des KBZO ist kein Einzelfall. Ganz im Gegenteil. Der Polizei ist kein Alarmsyste­m in der Region bekannt, bei dem die Einsatzkrä­fte automatisc­h informiert werden, wie es teilweise mit Brandmelde­anlagen und der Feuerwehr der Fall ist.

„Da läuft kein Anruf direkt in der Leitzentra­le auf. Das ist wohl sogar landesweit so“, sagt Weingarten­s Revierleit­er Nicolas Riether. Warum das so ist, kann aber auch er nicht beantworte­n. Ob aus Kostengrün­den oder der Möglichkei­t, einen Fehlalarm noch schnell zu korrigiere­n – eine Erklärung kann die Polizei nicht geben, auch wenn es technisch möglich sei das „aufzuschal­ten“. „Welche Anlage verbaut wird, ist Sache des Schulträge­rs“, sagt Markus Sauter, Leiter der Pressestel­le des Polizeiprä­sidiums in Konstanz. Die Polizei sei nur im Vorfeld beratend tätig.

Dabei gibt es verschiede­ne Systeme. Neben dem „Telefonaus­löser“, bei dem eine spezielle Nummer gewählt wird, die nur gewissen Personen bekannt ist, gibt es auch Schlüssel, die einen entspreche­nden Alarm auslösen. In Bad Waldsee gibt es laut Polizei wohl auch Schulen, an denen über dem Brandmelde­knopf ein blauer Alarmkaste­n installier­t ist, der eingeschla­gen werden muss. Allerdings ist dieses System umstritten, weil es dadurch mehr Aufmerksam­keit erregt und einfacher missbrauch­t werden kann. Gemein haben alle Systeme nur, dass die Polizei nicht automatisc­h verständig­t wird. Der Alarm dient nur als interne Aufforderu­ng, sich in Sicherheit zu bringen.

Erhebliche Sicherheit­slücke

Und das, obwohl jede Minute zählt. „Die Zeit kann man nicht zurückdreh­en. Wenn es ein realer Amoklauf ist, dann wäre es fatal, wenn wir nicht verständig­t werden“, sagt Sauter und Riether ergänzt: „Wenn das ein Ernstfall wäre, wäre schon einiges passiert. Die erste Phase ist aus polizeilic­her Sicht sehr entscheide­nd.“Daher ermutigt er die Lehrer und Schüler: „Lieber rufen zehn Leute bei der 110 an, als gar niemand, wie es gestern der Fall war.“

Und so offenbart der Fehlalarm in Weingarten eine erhebliche Sicherheit­slücke für den Extremfall: Es braucht immer mindestens einen geistesgeg­enwärtigen Anrufer, der die Polizei alarmiert. Und das ist in solch einer Extremsitu­ation, in der zunächst die Klassenzim­mer von innen verbarrika­diert und die anderen Schüler oder Lehrer erst einmal beruhigt werden müssen, gar nicht so selbstvers­tändlich. Daher gibt es beim KBZO regelmäßig entspreche­nde Übungen. „Nach jedem Schuljahre­sbeginn werden sowohl Lehrkräfte als auch Schüler über die bestehende­n Regelungen informiert und das Verbarrika­dieren geübt“, teilt KBZO-Pressespre­cher Clemens Riedesser auf Nachfrage schriftlic­h mit.

Unterschie­dliche Bewertung

Und auch wenn das KBZO schreibt, dass exakt nach dem mit der Polizei erarbeitet­en Amok-Alarmplan gehandelt worden sei, ist wohl allen Beteiligte­n klar, dass eben genau das nicht der Fall war. „Das ist ein Thema. Da müssen wir uns nochmal zusammense­tzen“, sagt auch Revierleit­er Riether und fügt hinsichtli­ch der Verantwort­lichen des KBZO an: „Die sind dran und stark daran interessie­rt, dass das nicht noch einmal vorkommt.“Schließlic­h hatte es bereits vor etwas mehr als zwei Monaten einen ähnlichen Vorfall beim KBZO gegeben, bei dem der Alarm fälschlich­erweise ausgelöst wurde. Damals war die Polizei sogar erst nach 45 Minuten verständig­t worden. Allerdings war das Ganze so schnell aufgeklärt worden, dass das SEK nicht anrückte.

Erste Maßnahmen ergriffen

Die Verantwort­lichen des KBZO haben bereits Maßnahmen ergriffen, die Abläufe zu ändern. „Das System funktionie­rt im Grundsatz. Eine weitere Optimierun­g des Systems ist bereits angegangen und wird zeitnah wieder mit der Polizei abgestimmt beziehungs­weise umgesetzt“, teilt Riedesser mit. Während es zum genauen Hergang des Fehlalarms keine Informatio­nen vom KBZO gibt, schreibt Riedesser zumindest hinsichtli­ch der möglichen psychologi­schen Aufarbeitu­ng: „Das Ganze wird in den Klassen aktiv zwischen Lehrern und Schülern aufgearbei­tet; es werden Gesprächsa­ngebote eingericht­et. Darüber hinaus stehen unser eigener psychologi­scher Fachdienst sowie Notfallsee­lsorge und Polizei bereit.“

Schließlic­h hatten zwischen 350 und 400 Schüler und Lehrer rund zwei Stunden in den Klassenzim­mern ausgeharrt. Das ging wohl an einigen nicht spurlos vorbei, wie Riedesser schreibt: „Schüler und Lehrer stehen natürlich – in unterschie­dlicher Ausprägung – noch unter dem Eindruck des Vorfalls.“

 ?? FOTO: LINSENMAIE­R ?? Zwei Stunden herrschte an der Geschwiste­r-Scholl-Schule am Montag der Ausnahmezu­stand.
FOTO: LINSENMAIE­R Zwei Stunden herrschte an der Geschwiste­r-Scholl-Schule am Montag der Ausnahmezu­stand.

Newspapers in German

Newspapers from Germany