Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ursache für Amok-Fehlalarm beim KBZO geklärt
Fall offenbart Grundsatzproblem: Mitarbeiter löste Alarm mit Anruf aus – Polizei wurde dadurch nicht alarmiert
WEINGARTEN - Die Ursache für den Amokalarm am Montagnachmittag an der Geschwister-Scholl-Schule des Körperbehindertenzentrums Oberschwaben (KBZO) in Weingarten ist geklärt. Wie die Polizei auf Nachfrage der Schwäbischen Zeitung bestätigte, sei der Alarm versehentlich durch einen Telefonanruf ausgelöst worden. Da dieser jedoch nur automatisierte Lautsprecherdurchsagen in den drei Schulgebäuden in Gang setzt und nicht automatisch die Polizei verständigt, hätten Lehrer, Schüler oder Pädagogen noch die 110 wählen müssen. Doch solch ein Anruf blieb vorerst aus. Erst eine halbe Stunde nach dem Alarm wurde die Polizei verständigt. Im Ernstfall wären so wichtige Minuten vergangen, die im schlimmsten Fall Menschenleben gekostet hätten. Das Erschreckende dabei: Das Alarmsystem des KBZO ist kein Einzelfall. Ganz im Gegenteil. Der Polizei ist kein Alarmsystem in der Region bekannt, bei dem die Einsatzkräfte automatisch informiert werden, wie es teilweise mit Brandmeldeanlagen und der Feuerwehr der Fall ist.
„Da läuft kein Anruf direkt in der Leitzentrale auf. Das ist wohl sogar landesweit so“, sagt Weingartens Revierleiter Nicolas Riether. Warum das so ist, kann aber auch er nicht beantworten. Ob aus Kostengründen oder der Möglichkeit, einen Fehlalarm noch schnell zu korrigieren – eine Erklärung kann die Polizei nicht geben, auch wenn es technisch möglich sei das „aufzuschalten“. „Welche Anlage verbaut wird, ist Sache des Schulträgers“, sagt Markus Sauter, Leiter der Pressestelle des Polizeipräsidiums in Konstanz. Die Polizei sei nur im Vorfeld beratend tätig.
Dabei gibt es verschiedene Systeme. Neben dem „Telefonauslöser“, bei dem eine spezielle Nummer gewählt wird, die nur gewissen Personen bekannt ist, gibt es auch Schlüssel, die einen entsprechenden Alarm auslösen. In Bad Waldsee gibt es laut Polizei wohl auch Schulen, an denen über dem Brandmeldeknopf ein blauer Alarmkasten installiert ist, der eingeschlagen werden muss. Allerdings ist dieses System umstritten, weil es dadurch mehr Aufmerksamkeit erregt und einfacher missbraucht werden kann. Gemein haben alle Systeme nur, dass die Polizei nicht automatisch verständigt wird. Der Alarm dient nur als interne Aufforderung, sich in Sicherheit zu bringen.
Erhebliche Sicherheitslücke
Und das, obwohl jede Minute zählt. „Die Zeit kann man nicht zurückdrehen. Wenn es ein realer Amoklauf ist, dann wäre es fatal, wenn wir nicht verständigt werden“, sagt Sauter und Riether ergänzt: „Wenn das ein Ernstfall wäre, wäre schon einiges passiert. Die erste Phase ist aus polizeilicher Sicht sehr entscheidend.“Daher ermutigt er die Lehrer und Schüler: „Lieber rufen zehn Leute bei der 110 an, als gar niemand, wie es gestern der Fall war.“
Und so offenbart der Fehlalarm in Weingarten eine erhebliche Sicherheitslücke für den Extremfall: Es braucht immer mindestens einen geistesgegenwärtigen Anrufer, der die Polizei alarmiert. Und das ist in solch einer Extremsituation, in der zunächst die Klassenzimmer von innen verbarrikadiert und die anderen Schüler oder Lehrer erst einmal beruhigt werden müssen, gar nicht so selbstverständlich. Daher gibt es beim KBZO regelmäßig entsprechende Übungen. „Nach jedem Schuljahresbeginn werden sowohl Lehrkräfte als auch Schüler über die bestehenden Regelungen informiert und das Verbarrikadieren geübt“, teilt KBZO-Pressesprecher Clemens Riedesser auf Nachfrage schriftlich mit.
Unterschiedliche Bewertung
Und auch wenn das KBZO schreibt, dass exakt nach dem mit der Polizei erarbeiteten Amok-Alarmplan gehandelt worden sei, ist wohl allen Beteiligten klar, dass eben genau das nicht der Fall war. „Das ist ein Thema. Da müssen wir uns nochmal zusammensetzen“, sagt auch Revierleiter Riether und fügt hinsichtlich der Verantwortlichen des KBZO an: „Die sind dran und stark daran interessiert, dass das nicht noch einmal vorkommt.“Schließlich hatte es bereits vor etwas mehr als zwei Monaten einen ähnlichen Vorfall beim KBZO gegeben, bei dem der Alarm fälschlicherweise ausgelöst wurde. Damals war die Polizei sogar erst nach 45 Minuten verständigt worden. Allerdings war das Ganze so schnell aufgeklärt worden, dass das SEK nicht anrückte.
Erste Maßnahmen ergriffen
Die Verantwortlichen des KBZO haben bereits Maßnahmen ergriffen, die Abläufe zu ändern. „Das System funktioniert im Grundsatz. Eine weitere Optimierung des Systems ist bereits angegangen und wird zeitnah wieder mit der Polizei abgestimmt beziehungsweise umgesetzt“, teilt Riedesser mit. Während es zum genauen Hergang des Fehlalarms keine Informationen vom KBZO gibt, schreibt Riedesser zumindest hinsichtlich der möglichen psychologischen Aufarbeitung: „Das Ganze wird in den Klassen aktiv zwischen Lehrern und Schülern aufgearbeitet; es werden Gesprächsangebote eingerichtet. Darüber hinaus stehen unser eigener psychologischer Fachdienst sowie Notfallseelsorge und Polizei bereit.“
Schließlich hatten zwischen 350 und 400 Schüler und Lehrer rund zwei Stunden in den Klassenzimmern ausgeharrt. Das ging wohl an einigen nicht spurlos vorbei, wie Riedesser schreibt: „Schüler und Lehrer stehen natürlich – in unterschiedlicher Ausprägung – noch unter dem Eindruck des Vorfalls.“