Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Matriarchin
Barbara Bush, die First Lady der frühen Neunziger, hat nie einen
Hehl aus ihrem sehr traditionellen Rollenverständnis gemacht. In manchen Fragen dachte sie allerdings fortschrittlicher, als sie öffentlich zugeben wollte. In die Chronik geht sie ein als die zweite Frau der amerikanischen Geschichte, die sowohl Gattin als auch Mutter eines Präsidenten gewesen ist. Am Dienstag ist sie im Alter von 92 Jahren gestorben.
Die Matriarchin, die Oma der Nation, Amerikas Queen Mum: Es mangelte nicht an Attributen, die Barbara Pierce Bush auf eine sehr traditionelle Rolle festnagelten. Allein mit ihrem Haar, vor der Zeit weiß geworden und stets dauergewellt, wirkte sie schon großmütterlich, als ihr Mann George 1980 im Schatten Ronald Reagans zum Vizepräsidenten gewählt wurde, bevor er schließlich selbst ins Weiße Haus zog.
Sie selber hat ihn denn auch ohne Abstriche gespielt, den Part der konventionellen First Lady, die sich angeblich kaum um Politik kümmerte, dafür umso mehr um die Familie. Auch später, als sie längst nach Texas zurückgekehrt war, als im Oval Office ihr Sohn George W. regierte und die Debatten vor dem Einmarsch im Irak die Nachrichten bestimmten. „Warum sollten wir uns mit Leichensäcken und Todesfällen beschäftigen und damit, wie viele es werden und an welchem Tag es losgeht?“, fragte sie in einem Interview. „Warum soll ich meine Gedanken auf so etwas verschwenden?“
So rückwärtsgewandt, wie es schien, war sie nicht, jedenfalls nicht in allem. Sie applaudierte schwarzen Bürgerrechtlern, als das in konservativen Kreisen noch keine Selbstverständlichkeit war. Ihre Pressesekretärin im Weißen Haus hatte dunkle Haut, die erste Afroamerikanerin auf diesem Posten. Das Abtreibungsrecht soll sie frühzeitig befürwortet haben, auch wenn sie sich öffentlich nicht dazu bekannte, wohl aus Angst davor, die evangelikale Stammwählerschaft ihres Gatten vor den Kopf zu stoßen.
Frank Herrmann