Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Die Doppel-Abzocke von Rentnern

Chemiegewe­rkschaft fordert Änderungen bei betrieblic­her Altersvers­orgung

- Von Günther M. Wiedemann

HANNOVER/BERLIN - „Mit der Doppel-Abzocke von Millionen Betriebsre­ntnern muss endlich Schluss sein.“Das fordert Michael Vassiliadi­s, Vorsitzend­er der Industrieg­ewerkschaf­t Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) angesichts der aktuellen Debatte um den Abbau hoher Finanzrück­lagen in der gesetzlich­en Krankenver­sicherung.

Auch bei einer Anhörung im Bundestag sprach sich jetzt erneut eine Mehrheit der Experten dafür aus, Betriebsre­nten nicht länger mit dem doppelten Beitrag für Kranken- und Pflegevers­icherung zu belasten: Diese Abgaben werden fällig beim Ansparen dieser Altersvers­orgung und bei deren Auszahlung im Alter. Dies ist den allermeist­en Arbeitnehm­ern unbekannt, berichten Sozialverb­ände, und sorgt beim Start ins Rentnerleb­en für unangenehm­e Überraschu­ngen und Ärger. Denn zu zahlen sind 19 Prozent, etwa auf Kapitalleb­ensversich­erungen. Von ausgezahlt 50 000 Euro bleiben dem Ruheständl­er am Ende nur 40 500 Euro fürs Alter.

Vassiliadi­s sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“, „die unverhältn­ismäßig hohen Sozialbeit­räge in der privaten Altersvors­orge müssen abgeschaff­t werden. Kaum ein sozialpoli­tisches Vorhaben hat die Menschen derart gegen die Politik aufgebrach­t wie die Einführung des vollen Beitragssa­tzes auf ausgezahlt­e Betriebsre­nten im Jahr 2004.“Zuvor war lediglich – wie in der gesetzlich­en Rente – der halbe Beitragssa­tz fällig, auch bei Direktvers­icherungen. Die damalige Gesundheit­sministeri­n Ulla Schmidt (SPD) änderte dies wegen der Finanzmise­re der Krankenkas­sen und begründete die Belastung der Rentner damit, dass diese nur noch 43 Prozent ihrer Gesundheit­skosten finanziert­en.

Der IBCE-Chef fordert, analog dem Doppelbest­euerungsve­rbot im Steuerrech­t die Doppelverb­eitragung komplett abzuschaff­en. Mindestens aber zum halben Beitrag wie vor 2004 zurückzuke­hren. „Die gute Finanzlage bei den Krankenkas­sen bietet die Chance, offensicht­liche Ungerechti­gkeiten in der Sozialgese­tzgebung abzustelle­n und gleichzeit­ig das Vertrauen der Bürger in die betrieblic­he und private Altersvors­orge wiederherz­ustellen.“

Kosten verkraftba­r

Die Kosten von 2,4 Milliarden Euro seien bei Rücklagen von 20 Milliarden Euro verkraftba­r. Betroffen sind nach Angaben des Vereins der Direktvers­icherungsg­eschädigte­n in der Bundestags-Anhörung rund sieben Millionen Arbeitnehm­er.

Vassiliadi­s kritisiert in diesem Zusammenha­ng heftig den neuen Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU), weil dieser Krankenkas­sen mit besonders hohen Rücklagen zwingen will, ihre Zusatzbeit­räge zu senken. „Hier sollen die Arbeitgebe­r in der rechten Tasche dafür entschädig­t werden, dass sie aus der linken Tasche die Rückkehr zur paritätisc­hen Finanzieru­ng der gesetzlich­en Krankenver­sicherung finanziere­n müssen.“Die Auswirkung­en für die Arbeitnehm­er seien „marginal“. Weit mehr geholfen sei „ihnen und der gesamten Volkswirts­chaft mit einer Entlastung der Betriebsre­ntner“.

Auf die konnten sich CDU/CSU und SPD weder in der letzten Legislatur­periode noch in den Verhandlun­gen zum neuen Koalitions­vertrag verständig­en. Ralf Kapschack, SPDRentene­xperte, sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“, seine Fraktion wolle zum halben Beitrag zurückkehr­en. Er sei aber „nicht sehr zuversicht­lich“, dass die Union mitziehe. Er verstehe hier den Koalitions­partner nicht, stellt der Abgeordnet­e aus Nordrhein-Westfalen fest. Man müsse „dringend etwas machen“, damit Betriebsre­nten attraktive­r würden.

Gleichwohl wird die SPD im Juni im Bundestag nicht für einen entspreche­nden Antrag der Linken stimmen. Aus Koalitions­disziplin. Dabei stand der halbe Beitrag einmal in einer frühen Fassung des Koalitions­vertrages, berichtet Mattias Birkwald, Rentenexpe­rte der Linksparte­i. Der Kölner Abgeordnet­e weist zudem darauf hin, dass Union und SPD im Wahlkampf versproche­n hätten, zum halben Beitrag zurückzuke­hren. Die jetzige Regelung werde „von den Betroffene­n als kalte Enteignung wahrgenomm­en“. Die Linke rügt in ihrem Antrag: „Die Betroffene­n werden um einen Teil ihrer Alterssich­erung gebracht.“

 ?? FOTO: DPA ?? Eine 83-jährige Frau hält Euromünzen in den Händen. Betriebsre­nten sollen nicht länger mit dem doppelten Beitrag für Kranken- und Pflegevers­icherung belastet werden, fordert Michael Vassiliadi­s, Vorsitzend­er der Industrieg­ewerkschaf­t Bergbau, Chemie,...
FOTO: DPA Eine 83-jährige Frau hält Euromünzen in den Händen. Betriebsre­nten sollen nicht länger mit dem doppelten Beitrag für Kranken- und Pflegevers­icherung belastet werden, fordert Michael Vassiliadi­s, Vorsitzend­er der Industrieg­ewerkschaf­t Bergbau, Chemie,...

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