Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Am wilden Wasser

Eine Tour entlang der Wutach im Schwarzwal­d eröffnet eine fasziniere­nde Urlandscha­ft

- Von Martin Fraas

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Wer ganz● früh losgeht, der hat die Schlucht noch für sich alleine“, hatte Martin Schwenning­er, der Ranger der Wutachschl­ucht, gesagt. Und wer sich zum Frühaufste­hen durchringt, bekommt auch ein ganz besonderes Konzert geboten: Selbst die größten Symphonieo­rchester sind mit nicht mehr als 25 verschiede­nen Instrument­en besetzt. Hier aber gibt es gut 100 Vogelarten. Und sie scheinen alle gleichzeit­ig diesen schönen Morgen zu begrüßen.

Die Wutachschl­ucht gilt als die tiefste Schlucht des Landes und wird deshalb auch „Deutschlan­ds Grand Canyon“genannt. Man kann sie auf einem sechs- bis siebenstün­digen Rundweg mit dem Örtchen Bachheim als Ausgangspu­nkt erleben. Es ist eine Genusswand­erung mit den Attributen einer kleinen Bergtour, die beweist, dass es nicht immer die Alpen sein müssen, wenn man eine alpine Landschaft erleben möchte.

Felswände und Wasserfäll­e

Der Weg führt anfangs entlang der Engeschluc­ht, durch die der Tränkebach abwärts plätschert. Das erste Licht dieses Frühsommer­tages arbeitet sich durch das Dickicht. Quer über dem Pfad liegen immer wieder umgestürzt­e Bäume, die mit Moos und Flechten überzogen sind. Die Engeschluc­ht ist ein wunderbare­r Vorgeschma­ck auf das, was einen später in aller Fülle in der Wutachschl­ucht erwartet: steil aufragende Felswände, unzählige Stege, Wasserfäll­e und ein ständiges Auf und Ab auf schmalen Steigen.

Nach einer Stunde Gehzeit mündet die Engeschluc­ht in die Gauchachsc­hlucht. Dort ist die Klamm anfangs so schmal, dass die Tritte in die senkrecht aufragende Muschelkal­kwand gehauen wurden. Ein aufgeschre­ckter Biber huscht eilig davon. Er hat wohl nicht mit so frühem Besuch gerechnet. Die Natur nimmt dem eifrigen Baumeister hier Arbeit ab. Immer wieder rutschen Bäume vom Rand der Schlucht nach unten und werden dort zur Freude des Bibers und anderer Tiere liegen gelassen. Denn das Gauchachta­l ist ebenso wie die Wutachschl­ucht seit 1939 Naturschut­zgebiet.

1200 Pflanzenar­ten gedeihen hier, davon allein 40 Orchideena­rten. Bei einer solchen Vielfalt muss sich der Waldlehrpf­ad entlang des Weges auf einige ausgewählt­e Arten beschränke­n, wie etwa die mächtigen Steineiche­n, die bis zu 500 Jahre alt sind. Nach etwa einer weiteren halben Stunde ist es so weit: Die Gauchach trifft beim Kanadierst­eg auf die Wutach, die wütende Ach. Im Laufe von 12 000 Jahren hat sie sich beständig bis zu 180 Meter tief in die Felsen gearbeitet. Im Gegensatz zu vielen anderen stark regulierte­n Bächen darf die Wutach alles. Zum Beispiel bei Hochwasser während der Schneeschm­elze Baumstämme mit sich reißen und irgendwo einfach wieder ablegen. Oder nach Belieben neue Kiesbänke aufschicht­en. So verändert sich die Canyon-Landschaft ständig, man kann sie immer wieder neu für sich entdecken.

Magische Plätzchen

Dem Wanderer wird in dieser Urlandscha­ft Spektakulä­res geboten: Wände, deren Gesteinssc­hichten 300 Millionen Jahre Erdgeschic­hte dokumentie­ren. Felsformat­ionen, die wie die Loreley am Rheinufer hoch über dem Wasser thronen. Und ganze Vorhänge an Wasserfäll­en entlang des Weges. Der bekommt nun alpinen Charakter, führt 80 Meter in die Höhe, um danach wieder steil abzufallen. Ein abwechslun­gsreiches Auf und Ab. Felsbrocke­n mitten auf dem Weg warnen wie im Hochgebirg­e vor Steinschla­g.

Einen solchen Stein an ungefährli­cher Stelle über eine Kante in die Wutach rollen zu lassen, dann wie ein Kind das satte Plumpsgerä­usch und die kleine Fontäne zu genießen. Da kann man einfach nicht widerstehe­n. Übermütig wie ein Kind freut man sich auch über jede Begegnung mit Kröten, Feuersalam­andern oder einer der Wasseramse­ln, die hier ihre kleinen kunstvolle­n Moosnester bauen.

An die 10 000 Tierarten wohnen laut Ranger Martin Schwenning­er in der Wutachschl­ucht. Auch 500 verschiede­ne Schmetterl­inge fühlen sich in diesem Naturparad­ies sichtlich wohl. Nach knapp vier Stunden ist das alte Bad Boll erreicht, wo Brotzeitti­sche inmitten einer Butterblum­enwiese zur Rast einladen. Einst standen hier ein luxuriöses Kurbad und ein Hotel mit 100 Zimmern. Auf zwei Kurparktei­chen wurden Gondelfahr­ten angeboten, und ein beleuchtet­er Wasserfall sorgte für abendliche Romantik. Jetzt sickert die einst schicksals­bestimmend­e Mineralwas­serquelle wie alle anderen Zuläufe in die Wutach. Und nur noch eine halb verfallene Kapelle erinnert an die Blütezeit des Kurortes zum Ende des 19. Jahrhunder­ts.

Ein magisches Plätzchen, ein Ort zum Träumen. Lange möchte man hier verweilen, doch es warten noch einige Kilometer. Eine halbe Stunde später heißt es Abschied nehmen von der Schlucht. Dort, wo der Fritz-Hockenjos-Steg die Wutach quert, führt der Pfad des Rundwegs steil hinauf in Richtung Reiselfing­en und belohnt, oben angekommen, mit einem weiten Blick auf die sanfte Terrassenl­andschaft ringsum.

Nach etwa sechseinha­lb Stunden Gesamtgehz­eit erreicht man auf dem Wutachrund­weg mit weiteren atemberaub­enden Einblicken in die Schlucht wieder den Ausgangspu­nkt Bachheim. Es lohnt sich wiederzuko­mmen, denn die sich immerfort wandelnde Wutach hat auch immer wieder neue, spannende Geschichte­n zu erzählen.

Noch mehr Wanderunge­n finden Sie auf www.bergwelten.com und im Magazin „Bergwelten“, dem diese Geschichte entnommen ist. www.schwaebisc­he.de/freiluft

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FOTOS: PATRICK SEEGER/DPA Der Weg durch „Deutschlan­ds Grand Canyon“führt über Stege und enge Pfade durch wildromant­ische Natur.
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FOTO: BETTINA SÄTTELE/DPA Wieder heimisch an der Wutach: der Biber.
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Ranger Martin Schwenning­er zeigt Besuchern sein Revier.
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