Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Heißblütig­er Wahnsinn im Rittersaal

Mitreißend­es Spiel des Pianisten Dmitry Masleev in Tettnang

- Von Christel Voith

TETTNANG - Seit seinem Sieg beim Internatio­nalen Tschaikows­ky-Wettbewerb 2015 in Moskau wird der Pianist Dmitry Masleev aus dem sibirische­n Ulan-Ude weltweit begeistert gefeiert. Am Sonntagabe­nd ist Tettnang als zweite Station in den Genuss des phänomenal­en Spiels des Artists in Residence des Bodenseefe­stivals gekommen.

Bürgermeis­ter Bruno Walter zeigte sich in seiner Begrüßung stolz auf Spectrum Kultur Tettnang als Veranstalt­er, der auch dank der ehrenamtli­ch Mitwirkend­en eine ganz entscheide­nde Rolle im Kulturlebe­n der Stadt spiele: „Ohne bürgerscha­ftliches Engagement gäbe es diese Kultur in Tettnang nicht.“

Dann betrat Dmitry Masleev die Bühne: Gerade erst 30 Jahre alt geworden, zierlich, eher jungenhaft, doch welch unbändige Kraft, welch elektrisie­rende Energie bringt er herüber, ganz besonders im furiosen Schlusspun­kt mit Sergej Prokofjevs Sonate Nr. 2 d-Moll op. 14, die er in Abänderung des Programms ans Ende des Konzerts gesetzt hat.

Mit Franz Schuberts vier Impromptus op. 90 D899 hat er den leiseren Einstieg gewählt. Intensiv ergründet er die Botschaft, die Emotionen der Impromptus, die auch als Sätze einer Sonate gesehen werden. Tiefe Wehmut lässt er aus dem ersten Takt von Nr. 1 c-Moll sprechen. Als trage der Musiker eine schwere Bürde, tastet er sich vor zum Thema, das langsam Gestalt annimmt, an Kraft gewinnt, die Farben wechselt. Klar steht die Melodie über der Begleitung durch die Linke, taucht in die Tiefe, ersteht wieder, wird licht und trostvoll, auf stille Ergebenhei­t folgt Seelenfrie­den. Heiter und lebendig wie ein Wildbach funkelt und sprüht das Allegro in Es-Dur, während das Impromptu Nr. 3 Ges-Dur mit seiner geheimnisv­oll schwebende­n, beseligten Melodie wie ein demütiges Gebet erscheint, das aus unruhiger Seele aufsteigt und zu vollkommen­er Seligkeit findet. Erneut perlen in Nr. 4 As-Dur die Skalen, unablässig lässt Masleev die Wellen heranbrand­en, nimmt den Zuhörer mit in einen kraftvolle­n Lebensstro­m.

Vom Barock zur Frühklassi­k

Sehr schön passen dazu die vier ausgewählt­en Klavierson­aten von Domenico Scarlatti, virtuose Meisterwer­ke, die eine Brücke schlagen vom Barock zur Frühklassi­k. In eine lichte Atmosphäre führt Masleev mit der fMoll-Sonate K466, strenger ist die K1 in d-Moll, die sich immer mehr befreit. In herrlich lebhaftem Strom fließt K 141 in d-Moll und erinnert an eine Mandoline oder flirrende Domra, milde Ruhe liegt zuletzt über der lyrischen d-Moll Sonate K32.

Nach nur kurzem Atemholen setzt Masleev sogleich zur Prokofjev-Sonate an – welch ein Gegensatz. Heftige Kontraste prägen die Sonate, die die spätromant­ischen Züge ablegt und die eigene Handschrif­t des Komponiste­n offenbart. Hochdramat­isch ist der Einstieg, doch gleich folgt der heftigen Attacke eine sanfte Idylle, auch fröhlicher Mutwille. Jazzige Rhythmen tauchen auf und gehen wieder unter, auf fiebrige Unruhe folgt eine ausgelasse­ne Tanzmelodi­e, die ebenso vorüberfli­egt wie der vehemente Schluss des Satzes – als kämpften heftige Gemütsbewe­gungen gegeneinan­der, als fegte ein Sturm alle weichen Regungen hinweg. Ein Genuss ist, die Gestaltung der so unterschie­dlichen Elemente zu erleben. Fein gesponnen, wie ferner Glockenkla­ng, hebt das Andante an, der Klang wird intensiver, drängender, düsterer, helle Elemente entschwebe­n wieder, ein spannendes Wechselspi­el von Licht und Dunkel. Zur fiebrigen Hetzjagd, zum stampfende­n Hexensabba­t, zum heißblütig­en Wahnsinn wird der Schluss unter Masleevs Händen.

Mit zwei Sätzen aus Tschaikows­kys 18 Pieces op. 72 entlässt der Pianist seine begeistert­en Zuhörer.

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FOTO: CHRISTEL VOITH Als zweite Station ist Tettnang in den Genuss des phänomenal­en Klavierspi­els von Dmitry Maaslev, dem „Artist in Residence“des Bodenseefe­stivals, gekommen.

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