Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Stadt Ravensburg will jetzt Flüsterasphalt statt Tempo 30
Tagesordnungspunkt zum Lärmaktionsplan im Ravensburger Gemeinderat wird abgesetzt
RAVENSBURG (vin/fh) - Die Idee, auf Ravensburger Durchgangsstraßen auch tagsüber eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 Kilometern pro Stunde einzuführen, ist vorerst vom Tisch. Nach heftigen Protesten ist das Thema am Montag von der Tagesordnung des Gemeinderates genommen worden. Grund sei laut Oberbürgermeister Daniel Rapp aber nicht der Widerstand von Bürgern und Handel gewesen, sondern neue Erkenntnisse über die mögliche Alternative: Demnach muss nicht die Stadt den teuren Einbau von leisem Straßenbelag bezahlen, sondern der Bund, da es sich weitgehend um Bundesstraßen handelt.
Das Regierungspräsidium Tübingen habe der Verwaltung signalisiert, dass es keine Probleme mit einem zeitnahen Einbau von sogenanntem „lärmoptimierten Asphalt“in Ravensburg sieht. Er funktioniert ähnlich wie Flüsterasphalt und schluckt beziehungsweise reduziert den Schall, der durch die Rollgeräusche der Autoreifen auf der Straßenoberfläche erzeugt wird. Allerdings hält er länger als herkömmlicher Flüsterasphalt, der nach fünf bis bis zehn Jahren ersetzt werden muss, was zu ständigen Baustellen führen würde.
Baustellen bis 2020
Apropos Baustellen: Bis zum Jahr 2020, so schätzt Rapp, könnten die Straßen, um die es geht, umgerüstet werden: zunächst die B 32 (also die Wangener Straße, Leonhardstraße, Wilhelmstraße und Schussenstraße), später eventuell auch die Gartenstraße, die Jahnstraße, die Georgstraße, Karlstraße, Zwergerstraße, nördliche Olgastraße, Ziegelstraße und Seestraße. Die Stadt könnte in Vorleistung treten und die Rechnung für die B 32 schon mal ans RP schicken, so der neue Plan. „Dann wäre es zum Beispiel auch möglich, Tag und Nacht Tempo 40 einzuführen“, meinte Rapp vor der Sitzung zur SZ. Dem Gemeinderat soll nun ein neuer Entwurf zum Lärmaktionsplan vorgelegt werden, der den leisen Belag berücksichtigt. Dieser soll auch Investitionen in den öffentlichen Personennahverkehr berücksichtigen. Da der Tagesordnungspunkt abgesetzt wurde, durften die Kommunalpolitiker nicht darüber diskutieren. Wilfried Krauss (Bürger für Ravensburg) meinte: „Wir hätten gerne vor dem Wochenende davon erfahren, dann hätten wir uns nicht mehr so intensiv damit beschäftigen müssen.“Ursprünglich wollte die BfR-Fraktion ebenfalls den Antrag stellen, den Punkt zu vertagen. Maria Weithmann (Grüne) nutzte die Gemeinderatsfragestunde im Anschluss, um doch noch einen Beitrag loszuwerden. „Wie werden die Menschen in den nächsten drei, vier Jahren vor Lärm geschützt?“
Wie mehrfach berichtet, hatte die Stadt Ende April ihre Ideen zur Fortschreibung des Lärmaktionsplans vorgestellt. Kern war die Einführung von Tempo 30 auf den Hauptverkehrsstraßen, dort, wo diese Geschwindigkeitsbegrenzung jetzt schon nachts gilt. Damit sollen vor allem die Anlieger entlastet werden. Der beauftragte Verkehrsplaner sah außerdem weitere Vorteile der geplanten Regelung: Unter anderem eine deutlich höhere Verkehrssicherheit und einen besseren Verkehrsfluss. In den Ortschaftsräten und im Ausschuss für Umwelt und Technik hatten sich Verwaltung und Kommunalpolitiker noch einmütig für diese Lösung stark gemacht, waren allerdings von einem hohen Kommunikationsbedarf ausgegangen. „Die Fehler bei der Vermittlung der Maßnahmen von Stufe 1 aus 2011 dürfen sich nicht wiederholen“, so Baubürgermeister Dirk Bastin.
Prompt folgte ein Sturm der Entrüstung: Mehr als 800 Bürger hatten bis Montag eine Petition gegen Tempo 30 unterzeichnet. Das Wirtschaftsforum pro Ravensburg und die Agendagruppe Oberstadt protestierten, die CDU-Fraktion im Gemeinderat kündigte am Freitag Widerstand in der Sitzung an. Die Stadt hatte vor dem Wochenende bereits mit einer Presseerklärung reagiert, wonach die eigentlichen Adressaten für den Protest in Brüssel und Berlin säßen. Die Kommunen hätten demnach kaum Entscheidungsspielräume, eine europaweite Rechtsvorschrift zwinge die Städte zu Tempo-30-Anordnungen oder aufwendigen Umbauten.
Dies wiederum haben am Montag der Ravensburger Europaabgeordnete Norbert Lins und der Bundestagsabgeordnete Axel Müller (beide CDU) zurückgewiesen: „Es gibt zu Tempo 30 keinen Druck aus Berlin und Brüssel“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Beide Abgeordnete betonen die „Entscheidungsfreiheit des Ravensburger Gemeinderats“. „Die Umgebungslärmrichtlinie der EU und das Bundesimmissionsschutzgesetz geben den Rahmen vor“, so Müller: „Aufgabe der Städte und Gemeinden ist es, bei Überschreitung von LärmGrenzwerten Maßnahmen zu ergreifen. Das ist eine weisungsfreie Pflichtaufgabe. Weisungsfrei heißt, dass keine übergeordnete Behörde weder in Stuttgart, noch in Berlin oder Brüssel der Kommune vorschreibt, welche Maßnahmen sie genau ergreifen soll. Vorgegeben ist lediglich, welches Ziel erreicht werden soll.“
Beide Abgeordnete hatten ebenfalls darauf hingewiesen, dass es abgesehen von der Einführung von Tempo 30 viele weitere Möglichkeiten gebe, den Lärm zu reduzieren. „Die Stadt kann sogenannten Flüsterasphalt einbauen oder passive Maßnahmen wie Schallisolierung der Gebäude zum Schutz der Bewohner durchführen.“