Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Mark Williams spielt sich um Hemd und Hose
15 Jahre nach seinem zweiten Titel wird der Waliser wieder Snooker-Weltmeister – und tritt nackt vor die Presse
SHEFFIELD (SID/dpa) - Das hatte Joanne Williams nun davon: Jetzt sah doch tatsächlich die ganze Welt ihren Angetrauten nackt. Mark Williams war eben ziemlich überraschend Snooker-Weltmeister geworden. Und weil Waliser ihr Wort halten, erschien dieser 43 Jahre alte Mann mit dem Körper eines Bankangestellten und den Tattoos eines Rockers nackt zur Pressekonferenz in den Katakomben des Crucible Theatres in Sheffield. Im hochklassigen Finale hatte er den favorisierten viermaligen Champion und Vorjahresfinalisten John Higgins 18:16 bezwungen.
Mit seinem Triumphzug hatte niemand gerechnet – auch nicht Williams selbst. Weshalb er sich vor dem Turnier zu dem Versprechen hatte hinreißen lassen, im unwahrscheinlichen Fall seines WM-Titels nackt zum Interview zu erscheinen. Der Fall trat ein, weil „The Welsh Potting Machine“in Sheffield eines der bemerkenswertesten Comebacks der Snooker-Geschichte ablieferte. Nur mit einem Handtuch um die Hüften marschierte Williams („Jetzt muss ich es ja machen!“) also vor die Journalisten, setzte sich auf seinen Stuhl und zog sich dann auch jenes Handtuch noch vom Körper.
In den 1990er-Jahren hatte sich Williams seinen Spitznamen verdient, nachdem er vom Amateurboxen an den Snookertisch gewechselt und rasch zum Topspieler herangewachsen war. 2000 und 2003 wurde Williams Weltmeister – und nun 15 Jahre später erneut. Rekord! Mit 43 ist Williams zudem der älteste Champion seit dem Waliser Ray Reardon, der 1978 im Alter von 45 Jahren gesiegt hatte.
„Klar dachte ich, dass diese Tage für mich vorbei sind“, sagte Williams. „Letztes Jahr habe ich mir das Finale im Wohnwagen angeschaut.“Nachdem er 2017 in der Qualifikation für die WM gescheitert war, wollte er sein Queue für immer unter dem im Fernsehen so harmlos wirkenden, in Wahr- heit aber riesigen Snookertisch ablegen. Karriereende! Privatier – das war sein Plan. Die Rechnung hatte Williams aber ohne Joanne gemacht. Seine Frau hatte ihn überredet, doch bitte wieder zur Arbeit zu gehen. „24 Stunden täglich zu Hause mit Mark Williams?“Nein, bitte nicht. „Das wäre nicht auszuhalten“, sagte die Herrin des Hauses. Und noch ein guter Ratschlag kam von Joanne Williams: Neue Impulse unter einem neuen Trainer sollte sich ihr Mann suchen.
Die fand Mark Williams bei Stephen Feeney, unter dem er nach 18 Ti- teln bei Ranglistenturnieren und 25 Profijahren Snooker neu erlernte. Die Kombination aus seiner mentalen Stärke und Lockerheit mit seinem extrem guten Lochspiel und dem exzellenten Breakbuilding ließ Williams 17 WM-Tage lang das beste Snooker seiner Karriere spielen.
Auf der Titelrechnung standen ursprünglich andere. Allen voran der englische Weltranglistenerste und Sieger der vergangenen beiden Jahre Mark Selby. Und natürlich Ronnie O’Sullivan, der vielleicht beste Snooker-Spieler aller Zeiten. Beide schieden überraschend früh aus. Williams spazierte dagegen scheinbar mühelos durch die Runden. Eng wurde es erst im Halbfinale. Doch Williams bewies gegen den Engländer Barry Hawkins weit nach Mitternacht Nervenstärke. Ein guter Test für das Finale gegen John Higgins.
Dabei deutete sich ein Drama zunächst nicht an, mit 15:10 führte Williams vor der entscheidenden Session am Montagabend, nur noch drei Frames fehlten ihm. Doch Higgins stemmte sich vehement gegen die Niederlage. Der viermalige Weltmeister aus Schottland glich zum 15:15 aus, ehe Williams sein Meisterstück vollendete. Den Titel begoss er – mittlerweile wieder angezogen – bis weit nach Sonnenaufgang.
Das hatte Joanne Williams nun davon.