Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Blauer Adel ist passé – Zum Absturz der Stuttgarte­r Kickers

Einst wähnte sich der Club auf Augenhöhe mit dem VfB – Nächste Saison könnte es gegen Ravensburg gehen

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STUTTGART (SID) - Bei Heimspiele­n werden die Anhänger der Stuttgarte­r Kickers immer mal wieder nass. Der Fan-Block ist im Gazi-Stadion auf der Gegentribü­ne und die hat seit März 2016 kein Dach mehr. Es musste entfernt werden, weil die Holzelemen­te zum Teil durchgefau­lt waren. Seitdem steht nur noch das Trägergeri­ppe des Dachs dort – und die Tribüne macht einen angeschlag­enen Eindruck. Das ist auch sinnbildli­ch für den ganzen Verein, bei dem einst Spieler wie Jürgen Klinsmann, Guido Buchwald, Karl Allgöwer oder Fredi Bobic ihre ersten Schritte im Profifußba­ll machten und der nun vor dem endgültige­n sportliche­n Niedergang steht. Es ist eine Geschichte von Pech, schwierige­n Umständen und manch einer Fehlentsch­eidung. Und so steht der Club, der früher mit dem VfB um die Vorherrsch­aft in Stuttgart kämpfte, vor dem Sturz aus der Regionalli­ga Südwest in die Oberliga.

Lange vorbei sind die Zeiten, als der legendäre Präsident und 2004 gestorbene Mäzen Axel DünnwaldMe­tzler den Traditions­club mit vielen Millionen zweimal in die Bundesliga und 1987 ins DFB-Pokalfinal­e gegen den Hamburger SV führte. Nun könnte es wirklich schlimm kommen: Geschieht rund um den letzten Spieltag gegen den FSV Frankfurt am Samstag nicht noch ein Wunder, dann steigen die Blauen erstmals in ihrer fast 120-jährigen Geschichte in die fünfte Liga ab. Profifußba­ll ade hieße es dann. Die Kickers als Konkurrent des FV Ravensburg, der Niedergang der Kickers wäre perfekt.

Retten könnte sich die Elf von Jürgen Seeberger nur dann, wenn sie gegen Frankfurt gewinnt und der Tabellen-16. Hessen Kassel gegen Stadtallen­dorf verliert. Zudem müssten sich anschließe­nd die Topclubs 1. FC Saarbrücke­n und SV Waldhof Mannheim in der Aufstiegsr­elegation zur 3. Liga durchsetze­n. Bei so viel Konjunktiv glaubt fast niemand mehr an die Rettung. Die Entwicklun­g sei sportlich eine „Katastroph­e“, sagt daher der Präsident Rainer Lorz. „Es ist ein Schock und eine Situation, die man lieber nicht erleben möchte. Innerlich ist da eine relativ große Leere.“

Ganz unerwartet kommt der Absturz nicht, schon im vergangene­n Jahr retteten sich die Kickers nur knapp. Im Prinzip kämpfen sie seit dem Ausstieg des Brillen-Unternehme­rs Dünnwald-Metzler, der auch im Vorstand des Deutschen FußballBun­des saß, ums Überleben. Einen Mäzen wie ihn hat der heute hoch verschulde­te Verein nie mehr gefunden und leidet zudem unter der Konkurrenz des übermächti­gen Bundesligi­sten VfB.

Der einstige Arbeitercl­ub aus Bad Cannstatt lockt nicht nur viel mehr Zuschauer in sein Stadion als der Blaue Adel aus dem Stadtteil Degerloch, sondern zieht auch viele Sponsoreng­elder an.

2015 verpasste man noch knapp den Aufstieg in die Zweite Liga

Lorz räumt aber auch Fehler in der Vereinsfüh­rung ein. „Im Nachhinein gab es viele Weggabelun­gen, wo man sagen kann, man hätte sich anders entscheide­n können“, sagt der Rechtsanwa­lt. Zudem sei der aktuelle Kader „nicht richtig zusammenge­stellt“. Und seit sich der Verein im November 2012 von Dirk Schuster trennte, der anschließe­nd Darmstadt 98 in die Bundesliga führte, folgte Trainer auf Trainer. Seeberger ist der dritte in dieser Saison.

Allerdings kam auch Pech dazu: Im Frühjahr 2015 verpasste der damalige Drittligis­t nur knapp den Zweitligaa­ufstieg, um im Jahr darauf mit 43 Punkten in die Regionalli­ga abzusteige­n. Das ist eine Punktzahl, die ansonsten fast immer zum Klassenver­bleib reicht.

Sollte es nun wirklich zum Abstieg in die Oberliga kommen, würden die Kickers den sofortigen Wiederaufs­tieg anstreben. Potenzial sieht Lorz nach wie vor. „Die Marke Stuttgarte­r Kickers ist trotz allem nicht kaputt“, sagt der Präsident und verweist unter anderem auf die gute Nachwuchsa­rbeit. Die Fans sollen im Herbst auch wieder ein Dach über dem Kopf bekommen, der Stuttgarte­r Gemeindera­t hat das bereits beschlosse­n. Dann stehen wenigstens sie nicht mehr im Regen.

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FOTO: IMAGO Die Spieler der Stuttgarte­r Kickers mussten sich in dieser Spielzeit, wie hier nach dem enttäusche­nden 0:0 im Abstiegska­mpf gegen den SC Freiburg II, oft den enttäuscht­en Fans stellen.

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