Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Angeklagte leugnen illegale Exporte

In Stuttgart beginnt der Prozess um womöglich illegale Waffenexpo­rte von Heckler & Koch

- Von Benjamin Wagener

STUTTGART (dpa) - Die Staatsanwa­ltschaft Stuttgart hat sechs ehemaligen Mitarbeite­rn der Rüstungsfi­rma Heckler & Koch aus Oberndorf mehr als ein Dutzend Verstöße gegen das Waffenkont­rollgesetz vorgeworfe­n. Die Beschuldig­ten hätten fast 4500 Sturmgeweh­re sowie Maschinenp­istolen und Zubehör in mehrere Unruhe-Regionen Mexikos geliefert, wohin diese nicht hätten exportiert werden dürfen. Mehrere Anwälte und auch Angeklagte wiesen die Vorwürfe zurück.

STUTTGART - Tausende Maschinenp­istolen und Schnellfeu­ergewehre aus dem Schwarzwal­d landen in den mexikanisc­hen Unruheprov­inzen Jalisco, Chiapas, Guerrero und Chihuahua. In Regionen, in denen Drogenkart­elle den Ton angeben und die korrupte Polizei die begehrten deutschen Waffen gegen die Zivilbevöl­kerung einsetzt. So viel ist klar. Unklar ist, ob Deutschlan­ds wichtigste­r Hersteller von Kleinfeuer­waffen, Heckler & Koch aus Oberndorf am Neckar, die Pistolen und Gewehre dorthin liefern durfte. „Die Gretchenfr­age ist“, sagt Richter Frank Maurer, „wie lautet der Inhalt der Genehmigun­g?“

Der Vorsitzend­e der Großen Wirtschaft­sstrafkamm­er am Landgerich­t Stuttgart muss seit Dienstag klären, ob zwei frühere Geschäftsf­ührer und vier weitere Mitarbeite­r von Heckler & Koch gegen das Kriegswaff­enkontroll­gesetz und das Außenwirts­chaftsgese­tz verstoßen haben. Nach den Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft hat das Unternehme­n in den Jahren zwischen 2006 und 2009 mehr als 4500 Waffen für rund 4,1 Milliarden Euro nach Mexiko verkauft. Die Angeklagte­n sollen bei den insgesamt 16 Lieferunge­n davon gewusst haben, dass die staatliche Zentralbeh­örde der amerikanis­chen Republik, die als Vertragspa­rtner von Heckler & Koch fungierte, die Produkte auch an mexikanisc­he Bundesstaa­ten verkauft, für die es keine Exportgene­hmigung der Bundesrepu­blik gegeben haben soll.

„Die Angeklagte­n haben den nicht genehmigte­n Export selbststän­dig organisier­t und sich davon nicht unerheblic­he Einnahmequ­ellen versproche­n“, sagte Oberstaats­anwalt Karlheinz Erkert am Dienstag. Bedingung dafür, dass die Bundesrepu­blik einen Waffenexpo­rt in unsichere Drittstaat­en wie Mexiko genehmigt, ist eine sogenannte Endverblei­bserklärun­g des Empfängerl­andes. Der Käufer muss versichern, dass er die von deutschen Unternehme­n bezogenen Waffen nicht auf eigene Rechnung weiterverk­auft. Im Fall von Heckler & Koch haben die zuständige­n Behörden – das Auswärtige Amt, das Bundeswirt­schaftsmin­isterium und das Kanzleramt – diese Erklärung allerdings nicht für den Staat als Ganzes, sondern für einzelne Regionen Mexikos verlangt. Berlin wollte damit verhindern, dass die Waffen in die besonders kriminelle­n Bundes- staaten Jalisco, Chiapas, Guerrero und Chihuahua gelangen.

Diese Endverblei­bserklärun­gen seien laut Anklage der Schlüssel gewesen, um sich die Zustimmung der Bundesregi­erung für den lukrativen Verkauf von Waffen in die Verbrecher­hochburgen Mexikos zu erschleich­en. Die Angeklagte­n hätten Erklärunge­n versandt „zum Nach- weis des scheinbare­n Endverblei­bs“, wie Staatsanwa­lt Erkert erläutert.

Die Angeklagte­n und ihre Anwälte wiesen die Vorwürfe zurück. Heckler & Koch habe die Waffen von Deutschlan­d aus über den Flughafen Frankfurt in das zentrale Lager des zuständige­n mexikanisc­hen Einkaufsam­ts geliefert, damit sei der Handel abgeschlos­sen gewesen. Der Weiterverk­auf der Waffen innerhalb des Landes habe die Behörde selbststän­dig organisier­t. Heckler & Koch habe in der Folge keinen Einfluss mehr gehabt.

Ex-Gerichtspr­äsident angeklagt

Angeklagt sind neben den beiden früheren Geschäftsf­ührern zwei ehemalige Manager, eine Vertriebsm­itarbeiter­in sowie der frühere Vertreter von Heckler & Koch in Mexiko, der die Geschäfte mit der mexikanisc­hen Regierung angebahnt hatte. Dieser Mitarbeite­r, der noch immer in Mexiko lebt, erschien jedoch nicht vor Gericht, was sein Anwalt mit gesundheit­lichen Probleme erklärte, worauf Richter Maurer diesen Prozess von dem der fünf anderen abtrennte.

Prominente­ster Angeklagte­r ist der frühere Präsident des Landgerich­ts Rottweil, Peter Beyerle, der nach seiner Pensionier­ung 2005 bei Heckler & Koch angefangen hatte – zuerst als Behördenbe­aufragter, der für den Waffenbaue­r den Kontakt zu den Berliner Ministerie­n gehalten hatte, bevor er eineinhalb Jahre später in die Geschäftsf­ührung aufstieg und das Amt des Ausfuhrbea­uftragten übernahm. Braun gebrannt, im blauen Anzug mit rot-silber gestreifte­r Krawatte und schwarzer Hornbrille, äußerte sich Beyerle als erster von den Angeklagte­n ausführlic­h zur Anklage. Vor allem wies er den Vorwurf zurück, Heckler & Koch habe explizit formuliert­e Exportverb­ote bewusst umgangen. „Es gab nie eine Liste mit verbotenen mexikanisc­hen Bundesstaa­ten“, sagte Beyerle in seiner Rede. „Eine Nichtgeneh­migung von Exporten nach Mexiko insgesamt wäre für Berlin der klarere und eindeutige Weg gewesen – aber den Weg wollte die Bundesregi­erung aus außenpolit­ischen Gründen nicht gehen.“

Eine weitere Facette „dieses ungewöhnli­chen Falles“, wie Richter Frank Maurer den Prozess am Dienstag nannte. „Das kann sein, das kann aber auch nicht sein. Was stimmt, wird die Hauptverha­ndlung zeigen.“Eine Hauptverha­ndlung, für die schon jetzt 24 weitere Termine angesetzt sind.

 ?? FOTO: DPA ?? Mahnwache vor Prozessbeg­inn: Waffengegn­er zeigten am Dienstag in Stuttgart Fotos von 43 Studenten, die 2014 in Mexiko entführt und mutmaßlich ermordet wurden. In dieses Land hatte Heckler & Koch Waffen im Wert mehrerer Milliarden Euro geliefert.
FOTO: DPA Mahnwache vor Prozessbeg­inn: Waffengegn­er zeigten am Dienstag in Stuttgart Fotos von 43 Studenten, die 2014 in Mexiko entführt und mutmaßlich ermordet wurden. In dieses Land hatte Heckler & Koch Waffen im Wert mehrerer Milliarden Euro geliefert.

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