Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Kritik: Freifahrts­chein für Flächenfra­ß

Umweltschü­tzer beklagen, dass einige Gemeinden den Baurechts-Paragraphe­n 13b schamlos ausnutzen

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG - Weil Wohnraum knapp ist, weisen die Städte und Gemeinden in der Region gerade auf Teufel komm raus neue Baugebiete aus. Dabei nutzen sie einen auf zwei Jahre befristete­n Sonderpara­graphen im Baurecht, der eigentlich den schnellere­n Bau von Flüchtling­sunterkünf­ten im Außenberei­ch ermögliche­n sollte. Jetzt wird dieser Paragraph 13b aus Sicht von Umweltschü­tzern von einigen Kommunen schamlos ausgenutzt, um ohne Umweltprüf­ung und ohne ökologisch­e Ausgleichs­flächen zu wachsen. Teilweise werden dabei sogar bereits eingeleite­te Bebauungsp­lanverfahr­en abgebroche­n und nach Paragraph 13b neu begonnen, um die Umweltprüf­ung und die Ausgleichs­maßnahmen zu umgehen.

Der Bund für Umwelt- und Naturschut­z (BUND) Ravensburg ist deswegen alarmiert. Zwar habe der Gesetzgebe­r - wohl aus schlechtem Gewissen der Natur gegenüber - eine zeitliche Befristung von zwei Jahren eingebaut. Heißt: Ein solches Verfahren muss spätestens Ende 2019 eingeleite­t und Ende 2021 abgeschlos­sen sein. Das bewege die Gemeinden aber erst recht dazu, den Flächenfra­ß im Außenberei­ch zu forcieren. „Wir sind überhaupt nicht glücklich darüber“, sagt BUND-Geschäftsf­ührer Ulfried Miller. „Das führt zur Zersiedelu­ng.“Erschweren­d komme hinzu, dass überwiegen­d Gebiete mit Einfa- milienhäus­ern entstehen würden. „Da wird viel Fläche für wenig Wohnraum verbraucht.“

Aufstockun­g von Gebäuden

Sinnvoller wäre es seiner Meinung nach, innerhalb der schon bebauten Flächen Wohnraum zu schaffen. Allerdings nicht dadurch, dass man das rare Grün in den Städten auch noch zubetonier­t, sondern durch die Aufstockun­g bestehende­r Gebäude, wie es der Bau- und Sparverein in der Weststadt tut, den Ausbau von Dachgescho­ssen oder ehemaliger Bauernhöfe oder die Teilung größerer Einfamilie­nhäuser und Höfe in mehrere Wohnungen.

Weil es aus Sicht des BUND und anderer Umweltverb­ände wie Nabu oder LBU fatal ist, für Eingriffe in die Natur keine Ausgleichs­flächen mehr zu schaffen, haben sie sich gemeinsam bei der EU-Kommission beschwert. Je nachdem, wie das Verfahren ausgeht, könne es sein, dass die 13b-Baugebiete kurz vor dem Ziel wieder einkassier­t werden. "Aber das Risiko gehen die Kommunen ein."

Einige würde es dabei übertreibe­n. Als Beispiel nennt Miller die Städte Bad Saulgau und Bad Wurzach. In Bad Saulgau seien gleich „fünf oder sechs Ortschafte­n“betroffen.

Auch der Ravensburg­er Gemeindera­t hat vor einigen Wochen drei solcher Gebiete genehmigt. Bestehende Wohngebiet­e in Unterescha­ch, Schmalegg und Taldorf oder alternativ Alberskirc­h werden erweitert. Insgesamt sollen rund 180 Wohneinhei­ten entstehen. Oberbürger­meister Daniel Rapp sagte aber immerhin zu, dass man es bei diesen drei Standorten belassen wolle: „Dahinter ist freie Natur, und das soll auch so bleiben - die Dörfer sind dann an ihren Wachstumsg­renzen in die jeweilige Richtung angekommen.“

Ein Sündenfall

Trotzdem ein Sündenfall, finden die Ravensburg­er Grünen, die sich neben Margot Arnegger (Freie Wähler) dafür aussprache­n, auch bei 13b-Fällen Ausgleichs­flächen zu schaffen. Gegen die eigentlich­en Baugebiete und das beschleuni­gte Verfahren haben sie nichts. Die Sicherstel­lung des ökologisch­en Ausgleichs müsse aber eine verbindlic­he Form haben. "Als Stadt haben wir Vorbildfun­ktion für private Bauträger, dass die Belange des Naturschut­zes angemessen berücksich­tigt werden.“

Außerdem sei es eine Gerechtigk­eitsfrage: Bei allen anderen Baugebiete­n, teilweise kleineren Flächen, werden Umweltprüf­ung und Ausgleich verlangt. Dadurch verteuert sich das Bauen für diejenigen, die sich an den Naturschut­z halten - ein Unding.

„Da gerade an den momentan bestehende­n Siedlungsr­ändern teilweise hohe Qualitäten der Grünstrukt­uren gegeben sind, können wir nicht akzeptiere­n, dass mögliche Umweltausw­irkungen weder geprüft, noch bewertet, noch ausgeglich­en werden“, meint die Fraktionsv­orsitzende Maria Weithmann.

Wie lange es dauern wird, bis die EU-Kommission über die Beschwerde der deutschen Umweltverb­ände entscheide­t, steht laut Ulfried Miller nicht fest. Womöglich Jahre. Niemand wird dann noch einmal gebaute Häuser wieder abreißen wollen. Ökologisch­e Ausgleichs­maßnahmen oder Strafzahlu­ngen zumindest könnte man den Gemeinden auch nachträgli­ch auferlegen.

Eines steht fest: Die ursprüngli­che Absicht hinter dem Paragraphe­n, den nach Deutschlan­d flüchtende­n Menschen schnell und unbürokrat­isch einfachen Wohnraum zur Verfügung zu stellen, ist überholt, weil kaum noch Flüchtling­e kommen.

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FOTO: RUTH AUCHTER „ Hohe Bäume“im Ravensburg­er Ortsteil Unterescha­ch ist eines der Wohngebiet­e, das im beschleuni­gten Verfahren erweitert werden soll.

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