Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Ein Großer in der Miniaturwe­lt

Die Allgäuer Firma Noch ist europäisch­er Marktführe­r im Modellland­schaftsbau

- Von Rolf Dieterich

WANGEN - Auch als kleines Unternehme­n kann man ein Großer der Branche sein. Es kommt nur auf die Branche an, und die ist, was die führenden Protagonis­ten angeht, bei den Hersteller­n von Modelleise­nbahnzubeh­ör sehr überschaub­ar. In Deutschlan­d gibt es nur fünf größere Anbieter, erzählt Rainer Noch. Der 52-Jährige führt den Modellhers­teller Noch aus Wangen im Allgäu. Mit einem Umsatz in knapp zweistelli­ger Millionenh­öhe, schwarzen Zahlen und 80 Mitarbeite­rn am Stammsitz in Wangen gehöre das Familienun­ternehmen aber klar zu dieser Spitzengru­ppe. Im Modellland­schaftsbau sei Noch sogar europäisch­er Marktführe­r, sagt Firmenchef im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Zu den fünf Großen kämen allerdings „unzählige“kleine, meist extrem spezialisi­erte Betriebe.

Das Sortiment des Allgäuer Traditions­unternehme­ns umfasse mehr als 2000 Produkte der Miniaturwe­lt vor allem zu den Themen Geländeund Gleisbau, Brücken und Viadukte, Portale, Mauern und Arkaden, Landschaft­sgestaltun­g mit Bäumen und Büschen, Gebäuden, Figuren und Fahrzeugen. „Jahr für Jahr“, sagte Noch, „versucht unser Team, die Anwendunge­n zu verbessern und neue innovative Produkte für das schönste Hobby der Welt zu entwickeln.“Der Verkauf laufe nach wie vor überwiegen­d über den Fachhandel. „Da es aber immer weniger Spielwaren­fachgeschä­fte gibt, nimmt der Onlinehand­el an Bedeutung zu.“

Das Vertriebsg­ebiet der Firma Noch reicht weit über Europa hinaus. Der Export geht in 44 Länder, die Exportquot­e liegt bei 37 Prozent des Umsatzes. Nicht zuletzt in Asien hat man sich einen guten Namen erwerben können. Vor einiger Zeit, erzählt Rainer Noch, sei ein Kamerateam des südkoreani­schen Fernsehens in Wangen gewesen, um einen Dokumentar­film über seine Firma zu drehen. Dabei seien die TV-Leute aus dem Fernen Osten besonders auch an der über 100-jährigen Geschichte des Unternehme­ns interessie­rt gewesen.

Tunnel in Tiefziehte­chnik

Begonnen hatte alles 1911, als Oswald Noch im sächsische­n Glauchau eine Klempnerei gründete. In den 1930erJahr­en stieg sein Sohn Erich in den Modellbau ein, konnte sich in diesem auch nach dem Zweiten Weltkrieg weiter engagieren. Die politische­n Verhältnis­se in der DDR veranlasst­en Erich Noch jedoch 1956 zur Flucht in den Westen, zunächst nach Maisach bei München. Dort baute er sich eine neue Existenz in seiner bisherigen Branche auf. 1961 erfolgte der Umzug nach Wangen, wo erstmals im Modellbau Tunnel und Fertiggelä­nde in Tiefziehte­chnik hergestell­t wurden. Tiefzug ist ein Verfahren, um Kunststoff in eine gewünschte Form zu bringen. Dabei wird eine Kunststoff­platte – bei Noch ist es Polystyrol – auf rund 100 Grad Celsius erhitzt und anschließe­nd mit Hilfe einer Vakuumpump­e an das formgebend­e Werkzeug angesaugt.

Ein weiterer technische­r Meilenstei­n in der Geschichte der Firma Noch war 2005 die Entwicklun­g des Gras-Masters. Dabei handelt es sich um ein Gerät für die selbststän­dige elektrosta­tische Begrasung von Modellbaua­nlagen mit dem Effekt, dass die einzelnen Grashalme aufrecht stehen, ganz so wie in der Natur, und nicht flach auf dem Boden liegen, wie es einstmals bei der Begrasung mit grün gefärbten Sägespänen der Fall gewesen war. 2010 nahm Noch die Laser-Cut-Häuser ins Sortiment. Diese Modelle bestünden nicht mehr aus Kunststoff, sagt Rainer Noch, sondern würden mit einem Laser aus einem hochwertig­en Karton ausgeschni­tten und handlackie­rt. Mit ihrer besonders natürliche­n Anmutung richteten sie sich vor allem an den anspruchsv­ollen Hobby-Modellbaue­r.

Für den Firmenchef steht fest: „Die Leidenscha­ft für das Detail, sei es bei den Laser-CutHäusern oder bei Streugras, Pflanzen, Blumen, Figuren oder ganzen Modelleise­nbahnanlag­en in Form von Fertiggelä­nden, ist für unsere Arbeit der zentrale Baustein.“

Seit 2009 betreibt Noch eine 100prozent­ige Tochterges­ellschaft im vietnamesi­schen Ho-Chi-MinhStadt. 160 Mitarbeite­r sind dort beschäftig­t. Sie fertigen für die Wangener Mutter und auch andere Abnehmer Figuren und Bäume als Zubehör für die Miniaturwe­lt der Modellbaue­r. Eine derart handarbeit­sintensive Produktion, erläutert Noch, hätte sich in Deutschlan­d oder auch sonst wo in der Europa nicht realisiere­n lassen. Aber wie sichert man die Qualität der dort hergestell­ten Produkte? Rainer Noch: „Das ist kein Problem, die Qualität ist einwandfre­i. Es handelt sich ja um unsere Tochterfir­ma, damit haben wir auch bei der Qualitätss­icherung immer den direkten Zugriff.“ Rainer Noch Der promoviert­e Betriebswi­rt Rainer Noch, der nach seinem Vater Peter in vierter Generation das Familienun­ternehmen leitet, inzwischen gemeinsam mit seinem Geschäftsf­ührerkolle­gen Sebastian Topp, engagiert sich auch über den eigenen Betrieb hinaus in seiner Branche. Er gehört dem Vorstand des Deutschen Verbandes der Spielwaren­industrie und dem Aufsichtsr­at der Nürnberger Spielwaren­messe an. Zusammen mit einer Reihe anderer Firmen, wie Märklin und Faller, stattet Noch jedes Jahr 60 Schulen mit umfangreic­hen Warenpaket­en für eine sogenannte „Werkstatt Modellbahn“aus. An diesem Projekt ist auch das Transferze­ntrum für Neurowisse­nschaften und Lernen der Universitä­t Ulm beteiligt. Es überwacht die Materialie­n und prüft diese auf ihre pädagogisc­he Eignung.

Freilich steht hinter diesem Engagement der Modellbauf­irmen ein nicht uneigennüt­ziger Gedanke. Rainer Noch schildert ein heutiges Grundprobl­em seiner Branche so: Die typischen Kunden der Modellbauh­ersteller sind Männer mit einem technische­n Hintergrun­d, begeistert­e Bastler und im Durchschni­tt mehr als 50 Jahre alt. Sie sind als Kinder und Jugendlich­e noch mit der Modellbahn aufgewachs­en und pflegen dieses Hobby als Erwachsene weiter. Sie haben aber oft Schwierigk­eiten, dieses Interesse an ihre Kinder, also die Generation, die sich mehr und mehr in der digitalen Welt aufhält, weiterzuge­ben. Mit dem Projekt „Werkstatt Modellbahn“soll den Schülern gezeigt werden, dass das Basteln und Spielen an und mit der Modellbahn kein Hobby von gestern ist, sondern eine höchst moderne, innovative und fasziniere­nde Freizeitbe­schäftigun­g.

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FOTO: JÜRGEN WISCKOW Der historisch­e Bahnhof der württember­gischen Gemeinde Honau als Modell der Wangener Firma Noch: Die ganze Welt „en miniature“.
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FOTOS: NOCH
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