Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Nackedei-Künstler zieht vor Klinikum blank
Dieter Albrecht lässt am Klinikum die Hüllen fallen – Amtsrichter ordnet Geldstrafe an
FRIEDRICHSHAFEN - Es war der 26. Oktober 2017, 14.30 Uhr. Der Rottweiler Künstler Dieter Albrecht hat im Häfler Klinikum einen Termin wegen seiner Hüfte. Dem Haupteingang zustrebend, entdeckt er vor dem Haus eine Manns-Skulptur – und kann nicht anders. Er läuft zurück zum Auto, holt Stativ und Kamera, baut beides auf und tut das, was er schon in Berlin, Stuttgart und Prag getan hat. Er wartet ab, bis kaum Personen zu sehen sind, entledigt sich seiner Bekleidung, stellt sich neben die Skulptur und wartet auf den Auslöser. 30 Sekunden später ist alles vorbei. Wieder angezogen stand er am Freitag vor dem Amtsrichter. Ein junger Mann hat ihn angezeigt.
Wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses, wegen grob ungehöriger Handlung und Belästigung der Allgemeinheit, hat ihm die Stadt Friedrichshafen einen Bußgeldbescheid über 60 Euro geschickt. Den will Albrecht nicht bezahlen. Er erhebt Einspruch und zieht vor Gericht. Das erste Mal. Obwohl er in der Öffentlichkeit immer wieder posiere, habe er solchen Ärger noch nie gehabt, sagte er der SZ.
Der 53-Jährige sammelt Kunst, ist Mitglied im Kunstverein, begann vor Jahren, Skulpturen in Mimik, Gestik und Körperhaltung nachzustellen. So hätten die Skulpturen plötzlich eine ganz andere Wirkung entfaltet. Diese Erfahrung war der Start seiner künstlerischen Tätigkeit, berichtete der ehemalige Landesvorsitzende der Freien Wähler dem Richter, Christian Pfuhl. Der hatte Mühe, die ausschweifenden Erzählungen zu notieren. Ausgerechnet an diesem Tag fehlte ihm die Protokollantin.
Albrecht hat seine Kamera immer dabei. Wo er Skulpturen entdeckt, stellt er den Selbstauslöser ein und bringt oft einen Fotografen mit, um „Kunstwerke“zu schaffen. So auch vor dem Klinikum in Sichtweite zum Mutter-Kind-Zentrum (MKZ), wo ihm diese „unheimlich beeindruckende Skulptur“ins Auge sprang. Albrecht zögert nicht lang, schießt bekleidet Probeaufnahmen – und nach weiteren 30 Sekunden im nackten Zustand ist alles vorbei. Umgehend habe er sich wieder angezogen. Dass sich das Mutter-Kind-Zentrum im direkten Umfeld befand, will er erst später bemerkt haben. Sobald Kinder in der Nähe seien, mache er diese Fotos nicht, versicherte er. Denn er sei kein „unanständiger Nackter“, habe mit Sexismus nichts am Hut und wolle nicht provozieren. Er wundere sich über den Zeugen der ihn anzeigte. Anfangs habe er noch ganz vernünftig mit ihm gesprochen, ehe es zum überhitzten Dialog kam.
Nie zuvor habe er Ärger mit Behörden gehabt, nie eine Strafe bezahlen müssen, bisher sei er nur auf positive Resonanz gestoßen, behauptete er, und: „Was ich mache, ist keine Straftat“, sondern „künstlerisches Schaffen“. Bekleidet könne er nun mal nicht neben einer nackten Skulptur stehen. Das wäre keine Kunst. Hätte die Skulptur vor dem Haupteingang gestanden, hätte er sich’s zweimal überlegt, sich auszuziehen. Der anzeigende Zeuge habe dagegen berichtet, Albrecht hätte ihm gesagt, wegen seiner Aktionen schon öfter ein Bußgeld von 20 Euro bezahlt zu haben.
Nach Urteilsverkündung geht’s auf Wohnwagenreise
Fotos in Farbe und schwarzweiß mit seinen Skulpturen-Bildern blättert Albrecht vor dem Richter auf und kündigt an, seine Aktionen fortzusetzen. Er zitiert BVG-Urteile zur freien schöpferischen Gestaltung und aus einer Lehrschrift von Papst Johannes Paul II, in dem die Nacktheit als nichts Unanständiges bezeichnet wird. Kunst provoziere immer, sie liege im Sinne des Betrachters. Für Albrecht ist das, was er tut, „eindeutig Kunst“. Und er plädiert dafür, dass das Ordnungswidrigkeitsgesetz und der Ordnungsamts-Mitarbeiter Kunst nicht verhindern.
Was ihr Mandant tue, sei Kunst, plädierte auch Verteidigerin Miriam Mager auf Freispruch. Der kündigte an, seine Kunst ungehindert weitermachen zu wollen - ohne eine Verurteilung wegen einer begangenen Ordnungswidrigkeit.
Richter Christian Pfuhl verurteilt den Künstler wegen Belästigung der Allgemeinheit und Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung zum Zahlen der Geldbuße über 60 Euro. „Sie drängen anderen Menschen ihre Nacktheit auf“, sagte er. Es müsse zwischen Kunst und anderen Grundrechten abgewogen werden. Die Entscheidung sei für diesen konkreten Einzelfall zu sehen.
Albrecht will eine Nacht darüber schlafen, ob er das Urteil annimmt. Und über Pfingsten mit dem Wohnwagen wegfahren.