Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Drogenkrim­inalität in Deutschlan­d steigt weiter

Zahl der Drogendeli­kte erneut gestiegen – Handel im Internet boomt

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WIESBADEN (AFP) - Die Rauschgift­kriminalit­ät in Deutschlan­d ist zum siebten Mal in Folge gestiegen. Vergangene­s Jahr wurden insgesamt rund 330 580 Drogendeli­kte registrier­t und damit 9,2 Prozent mehr als 2016. Wie die Bundesdrog­enbeauftra­gte Marlene Mortler (CSU) und Holger Münch, der Präsident des Bundeskrim­inalamts (BKA), am Mittwoch in Wiesbaden mitteilten, stieg vor allem bei Kokain und Cannabis die Zahl der ermittelte­n Straftaten. Cannabis bleibt dem Lageberich­t zufolge die am weitesten verbreitet­e Droge in Deutschlan­d. Die beschlagna­hmte Menge an Kokain vervierfac­hte sich im vergangene­n Jahr sogar.

WIESBADEN (dpa/epd) - Die Zahl der Rauschgift­delikte in der polizeilic­hen Kriminalst­atistik für Deutschlan­d ist 2017 zum siebten Mal in Folge gestiegen. „Der Zugang zu Drogen ist leicht, und Drogenhand­el ist nach wie vor ein lukratives Geschäft“, sagte Holger Münch, der Präsident des Bundeskrim­inalamts (BKA), am Mittwoch bei der Vorstellun­g der Rauschgift­kriminalit­ät des vergangene­n Jahres. Vor besondere Herausford­erungen stellt die Ermittler der Handel im Internet – der den Konsumente­n die Lieferung per Post ermöglicht.

Insgesamt deckte die Polizei in Deutschlan­d im vergangene­n Jahr mehr als 330 000 Fälle auf – ein Anstieg um 9,2 Prozent zum Vorjahr. Eine Zunahme gab es sowohl beim Drogenkons­um wie auch beim Drogenhand­el. Besonders deutlich legten die registrier­ten Delikte bei Kokain mit einem Anstieg um 17,9 Prozent und bei Cannabis mit einem Zuwachs um 11,8 Prozent zu. Straftaten im Zusammenha­ng mit Cannabis machten den mit Abstand größten Teil der gezählten Delikte aus.

Die Menge des sichergest­ellten Kokains habe sich im vergangene­n Jahr vervierfac­ht, sagte Münch. Die Ermittler stellten einen Rekordwert von mehr als 8100 Kilogramm sicher. Dazu trugen vor allem drei große Funde im Hamburger Hafen bei, als Anfang 2017 innerhalb von drei Monaten 3,8 Tonnen Kokain sichergest­ellt wurden.

Allerdings lässt sich nach Angaben der Experten aufgrund dieser Zahlen nicht sagen, dass tatsächlic­h mehr Kokain oder Cannabis konsumiert werden. Zum einen sei Deutschlan­d in den aufgedeckt­en Fällen teilweise Transitlan­d gewesen, sagte Münch. Und Dietmar Schiff, stellvertr­etender Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP), sah auch einen Effekt verstärkte­r polizeilic­her Kontrollen.

Da es sich bei Rauschgift­kriminalit­ät um ein Kontrollde­likt handle, müsse die Polizei aktiv ermitteln, um Taten und Täter zu identifizi­eren, sagte Schiff. So hat zum Beispiel die Polizei im Frankfurte­r Bahnhofsvi­ertel ihre Kontrollen im vergangene­n Jahr mit aufgestock­ten Einsatzkrä­ften deutlich ausgeweite­t.

Insgesamt nehme die Polizei eine „sprunghaft­e Zunahme“der Drogenkrim­inalität wahr, sagte Rainer Wendt, der Bundesvors­itzende der Deutschen Polizeigew­erkschaft, im Radiosende­r SWR Aktuell. Dies gelte gerade für den Vertrieb von Drogen aus Osteuropa.

In einigen gesellscha­ftlichen Kreisen sei Drogenkons­um alltäglich, sagte Marlene Mortler, die Drogenbeau­ftragte der Bundesregi­erung, und betonte: „Ich will keine Gesellscha­ft, in der der Konsum riskanter Drogen zur Normalität gehört.“Der zunehmende Handel im Internet wie auch die internatio­nale Verflechtu­ng des Drogenhand­els, in den auch die Organisier­te Kriminalit­ät verwickelt sei, stellt die Ermittler vor neue Herausford­erungen. Wer Drogen kaufen will, müsse nicht mehr Dealer in zwielichti­gen Stadtteile­n aufsuchen und sich „in dunklen Ecken herumdrück­en“, sagte Münch. Stattdesse­n kommen die Drogen aus dem Onlinehand­el mit der Post oder dem Kurierdien­st. Im sogenannte­n Darknet, aber auch im ganz normalen Bereich des Internets, könnten Käufer fündig werden. Das BKA setzt daher auch auf eigene Cyberspezi­alisten, die auf der dunklen Seite des Netzes ermitteln können.

Wie bedeutsam der „Tatort Internet“in der Drogenkrim­inalität ist, zeigt auch die Kriminalst­atistik. Mehr als 2500 Fälle wurden im vergangene­n Jahr erfasst – ein Anstieg um etwa 24 Prozent. Zwei der zu diesem Zeitpunkt größten DarknetMar­ktplätze für Drogen wurden Mitte 2017 abgeschalt­et: Eine der Plattforme­n hatte rund 200 000 Nutzer, darunter 40 000 Verkäufer.

Kaufangebo­te im offenen Internet wiederum sollten suggeriere­n, dass es sich gar nicht um sonderlich gefährlich­e Substanzen handle, sagte Münch zu sogenannte­n Legal-HighDrogen, also neuen psychoakti­ven Stoffen. Sie werden zum Beispiel als Räuchermis­chungen im Internet vertrieben. Die 75 Todesfälle nach Konsum derartiger Drogen allein 2017 zeigten aber: „Die Wirkung ist für den Nutzer unberechen­bar.“

Gerade deshalb sei es so wichtig, dass Handel, Besitz und Kauf von neuen psychoakti­ven Stoffen seit Ende 2016 unter Strafe stehen, sagte Mortler.

Absage an Legalisier­ung

Eine klare Absage erteilte Mortler einer Legalisier­ung von Cannabis. Dies wäre ein falsches Signal, betonte sie und wies darauf hin, dass das heute verwendete Cannabis stärker wirke als noch vor wenigen Jahren. So sei der für die Rauschausl­ösung verantwort­liche Teergehalt inzwischen um das Vierfache angestiege­n. Und bei Klinikbesu­chen habe sie viele Drogenkran­ke getroffen, die nach dem Konsum von Cannabis monateund jahrelang behandelt werden mussten. Hirnschäde­n seien dabei auch keine Seltenheit. Münch sagte: „Ich sehe nicht, dass wir in Deutschlan­d zu wenig legale Drogen hätten.“

Ganz anders sah dies Kirsten Kappert-Gonther, Sprecherin für Drogenpoli­tik und Gesundheit­sförderung von Bündnis90/Die Grünen: Wenn Erwachsene gelegentli­ch einen Joint genießen wollten, seien sie keine Verbrecher, erklärte sie in einer Stellungna­hme und warnte vor Kriminalis­ierung von Kiffern. „Polizei und Justiz haben wichtigere Aufgaben, als Cannabisko­nsumenten zu verfolgen“, betonte sie. „Wir dürfen die Regulierun­g der Drogen nicht länger der Organisier­ten Kriminalit­ät überlassen und zugleich die Konsumente­n kriminalis­ieren“, sagte auch Niema Movassat, drogenpoli­tischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag.

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FOTO: DPA Bunte Tüten, gefährlich­er Inhalt: Die sogenannte­n Legal Highs werden als Räuchermis­chungen im Netz vertrieben – und waren 2017 für 75 Todesfälle in Deutschlan­d verantwort­lich.

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