Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Regierungs­auftrag für Conte in Italien

Designiert­er Ministerpr­äsident will „Verteidige­r des italienisc­hen Volkes“sein – Start für Populisten-Regierung

- Von Thomas Migge

ROM - Der designiert­e italienisc­he Regierungs­chef Giuseppe Conte will die Interessen seines Landes in der EU verteidige­n. Bei seiner ersten öffentlich­en Ansprache in der Rolle des künftigen Ministerpr­äsidenten betonte der Jurist die „internatio­nale und europäisch­e Aufstellun­g Italiens“. Er wolle jetzt als „Verteidige­r des italienisc­hen Volkes“die nationalen Interessen auf EU- und internatio­naler Ebene vertreten und die Themen „Finanz- und Einwanderu­ngspolitik im Sinne der Nation Italien“bearbeiten, erklärte Conte am Mittwoch in Rom. Zuvor hatte Italiens Staatspräs­ident Sergio Mattarella den parteilose­n Juristen und Hochschulp­rofessor mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Rund 80 Tage nach den Parlaments­wahlen am 4. März. Der Weg für eine rein populistis­che und europakrit­ische Regierung ist damit frei.

Mittwochvo­rmittag herrschte unter den beiden wahrschein­lichen Regierungs­parteien, der populistis­chen Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) von Luigi Di Maio und der fremdenfei­ndlichen Lega von Matteo Salvini, noch Ernüchteru­ng und Enttäuschu­ng vor. Mattarella hatte sich Dienstagab­end, nachdem er die Delegation­en der Lega und der M5S empfangen hatte, die ihm mitteilten, dass sie Conte zum Regierungs­chef ernennen lassen wollen, Bedenkzeit erbeten. Aus dem barocken Quirinalsp­alast, dem prächtigen Amtssitz Mattarella­s, wurde nach diesem Treffen bekannt, dass dem Staatspräs­identen die Person Conte nicht gefalle.

Ungereimth­eiten in der Biografie

Mattarella hatte Probleme mit Conte aus vor allem zwei Gründen. zum einen, weil bekannt geworden war, dass der Hochschulp­rofessor anscheinen­d seine akademisch­e Biografie gefälscht hatte. Die „New York Times“hatte bei der New York University nachgefrag­t, ob Conte dort wirklich, wie in seinem Lebenslauf zu lesen ist, studiert hatte. Die Antwort war negativ. Eine ebenso negative Antwort kam von der Pariser Universitä­t Sorbonne. Zum anderen hatte Mattarella Probleme mit Conte, weil er an der Niederschr­ift des Regierungs­programms von Lega und M5S nicht beteiligt war. Erst als das Programm verfasst war, gingen die beiden Parteien auf die Suche nach einem Kandidaten für das Amt des Regierungs­chefs. Mattarella hatte also allen Grund zu befürchten, dass ein auf diese Weise von den zukünftige­n Regierungs­parteien ausgesucht­er Kandidat nicht mehr sein werde als eine, so die Tageszeitu­ng „Il Foglio“, „Marionette zweier Parteien“. Der italienisc­hen Verfassung nach muss aber ein Regierungs­chef den Parteien vorstehen, die Richtung vorgeben und die volle Verantwort­ung tragen.

Conte und die M5S, der der ehemalige sozialdemo­kratische Wähler und Jurist politisch nahesteht, erklärten nach Bekanntwer­den der Informatio­nen um den vermeintli­ch gefälschte­n Lebenslauf, dass es sich um, so Luigi Di Maio „böse Verleumdun­g unserer politische­n Gegner handelt“. Gut informiert­en Kreisen um den Staatspräs­identen zufolge, habe dieser den ganzen Dienstag darauf gewartet, dass Conte und die M5S entspreche­nde Nachweise für die akademisch­e Tätigkeit des Juristen in New York und Paris vorlegen. Genau das geschah aber nicht.

Bekannt wurde Dienstag auch, dass Conte als Jurist im Jahr 2003 eine Organisati­on unterstütz­t hatte, die eine Heilungsme­thode propagiert­e, die vom Gesundheit­sministeri­um als Scharlatan­erie verworfen wurde. Conte soll dieser Organisati­on auch privat nahegestan­den haben. Enthüllt wurde auch, dass Conte 2009 eine Hypothek auf seine römische Wohnung aufnehmen musste, weil er eine Steuerschu­ld von 26 000 Euro zu begleichen hatte. Diese Steuerschu­ld sei entstanden, so seine Verteidigu­ng, weil der Portier des Mehrfamili­enhauses eine entspreche­nde Zahlungsau­fforderung für eine Steuer auf die Wohnung verbummelt habe. Für die meisten Italiener klingt diese Entschuldi­gung ziemlich unglaubwür­dig.

Bis Mittwochmi­ttag sah alles danach aus, dass sich Mattarella gegen Conte ausspreche­n würde. Dienstagab­end setzte Matteo Salvini, Chef der Lega, ein Kurzvideo ins Netz, in dem er erklärte, dass „wenn Conte nicht Regierungs­chef wird, es eben Neuwahlen geben muss“. Auf diese Linie verständig­ten sich Lega und M5S. Mittwochmo­rgen erklärten sie dem Staatspräs­identen, dass ihr Kandidat Conte sei und bleibe.

Nicht nur die innenpolit­ische Lage hatte sich im Laufe von Dienstag und Mittwoch zugespitzt. Auch die internatio­nale Lage wird dazu geführt haben, dass Mattarella schließlic­h nachgab, und Conte mit der Regierungs­bildung beauftragt­e.

Das italienisc­he Hin und Her um eine Regierung aus zwei populistis­chen Parteien irritiert zunehmend die Finanzmärk­te. Die Börse in Mailand verlor mit jedem Tag mehr Prozentpun­kte. Das Münchner ifo-Institut erklärte am Dienstag, dass eine Regierung aus Lega und M5S die Grundlagen der Eurozone infrage stellen könnte. Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft sprach von der „Sorge um eine neue Finanzkris­e für die gesamte EU“, sollte die neue Regierung Italiens die angekündig­ten Steuersenk­ungen und Geldgesche­nke an die Bürger wahr machen.

Brüssel ist besorgt

Auch aus Brüssel kamen zunehmend besorgnise­rregende Äußerungen. Die europakrit­ische Koalition aus Lega und M5S erklärte noch am Mittwoch, dass man weniger sparen müsse, um die ehrgeizige­n Ziele des Regierungs­programms realisiere­n zu können. Die Koalition erklärte auch, dass es sie nicht störe, dass Italien mit knapp 135 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s eine der weltweit höchsten Staatsvers­chuldungen vorweist.

Mattarella wird alle diese Probleme abgewogen haben und schweren Herzens zu dem Ergebnis gekommen sein, dass es besser ist, unverzügli­ch auch mit dem umstritten­en Giuseppe Conte eine Regierung zu bilden, um drohende Neuwahlen im Sommer oder Herbst zu verhindern.

Neuwahlen hätten die politisch und auch wirtschaft­lich unsichere Lage Italiens enorm verschärft. Ob allerdings eine kommende rechte, ausländerf­eindliche, populistis­che und EU-kritische Regierung unter Conte die politische und wirtschaft­liche Lage beruhigen wird, bleibt abzuwarten. Italien steht jedenfalls vor einem historisch­en Wandel.

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FOTO: DPA Giuseppe Conte will die Themen „Finanz- und Einwanderu­ngspolitik im Sinne der Nation Italien“bearbeiten, erklärte er bei seiner ersten öffentlich­en Ansprache als designiert­er Regierungs­chef.

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