Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Merkel zwischen den Fronten
Schwierige Reise der Bundeskanzlerin nach Peking
PEKING/BERLIN (dpa) - Verkehrte Welt: Bei ihrer elften China-Reise wird Kanzlerin Angela Merkel (CDU) für das Atomabkommen mit Iran und mehr Offenheit im Handel werben. Es ist eine Charmeoffensive mit Haken. In den Spannungen zwischen China und den USA kann sich Deutschland vor Umarmungen durch die Führung in Peking kaum retten. Der vielbeschäftigte Staatsund Parteichef Xi Jinping und Premier Li Keqiang waren trotz ihrer vollen Terminkalender sehr flexibel, um den Besuch von Merkel so schnell wie möglich nach ihrer Regierungsbildung einzurichten. Deswegen ist aber keineswegs alles bestens in den deutsch-chinesischen Beziehungen - die Reibung in der Kooperation zwischen Berlin und Peking nimmt eher zu.
Die Gewichte verschieben sich
So muss Merkel bei ihrem China-Besuch am Donnerstag und Freitag eine komplexe Formel lösen: „Das Dreiecksverhältnis in der Bipolarität“, wie es in Peking gerne genannt wird. Heißt also: Wie geht die Kanzlerin mit den zwei schwierigen und unbequemen Partnern in Washington und Peking um? Und besteht die Gefahr, dass Deutschland und die Europäer in dem Konflikt der zwei größten Wirtschaftsnationen zerrieben werden?
Die Gewichte in der Welt verschieben sich unter US-Präsident Donald Trump. Für China zeigt sich dessen neue Gangart im Handelskonflikt, im Territorialstreit im Südchinesischen Meer und im Umgang mit der Demokratie in Taiwan, das Peking als Teil Chinas betrachtet. Und was bleibt von dem Atomabkommen mit Iran übrig – jetzt, wo Trump ausgestiegen ist und mit scharfen Sanktionen droht? Wie riskant ist das Spiel mit Kim Jong-un, wenn der Machthaber Nordkorea erstmal als Atomwaffenstaat anerkannt haben will, bevor es – irgendwann mal – an atomare Abrüstung gehen kann? Zweimal hat Kim schon Xi besucht, der nicht nur einen anderen Kurs, sondern auch ein langsameres Tempo im Atomkonflikt einschlagen will als Trump.
In dem schwierigen Dreier-Zweier-Verhältnis will Merkel Fäden in der Hand behalten, ohne sich instrumentalisieren zu lassen. Durch die oberflächliche Annäherung der USA und Chinas, Strafzölle vermeiden zu wollen, ist die Gefahr im Handelskonflikt erstmal etwas gebannt. Aber Chinas Führung wird sich bei Merkels Visite ein neues Plädoyer gegen Protektionismus nicht verkneifen können – und damit übertünchen, dass ihre eigene Wirtschaft weiter verschlossen ist.
Die Kanzlerin lehnt Trumps raue Methoden im Handelsstreit zwar ab, teilt aber durchaus die Klagen über mangelnden Marktzugang, zunehmend erzwungenen Technologietransfer und unzureichenden Schutz geistigen Eigentums in China. Zwar wächst der Handel und wird bald die 200-Milliarden-Euro-Marke überschreiten. Aber auch die Spannungen werden größer. Nie zuvor haben sich deutsche Geschäftsleute in China so wenig willkommen gefühlt wie heute, haben Umfragen ergeben.
Mit seiner ehrgeizigen „Made in China 2025“-Strategie strebt China die Technologieführerschaft in der Welt an – auch durch Verdrängung der Konkurrenz und Zukäufe ausländischer oder besonders deutscher Hi-Tech-Firmen mit der Unterstützung staatlicher Banken. Der Widerstand gegen chinesische Investitionen wächst – vor allem dann, wenn es um sicherheitsrelevante Bereiche und die Sorge vor Wirtschaftsspionage der Chinesen geht. Sie wolle „auch im Handel über reziproken Zugang sprechen und die Fragen des geistigen Eigentums“, sagte Merkel am Samstag in ihrem Podcast.
Differenzen gibt es auch wegen der Repression, die unter Xi noch zugenommen hat. Die Liste der Inhaftierten wächst, darunter Bürgerrechtsanwälte wie Jiang Tianyong oder Yu Wensheng, die Merkel bei ihren früheren Besuchen über die Menschenrechtslage aufgeklärt hatten.
Wenig Toleranz zeigt sich auch in der Kontrolle regierungsunabhängiger Organisationen aus dem Ausland, die noch schlimmer als erwartet verschärft wird. Besonders betroffen sind die deutschen parteinahen Stiftungen.