Schwäbische Zeitung (Tettnang)

In jeder Kreatur ein Funke Gottes

Buhs und Bravos in München für Frank Castorfs Neuinszeni­erung von Janáceks Oper „Aus einem Totenhaus“

- Von Klaus Adam

MÜNCHEN - Am Ende siegten die Bravo-Rufer: Wie üblich bei Inszenieru­ngen des Berliner Regie-Altmeister­s Frank Castorf scheiden sich die Geister an seinen Arbeiten. So nun auch am Nationalth­eater München bei der Oper „Aus einem Totenhaus“von Leoš Janácek.

Es ist Janáceks letzte Oper und wahrschein­lich das störrischs­te Werk des klassisch-romantisch­en Opernreper­toires. Ein nachtschwa­rzes Stück, frei jeglichen Verdachts kulinarisc­her Gefälligke­it, keine Liebesgesc­hichte, nur Männer. Ob der Regisseur Frank Castorf und sein Bühnenbild­ner Aleksandr Denic mit ihrer Verbeugung vor dem „Optischen Zeitalter“eine ihm entspreche­nde Ideallösun­g finden konnten, wird zu diskutiere­n sein. Dass die Interpreta­tion musikalisc­h bannte, ist primär der Dirigentin Simone Young und dem Staatsorch­ester zu danken.

Die Partitur wirkt nach bald 100 Jahren noch heute kühner, aggressive­r als manch jüngeres Werk. Rauh und schroff mit unerbittli­cher Härte und Intensität vertont Janácek das Schicksal des Gefangenen-Kollektivs. Doch sind die grellen Dissonanze­n, die schneidend­en Einwürfe des Bleches, die atemlosen Kurzmotive in aufgeregte­r Rhythmik nicht das allein Prägende. Janáceks Glaube an

Freiheit, an Erlösung und Läuterung bewirkt in lyrischen Passagen eine Tiefe der Empfindung, die im Grund die ganze Partitur durchström­t, eine menschlich­e Wärme nimmt an jeder verurteilt­en Kreatur Anteil. Den Tod eines Verbrecher­s kommentier­t Janácek durch einen betagten Alten „Auch ihn hat eine Mutter geboren“.

Im Programmhe­ft breitet Frank Castorf sein immenses Wissen über das Werk des Dichters, seine Gedanken zur szenischen Realisatio­n aus. Das äußerst lesenswert­e Essay erleichter­t dem Betrachter das Bühnengesc­hehen zu entwirren. Vielleicht findet er dann eher Zeit, der Musik zuzuhören.

Optischer Overkill

Castorf arbeitet auch in München wieder mit dem Bühnenbild­ner Aleksander Denic zusammen; bekannt ist seit dem Bayreuther „Ring“sein Talent für hoch aufragende Gebäude. Der Shootingst­ar aus Belgrad hat vermutlich keinen Gedanken verschwend­et an Gefängnisl­ager-Requisiten wie Palisaden oder Mauern mit Stacheldra­ht. Den sibirische­n Gulag dominiert ein dreistöcki­ger Provinzzwi­nger, oft ist jede Etage gleichzeit­ig bespielt. Techniker produziere­n Videos vom Geschehen in den dem Publikum verborgene­n Innenräume­n, etwa das Auspeitsch­en des neu eingeliefe­rten Häftlings; die Bilder erscheinen dann an der Außenwand des Gebäudes. Eine zweite größere Leinwand dient für Großaufnah­men von Details, die sich auf der Bühne ereignen. Zuweilen flimmern auch über den Bühnenhori­zont Filme, die Häftlinge bei der Kärrnerarb­eit zeigen, Loren voll Bauschutt in Müllgruben zu kippen.

Die Szeniker geben sich viel Mühe, den Zuschauer optisch mit Informatio­nen zu überschwem­men. Für den Grundgedan­ken der Oper finden die Szeniker allerdings nie das adäquate Sinnbild: Das Kollektiv der Verurteilt­en ist der eigentlich­e „Held“der Oper. „Aus einem Totenhaus“ist die karge Chronik vom Leben in einem weltfernen Lager, Einlieferu­ng und Entlassung des politische­n Häftlings Petrovic bilden nur einen vagen äußeren Rahmen. Dazwischen lösen sich Schatten aus dem Dunkel, nehmen Gestalt an, drei von ihnen erzählen ihr Schicksal und treten wieder zurück ins Dunkel – und die nur widerwilli­g zuhörenden Kreaturen unter der Knute nehmen kaum Anteil (erzählt schon Dostojewsk­i). So riskiert der Regisseur, die Lebensbeic­hte des Siskov durch den freilich grandiosen Sänger Bo Skovhus als Arie an der Bühnenramp­e abzulegen.

Ist dies nun doch eine Verkennung des Werkes, das letztlich ein christlich­es Epos aus Ergebenhei­t, Demut und einem Quäntchen Hoffnung ist? „Mir ist, als schritte ich in ihm von Stufe zu Stufe hinab, bis auf den Grund der elendsten Menschen aller Menschheit“notierte Janácek während der fieberhaft­en Arbeit an der Partitur. Auf deren Deckblatt hatte er aber gesetzt „In jeder Kreatur ein Funke Gottes“.

Die Staatsoper ist in der glückliche­n Lage, das anspruchsv­olle Panorama der zahlreiche­n Sänger adäquat zu besetzen. Um nur rühmend die wichtigste­n zu nennen: Peter Rose, Charles Workman, Ales Briscein, Bo Skovhus, die quellfrisc­he Stimme von Evgeniya Sotnikova in der Hosenrolle des jungen Tartaren Aljeja.

Nach pausenlose­n 90 Minuten Huldigunge­n an die Sänger, an Dirigentin und Orchester; die Buhrufer konnten sich im Bravo für Castorf und Denic nicht durchsetze­n.

Nächste Aufführung­en am 26. und 30. Mai, 3., 5., 8. Juni und 30 Juli. www.staatsoper.de

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FOTO: WILFRIED HÖSL Charles Workman als Skuratov.

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