Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Der Ärger mit dem Internet auf dem Land
Gemeinden verlegen Glasfaser in die weißen Flecken – Plötzlich meldet sich die Telekom
KREIS RAVENSBURG - Wer Bergatreutes Bürgermeister Helmfried Schäfer auf die Themen Internet und Telekom anspricht, der erntet ein müdes Lächeln. Denn wenn er berichtet, was in Bergatreute passiert ist, dann glaubt man, er erzählt einen schlechten Witz: Zuerst will die Telekom kein Breitband auf dem Land ausbauen, weil es viel Geld kostet. Dann kümmert sich die Gemeinde selbst darum, steckt Steuergeld in den Ausbau, lässt über den Zweckverband Glasfaser verlegen – und plötzlich reißt die Telekom die Straßen wieder auf und baut ebenso ihr Breitbandnetz aus.
Bergatreute ist nur ein Beispiel für das, was im ganzen Landkreis beziehungsweise in ganz Deutschland passiert. Manche sprechen von einem Schildbürgerstreich, andere sagen, die Telekom wolle sich bloß ein Geschäft nicht entgehen lassen. So einfach ist die Sache aber nicht.
Doch erst mal an den Anfang der Geschichte zurück: Alles dreht sich um das Internet, das insbesondere für die Gemeinden im ländlichen Raum eine große Herausforderung darstellt, weil Leitungen fehlen. Deswegen hat sich im Jahr 2010 der Zweckverband Breitbandversorgung im Landkreis Ravensburg gegründet, der sich zum Ziel gesetzt hat, die weißen Flecken in Oberschwaben von der Landkarte zu tilgen.
Heute sind in dem Verband alle Gemeinden und Städte im Landkreis außer Ravensburg und Weingarten organisiert. Sie alle verbindet ein Problem: Die Telekom baut aus Kostengründen ihr Breitbandnetz in den abgelegenen Dörfern nicht aus. Wenige Kunden in abgelegenen Orten sind eben ein Verlustgeschäft. Deswegen ist dort bis heute die Internetverbindung oft mangelhaft bis gar nicht vorhanden. „Wir werden dort tätig, wo Marktversagen herrscht“, erklärt der Geschäftsführer des Zweckverbandes Roland Fuchs. Es ist Selbsthilfe aus der Not.
Dann ging alles ganz schnell: Der Ausbau war bereits im Gang, als der Zweckverband Breitbandversorgung 2017 nach einer erfolgreichen Ausschreibung den Vertrag mit dem Netzbetreiber Netcom BW (eine Tochter des Energieversorgers EnBW) unterschrieben hat. Unter anderem in der Gemeinde Bergatreute. Um die Leitungen zu verlegen, wurde zum Beispiel in der Ortsdurchfahrt die Straße aufgerissen.
Der gemeindeeigene Ausbau in Bergatreute hat die Kommune 635 000 Euro (300 000 Euro gab es an Zuschuss) gekostet. Als die Gemeinde im Frühjahr 2018 fertig war, meldete sich die Telekom und unterrichtete die Gemeinde, dass sie ihr Netz ebenfalls ausbauen werde, sagt Bürgermeister Schäfer. „Dort, wo wir erst eine Baustelle hatten, hat die Telekom alles wieder aufgerissen und ihre Leitungen verlegt“, erzählt er.
Ärgerliches Flickwerk
Besonders ärgerlich: Der komplett neu asphaltierte Gehweg musste auf 60 Zentimetern erneut geöffnet werden. Übrig bleibt an vielen Stellen ein Flickwerk, das er eigentlich vermeiden wollte. „Wir haben extra alles komplett machen lassen, damit eine Weile Ruhe ist, weil das Flickwerk über die Winter schnell kaputtgeht“, erklärt Schäfer.
Auf Nachfrage bei der Telekom erklärt Pressesprecher Hubertus Kischkewitz, warum das gerade jetzt passiert und was der Konzern in ganz Deutschland macht. „Die Telekom will langfristig Glasfaser in jedes Haus verlegen. Experten sagen, dass das 80 Milliarden Euro kostet. Deswegen bauen wir stufenweise aus“, sagt Kischkewitz.
Stufenweiser Ausbau
Deswegen baut sie stufenweise aus. Stufe 1: Ausbau von Glasfaser von der Vermittlungsstelle in die Straße. Mittels Vectoring, einer speziellen Technik, wird der Datenverkehr über die vorhandenen Kupferkabel im sogenannten Nahbereich (also der Bereich 550 Meter um die Vermittlungsstelle) auf bis zu 100 MBit/Sekunde beschleunigt. Im März 2017 hat das Bundesverwaltungsgericht den Weg frei gemacht für Vectoring. Es hat Klagen von Wettbewerbern gegen die Telekom abgewiesen. Stufe 2: Es wird Glasfaser direkt bis ins Haus gelegt. Das sei momentan noch zu teuer, weil der Bedarf laut Telekom noch nicht da sei. Bei Neubauund Gewerbegebieten legt sie direkt bis ins Haus.
Bergatreute ist jetzt in Sachen Telekom-Vectoring in Runde 1 von bundesweit 7600 Nahbereichen. Welche Gemeinde in welcher Runde ist, entscheide sich laut Kischkewitz unter anderem danach, ob es Bauunternehmen gibt, die den Auftrag annehmen, und es genug Leerrohre gibt, die auf dem Markt knapp sind (die SZ berichtete). Manche Bürgermeister im Landkreis zweifeln aber daran, ob es wirklich Zufall ist, wenn die Telekom immer nach den Arbeiten des Zweckverbandes aktiv wird.
„Wenn ich das früher gewusst hätte, hätten wir uns viel sparen können“, sagt etwa Horgenzells Bürgermeister Volker Restle. Im Teilort Wilhelmskirch stehen hinter der Kirche zwei Verteilerkästen: einer von der Telekom und einer der Tele Data (Zweckverband). „Wir haben 1,8 Millionen Euro ins Netz gesteckt, 800 000 Euro Zuschuss bekommen, und jetzt kommt die Telekom. Wir haben sogar Beschwerde bei der Bundesnetzagentur eingelegt“, sagt Restle. „Kreisweit haben wir jetzt teilweise Baugebiete auf dem Land, wo wir eine Dreifachversorgung haben, und in Kappel bekommen wir noch nicht einmal eine zusätzliche freie Telefonleitung“, sagt er. Eine solche Dreifachversorgung hat beispielsweise Bergs Bürgermeister Helmut Grieb im Neubaugebiet und manche abgelegene Weiler haben kein Internet.
Bergatreutes Bürgermeister Helmfried Schäfer hätte sich eine gesetzliche Regelung gewünscht, damit solche Kollisionen, wie sie geschehen sind, nicht passieren. Er nennt das Verbrennen von Steuergeldern. Bis heute wird der Fußgänger auf dem Gehweg in der Ravensburger Straße beim Tritt in eine Stufe vor dem Verteilerkasten an diese Kollision erinnert.