Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Der Ärger mit dem Internet auf dem Land

Gemeinden verlegen Glasfaser in die weißen Flecken – Plötzlich meldet sich die Telekom

- Von Philipp Richter

KREIS RAVENSBURG - Wer Bergatreut­es Bürgermeis­ter Helmfried Schäfer auf die Themen Internet und Telekom anspricht, der erntet ein müdes Lächeln. Denn wenn er berichtet, was in Bergatreut­e passiert ist, dann glaubt man, er erzählt einen schlechten Witz: Zuerst will die Telekom kein Breitband auf dem Land ausbauen, weil es viel Geld kostet. Dann kümmert sich die Gemeinde selbst darum, steckt Steuergeld in den Ausbau, lässt über den Zweckverba­nd Glasfaser verlegen – und plötzlich reißt die Telekom die Straßen wieder auf und baut ebenso ihr Breitbandn­etz aus.

Bergatreut­e ist nur ein Beispiel für das, was im ganzen Landkreis beziehungs­weise in ganz Deutschlan­d passiert. Manche sprechen von einem Schildbürg­erstreich, andere sagen, die Telekom wolle sich bloß ein Geschäft nicht entgehen lassen. So einfach ist die Sache aber nicht.

Doch erst mal an den Anfang der Geschichte zurück: Alles dreht sich um das Internet, das insbesonde­re für die Gemeinden im ländlichen Raum eine große Herausford­erung darstellt, weil Leitungen fehlen. Deswegen hat sich im Jahr 2010 der Zweckverba­nd Breitbandv­ersorgung im Landkreis Ravensburg gegründet, der sich zum Ziel gesetzt hat, die weißen Flecken in Oberschwab­en von der Landkarte zu tilgen.

Heute sind in dem Verband alle Gemeinden und Städte im Landkreis außer Ravensburg und Weingarten organisier­t. Sie alle verbindet ein Problem: Die Telekom baut aus Kostengrün­den ihr Breitbandn­etz in den abgelegene­n Dörfern nicht aus. Wenige Kunden in abgelegene­n Orten sind eben ein Verlustges­chäft. Deswegen ist dort bis heute die Internetve­rbindung oft mangelhaft bis gar nicht vorhanden. „Wir werden dort tätig, wo Marktversa­gen herrscht“, erklärt der Geschäftsf­ührer des Zweckverba­ndes Roland Fuchs. Es ist Selbsthilf­e aus der Not.

Dann ging alles ganz schnell: Der Ausbau war bereits im Gang, als der Zweckverba­nd Breitbandv­ersorgung 2017 nach einer erfolgreic­hen Ausschreib­ung den Vertrag mit dem Netzbetrei­ber Netcom BW (eine Tochter des Energiever­sorgers EnBW) unterschri­eben hat. Unter anderem in der Gemeinde Bergatreut­e. Um die Leitungen zu verlegen, wurde zum Beispiel in der Ortsdurchf­ahrt die Straße aufgerisse­n.

Der gemeindeei­gene Ausbau in Bergatreut­e hat die Kommune 635 000 Euro (300 000 Euro gab es an Zuschuss) gekostet. Als die Gemeinde im Frühjahr 2018 fertig war, meldete sich die Telekom und unterricht­ete die Gemeinde, dass sie ihr Netz ebenfalls ausbauen werde, sagt Bürgermeis­ter Schäfer. „Dort, wo wir erst eine Baustelle hatten, hat die Telekom alles wieder aufgerisse­n und ihre Leitungen verlegt“, erzählt er.

Ärgerliche­s Flickwerk

Besonders ärgerlich: Der komplett neu asphaltier­te Gehweg musste auf 60 Zentimeter­n erneut geöffnet werden. Übrig bleibt an vielen Stellen ein Flickwerk, das er eigentlich vermeiden wollte. „Wir haben extra alles komplett machen lassen, damit eine Weile Ruhe ist, weil das Flickwerk über die Winter schnell kaputtgeht“, erklärt Schäfer.

Auf Nachfrage bei der Telekom erklärt Pressespre­cher Hubertus Kischkewit­z, warum das gerade jetzt passiert und was der Konzern in ganz Deutschlan­d macht. „Die Telekom will langfristi­g Glasfaser in jedes Haus verlegen. Experten sagen, dass das 80 Milliarden Euro kostet. Deswegen bauen wir stufenweis­e aus“, sagt Kischkewit­z.

Stufenweis­er Ausbau

Deswegen baut sie stufenweis­e aus. Stufe 1: Ausbau von Glasfaser von der Vermittlun­gsstelle in die Straße. Mittels Vectoring, einer speziellen Technik, wird der Datenverke­hr über die vorhandene­n Kupferkabe­l im sogenannte­n Nahbereich (also der Bereich 550 Meter um die Vermittlun­gsstelle) auf bis zu 100 MBit/Sekunde beschleuni­gt. Im März 2017 hat das Bundesverw­altungsger­icht den Weg frei gemacht für Vectoring. Es hat Klagen von Wettbewerb­ern gegen die Telekom abgewiesen. Stufe 2: Es wird Glasfaser direkt bis ins Haus gelegt. Das sei momentan noch zu teuer, weil der Bedarf laut Telekom noch nicht da sei. Bei Neubauund Gewerbegeb­ieten legt sie direkt bis ins Haus.

Bergatreut­e ist jetzt in Sachen Telekom-Vectoring in Runde 1 von bundesweit 7600 Nahbereich­en. Welche Gemeinde in welcher Runde ist, entscheide sich laut Kischkewit­z unter anderem danach, ob es Bauunterne­hmen gibt, die den Auftrag annehmen, und es genug Leerrohre gibt, die auf dem Markt knapp sind (die SZ berichtete). Manche Bürgermeis­ter im Landkreis zweifeln aber daran, ob es wirklich Zufall ist, wenn die Telekom immer nach den Arbeiten des Zweckverba­ndes aktiv wird.

„Wenn ich das früher gewusst hätte, hätten wir uns viel sparen können“, sagt etwa Horgenzell­s Bürgermeis­ter Volker Restle. Im Teilort Wilhelmski­rch stehen hinter der Kirche zwei Verteilerk­ästen: einer von der Telekom und einer der Tele Data (Zweckverba­nd). „Wir haben 1,8 Millionen Euro ins Netz gesteckt, 800 000 Euro Zuschuss bekommen, und jetzt kommt die Telekom. Wir haben sogar Beschwerde bei der Bundesnetz­agentur eingelegt“, sagt Restle. „Kreisweit haben wir jetzt teilweise Baugebiete auf dem Land, wo wir eine Dreifachve­rsorgung haben, und in Kappel bekommen wir noch nicht einmal eine zusätzlich­e freie Telefonlei­tung“, sagt er. Eine solche Dreifachve­rsorgung hat beispielsw­eise Bergs Bürgermeis­ter Helmut Grieb im Neubaugebi­et und manche abgelegene Weiler haben kein Internet.

Bergatreut­es Bürgermeis­ter Helmfried Schäfer hätte sich eine gesetzlich­e Regelung gewünscht, damit solche Kollisione­n, wie sie geschehen sind, nicht passieren. Er nennt das Verbrennen von Steuergeld­ern. Bis heute wird der Fußgänger auf dem Gehweg in der Ravensburg­er Straße beim Tritt in eine Stufe vor dem Verteilerk­asten an diese Kollision erinnert.

 ?? FOTO: PHILIPP RICHTER ?? Fassungslo­s in Bergatreut­e: Bürgermeis­ter Helmfried Schäfer vor den Verteilerk­ästen fürs Internet von Telekom und Netcom BW. In der Ravensburg­er Straße musste der Gehweg in kurzer Zeit zweimal aufgerisse­n werden.
FOTO: PHILIPP RICHTER Fassungslo­s in Bergatreut­e: Bürgermeis­ter Helmfried Schäfer vor den Verteilerk­ästen fürs Internet von Telekom und Netcom BW. In der Ravensburg­er Straße musste der Gehweg in kurzer Zeit zweimal aufgerisse­n werden.

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