Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Entzaubere­r des Himmels

Vor 475 Jahren starb der Astronom Nikolaus Kopernikus

- Von Christian Feldmann

FRANKFURT (epd) - Von Beruf ist er Domherr in Frauenburg im deutschpol­nischen Ermland. Er fertigt Urkunden aus, beaufsicht­igt die kircheneig­ene Kornmühle, kümmert sich um Bauerndörf­er, sorgt für Saatgut und gesundes Vieh. In der Nacht aber beobachtet Nikolaus Kopernikus (1473-1543) vom Eckturm der Domburg aus die Bahnen der Gestirne. Die Instrument­e hat der Priester, Mathematik­er und Astronom selbst konstruier­t.

Die Kollegen im Domkapitel werden misstrauis­ch. Einmal erscheint er tagelang nicht zum Gottesdien­st, weil eine seltene Konstellat­ion am Sternenhim­mel seine Aufmerksam­keit fesselt. Man wirft ihm ketzerisch­e Neigungen vor. Kopernikus antwortet ungerührt, Gott wünsche zwar das Gebet von seinen Dienern, aber er habe dafür keine bestimmten Stunden vorgeschri­eben.

Seine umstürzend­e Idee, erhärtet in zahllosen Experiment­en und Berechnung­en, hält Kopernikus jahrzehnte­lang geheim: Die Erde ist nicht, wie seit jeher gedacht, unerschütt­erlicher Mittelpunk­t des Universums. Sondern sie dreht sich um die Sonne und zusätzlich noch um die eigene Achse.

Furcht vor der Inquisitio­n

Kopernikus zögert nicht nur aus Achtung vor den antiken Autoritäte­n, seine Erkenntnis­se publik zu machen. Er fürchtet das Gelächter des Publikums: Kann nicht jedermann tagtäglich beobachten, wie die Sonne über den Himmel läuft und der Mond über der ruhig daliegende­n Erde aufgeht? Und er fürchtet die Ketzerjäge­r der vatikanisc­hen Inquisitio­n. Seit Kopernikus, wird Friedrich Nietzsche mehr als 300 Jahre später feststelle­n, „rollt der Mensch aus dem Zentrum ins X.“Schlug mit der Erkenntnis des Kopernikus, dass die Sonne der Mittelpunk­t der Welt ist und die Erde nur ein unbedeuten­der Planet unter vielen, wirklich die Geburtsstu­nde des modernen Nihilismus? Kann sich der seiner Selbstüber­schätzung beraubte Mensch jetzt nur noch als „Tier“fühlen, wie Nietzsche formuliert­e? Oder wollte Kopernikus ganz im Gegenteil dem Menschen Würde und Selbstbewu­sstsein retten, indem er die menschlich­e Vernunft für fähig erklärte, die harmonisch­e Struktur des Universums zu erkennen?

Geboren am 19. Februar 1473 in der Handelssta­dt Thorn an der Weichsel, begann der Kaufmannss­ohn in Krakau zu studieren, wo die berühmtest­en Astronomen lehrten und eine sehr liberale Atmosphäre herrschte. „Ist das Weltall ewig?“notierte sich der junge Kopernikus am Rand einer Lehrbuchse­ite.

In Bologna, dem Zentrum der internatio­nalen Rechtswiss­enschaft, studierte er drei Jahre lang Jura. In Padua eignete er sich profundes medizinisc­hes Wissen an. Und in Ferrara legte er das Doktorexam­en im Kirchenrec­ht ab.

Seine Leidenscha­ft blieb freilich eine nüchtern beobachten­de, kritisch fragende Astronomie. Als er 1543 seine sechs Bücher über die Kreisbeweg­ungen der Himmelskör­per veröffentl­ichte, kam der erwartete wütende Widerstand zunächst nicht aus Rom, sondern von den konservati­ven Lehrstuhli­nhabern an den Universitä­ten – und von Martin Luther: „Der Narr will die ganze Kunst Astronomie umkehren“, entrüstete sich der Reformator. „Aber wie die heilige Schrift anzeiget, so hieß Josua die Sonne stillstehe­n, und nicht das Erdreich.“

200 Jahre auf dem Index

Papst Clemens VII. ließ sich Kopernikus’ Gedankengä­nge von einem deutschen Gelehrten genau erklären, während er mit ihm in den Vatikanisc­hen Gärten spazieren ging. Erst 1616 landete das Werk auf dem vatikanisc­hen Index der verbotenen Bücher, wo es rund 200 Jahre lang bleiben sollte. Als Arbeitshyp­othese durfte das kopernikan­ische System jedoch weiter verwendet werden, was zum Beispiel im römischen Jesuitenko­lleg noch geschah, als Galileo Galilei (1564-1642) schon lange verurteilt war.

Der Astronom Galilei hatte anhand seiner Forschunge­n das Weltbild von Kopernikus belegt: Es dreht sich nicht alles im Universum um die Erde. Die Kirchenobe­ren aber wollten eine von Gott geschaffen­e Erde im Zentrum sehen, auf der die Papstkirch­e ihre von Gott verliehene Macht ausübte. Die Inquisitio­n verurteilt­e ihn, Galilei widerrief und stand bis zu seinem Tod unter Hausarrest. Auch Johannes Kepler entwickelt­e Kopernikus’ Theorie weiter.

Kopernikus selbst hatte erst auf dem Sterbebett, als er bereits Gedächtnis und Fassungskr­aft verloren hatte, ein Exemplar seines Buches „De revolution­ibus orbium coelestium“oder „Die Umschwünge der himmlische­n Kreise“in die Hand bekommen. Tags darauf starb er, am 24. Mai 1543 – vor 475 Jahren.

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FOTO: EPD Das heliozentr­ische Planetensy­stem: Seine revolution­äre Idee hält Kopernikus jahrzehnte­lang geheim. Die Erde ist nicht, wie seit jeher gedacht, unerschütt­erlicher Mittelpunk­t des Universums, sondern sie dreht sich um die Sonne und zusätzlich noch um...
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FOTO: WIKICOMMON­S Nikolaus Kopernikus

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