Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ein ungewöhnlicher letzter Mann
Torwart Daniel Weber von der SG Kißlegg ist eigentlich gar kein Torwart
KISSLEGG - Die SG Kißlegg ist auf dem besten Weg, sich die Meisterschaft in der Fußball-Bezirksliga zu sichern. Der Erfolg dieser Mannschaft setzt sich aus vielen kleinen Geschichten zusammen, aus denen aber sicherlich eine ganz besonders herausragt: Im Tor der Kißlegger steht nämlich kein gelernter Torwart, vielmehr ist Daniel Weber eigentlich das genaue Gegenteil.
In der Winterpause stand die SG Kißlegg vor einem großen Problem: Torhüter Alexander Kauk musste sich plötzlich mit Knieproblemen langfristig abmelden – und eine Alternative gab es nicht. Auch nicht, als die Vereinsverantwortlichen um Trainer Roland Wiedmann Himmel und Hölle in Bewegung setzten, um auf dem Markt eventuell noch einen Ersatz zu ergattern, mit dem die Kißlegger in die Rückrunde gehen könnten. Es gab schlichtweg niemanden, der bereit gewesen wäre, im Winter einfach den Verein zu wechseln und in Kißlegg ins Tor zu stehen.
Die Not war riesengroß, das erste Vorbereitungsspiel gegen den SV Maierhöfen-Grünenbach nur noch drei Tage entfernt – da erinnerte sich Daniel Weber an seine Zeit als Torwart in der C-Jugend. „Wenn ich mir Handschuhe kaufen soll, sagt mir bitte Bescheid“, habe er gesagt, erinnert sich der 35-jährige Weber an den Moment, als seine Karriere eine nicht für möglich gehaltene Wende nahm.
Weber bezeichnet sich als UrKißlegger, hat fast durchgehend für die SG gespielt, mit der Ausnahme eines Jahres in Amtzell, wo er in der Saison 2016/17 in der Kreisliga A spielte. Zur Spielzeit 2017/18 wechselte er aber doch wieder lieber nach Kißlegg, spielte fortan in der zweiten Mannschaft in der Kreisliga B – und war darauf eingestellt, seine Karriere dort ausklingen zu lassen.
Ins Tor zu stehen, noch dazu in der Bezirksliga, daran hat Weber nicht im Entferntesten gedacht. Als Stürmer war er davon auch so weit entfernt, wie es auf einem Fußballplatz nur möglich ist. Den Strafraum kannte er zwar aus unzähligen Partien – aber halt nur aus der Perspektive, in der sich ein Spieler darüber freut, wenn der Ball im Netz zappelt.
Vor 20 Jahren letztmals als Torhüter gespielt
So fühlte sich Daniel Weber wieder ganz daheim und pudelwohl, bis die erste Mannschaft in der Winterpause plötzlich ohne Torwart da stand. Nach seiner Frage, ob er sich Handschuhe kaufen solle, regte sich kein Widerstand. Im Gegenteil. Drei Tage später stand Weber bei der SG Kißlegg zwischen den Pfosten.
Das klappte gleich so gut, dass niemand mehr auf die Idee kam, es könnte vielleicht etwas komisch wirken, wenn ein ambitionierter Bezirksligist mit einem Feldspieler im Tor aufläuft. Großen Anteil daran, dass dieses Experiment mit dem ungewöhnlichen letzten Mann im Team der SG Kißlegg so gut funktioniert, hat Manfred Krug.
Dieser habe das, was er zuletzt vor 20 Jahren in der C-Jugend praktiziert habe, reaktiviert, sagt Daniel Weber. In zahllosen Extraschichten hätten er und Torwarttrainer Krug ihn richtig fit gemacht für die Aufgabe zwischen den Pfosten. Die größte Aufgabe? „Die Fangsicherheit“, sagt Weber ohne zu zögern.
„Überragend gehalten“habe Weber bisher, ist Trainer Wiedmann voll des Lobes. „Wir sind froh, dass er drin steht“, fügt er hinzu. Dass auch Weber der eine oder andere Fehler passiere, sei völlig normal. Aber: „Er hat keine Schuld an irgendeiner unserer Niederlagen.“Wie denkt Weber selbst über seine Leistung zwischen den Pfosten? Er beantwortet diese Frage indirekt: „Ich habe Spaß daran.“Dass sich das Experiment mit einem Feldspieler im Tor bisher voll ausgezahlt hat, beweist der Blick auf die Tabelle. Die SG Kißlegg steht auf Platz eins in der Bezirksliga Bodensee, hat mit 39 Gegentreffern die drittwenigsten in der ganzen Liga kassiert – und ist drauf und dran, in die Landesliga aufzusteigen. Drei Spiele stehen der SG noch bevor. Am Sonntag geht es gegen den FC Isny, dann kommt die SG Argental, abschließend geht es zum TSV Meckenbeuren.
Genau wie sein Trainer lässt sich Daniel Weber trotz der positiven Tabellensituation nicht verrückt machen. Auch nicht von der jüngsten 1:4-Niederlage in Kressbronn. „Das macht uns nix aus, es gibt keinen Bruch“. Und Druck gebe es sowieso keinen, denn den Aufstieg haben die Kißlegger nicht eingeplant. Den würden sie zwar gerne mitnehmen, aber unbedingtes Ziel sei er nicht, sagt Weber.
Unabhängig von der Liga ist aber klar, dass die SG Kißlegg in der kommenden Saison wieder mit einem gelernten Torhüter plant. Er habe schon jemanden in Aussicht, sagt Wiedmann. Und Weber? Der kann sich dann wieder auf seine Kernkompetenz als Torjäger konzentrieren. So oder so: im Dienste des Vereins.