Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Nur keine Hemmungen
Simon Gauzy und Hugo Calderano sind vor Ochsenhausens Tischtennis-Finale gegen Düsseldorf guter Dinge
OCHSENHAUSEN - Wann ist ein Mann ein Mann, mit 20, 30, 40 oder doch erst mit 50, wie Psychologen glauben? Wie viele Schlachten muss er geschlagen haben? Und was unterscheidet einen brillanten Tischtennisspieler von einem guten? Im Bereich Leibesübungen scheint die Antwort relativ simpel zu sein: Ein exzellenter Sportler vertraut in seine Stärken, in sich, in seine Intelligenz, seinen Körper ohnehin, und er lässt sich nicht von seinem Gegenüber einschüchtern. Er hat keine Angst vor niemandem – nicht einmal vor einem, der für seinen Club so viele Titel gesammelt hat, dass die örtliche Glasvitrine alle zwei Jahre ausgebaut werden muss. Ein exzellenter Tischtennisspieler hat also keine Furcht vor Timo Boll, dem Jahrhunderttalent aus dem Odenwald. Vor allem dann nicht, wenn er ihn schon geschlagen hat – wie die Ochsenhausener Hugo Calderano, elftbester Spieler des Planeten, und Simon Gauzy, die Nr. 12 der Welt.
Am Mittwoch standen der 23-jährige Franzose und der 21-jährige Brasilianer den Medien Rede und Antwort, denn am Samstag wollen sie in der Frankfurter Fraport-Arena ab 13 Uhr Großes leisten: Timo Boll, den 37 Jahre alten Rekord-Europameister, im Generationenduell schlagen, außerdem den Österreicher Stefan Fegerl, der wohl die Nr. 2 des Rivalen sein wird (und ab Sommer ihr Teamkollege). Und am Ende wollen die Anführer der TTF Liebherr Ochsenhausen auch Borussia Düsseldorf bezwungen haben, den Rekordmeister, Pokalsieger und neuen Champions-League-Gewinner, der sich von den letzten zehn Bundesliga-Titeln Guinness-Buchverdächtige neun sicherte und nun das Triple anpeilt.
Angst vor solchen Zahlen haben Gauzy und Calderano nicht. Wie ihr Trainer Dubravko Skoric, der seinen Jungstars zutraut, einmal in die Top 3 bis 5 der Welt vorzustoßen, wissen auch sie: Statistik bezieht sich stets auf die Vergangenheit, nicht auf die Gegenwart. An jedem Tag beginnt das Spiel von vorn, an jedem Tag gilt es, sich neu zu motivieren und zu beweisen – nicht nur für sie, auch für Boll. Und so spielen auch die neun FinalNiederlagen, die die TTF seit ihrem letzten Titel 2004 kassierten – sechs davon gegen Düsseldorf – keine Rolle mehr. Außerdem: Gauzy und Calderano waren ja nie dabei. Sonst wäre es womöglich anders ausgegangen, glaubt TTF-Teammanager Daniel Zwickl. Der ungarische Ex-Nationalspieler, der Mentor der Mannschaft, gab am Mittwoch seelenruhig kund: „Es ist keine Frage, dass diese Jungs bald einen Titel gewinnen. Die Frage ist nur wann: Schon am Samstag – oder erst nächste Saison.“Selbstbewusste Töne aus Ochsenhausen.
Gauzy sagte, er brenne auf Düsseldorf, er sei heiß, er sei aufgeregt: „Man spielt nicht jeden Tag so ein Finale, das sind die Augenblicke, die man als Sportler sucht. Keiner hat mit uns gerechnet und an uns geglaubt im Januar, als wir so viele Probleme und Verletzte hatten. Wir schon.“Vor allem der Rücken-geplagte Gauzy selbst verlor nie die Hoffnung. Mit einer glänzenden Bilanz nach dreimonatiger Pause ebnete er seinem Team den Weg, und auch für ihn selbst wird der Samstag ein Maßstab sein. Das größte Spiel seines Lebens, das EM-Finale 2016 gegen Landsmann Emmanuel Lebesson, hat Gauzy verloren. Nun will er sich gegen Boll rächen, gegen den er die sagenhafte Bilanz von 7:3 Siegen hat. „Timo liegt mir, er schlägt nicht zu hart, ich kann mein Spiel gegen ihn aufbauen“, sagt Gauzy, weiß aber: „Ich habe auch schon gegen ihn verloren.“Boll wiederum witzelte nach Niederlage Nr. 7, er habe nochmal nachgeschaut und tatsächlich schon mal gegen Gauzy gewonnen.
Das hat Boll auch gegen Calderano, allerdings nicht im April, als der Brasilianer in Düsseldorf im ChampionsLeague-Rückspiel beide Einzel gewann, gegen Boll sogar im angeschlagenen Zustand. Dass die TTF am Ende doch noch verloren, lag damals auch an Gauzy, der ausnahmsweise Boll unterlag und am Ende auch gegen Fegerl. 22 Punkte oder ein Satzgewinn fehlten den Ochsenhausenern damals zum Final-Einzug, sonst wären womöglich sie es, die sich heute Champions-League-Sieger nennen dürfen.
Samba auf der Hinfahrt
Auch Calderano hat sich geschworen, Samstagnacht vor dem „Steakhouse“in Ochsenhausen und den heimischen Fans den Pokal in den Nachthimmel zu stemmen. Der Brasilianer spielte bei den Olympischen Spielen im August 2016 in seiner Heimatstadt Rio ein famoses, ohrenbetäubendes Achtelfinale, „ich weiß, was ein wichtiges Spiel ist, was Druck ist, ich kenne das“, sagt er. Und: „Die Siege in Düsseldorf haben mich selbstbewusst gemacht. Wir wollen diesen Erfolg unbedingt – auch für all die Menschen, die uns seit Jahren begleiten und an uns glauben.“
Vor fünf respektive vier Spielzeiten waren Gauzy, Calderano und ihre Teamkollegen Joao Geraldo und Jakob Dyjas nach Ochsenhausen gekommen. Als Versprechen für die Zukunft, und doch als Nobodys, als Lehrlinge, als Greenhorns, die enge Spiele anfangs stets verloren. In Frankfurt wollen sie ihr Meisterstück machen, zu Männern werden, und die jugendliche Leichtigkeit, die ihnen geblieben ist, soll ihnen helfen: „Ich gehe davon aus, dass Hugo und Joao wie immer ihre Witze machen, falls ich zu nervös bin“, sagte Gauzy. Und Skoric ordnete an: „Auf der Hinfahrt wird Samba laufen.“Nur keine Hemmungen.