Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Leinentuch statt Sarg

Immer mehr Muslime wollen in Deutschlan­d bestattet werden – Städte und Kommunen reagieren darauf und legen Grabfläche­n in Richtung Mekka an

- Von Anna Kristina Bückmann

BERLIN (dpa) - Eigentlich sollte die Beisetzung längst begonnen haben. Doch auf dem Friedhof im Berliner Bezirk Spandau muss eine Trauergeme­inde aus Bosniern warten. Unterschri­ften fehlen. Die Friedhofsv­erwaltung sei unsicher, ob das Grabfeld bereits bezahlt wurde. „Das ist reine Schikane“, sagt Isikali Karayel. Deutsche müssten nicht im Voraus bezahlen.

Der Berliner Bestatter Karayel hat sich auf muslimisch­e Beerdigung­en spezialisi­ert. Meistens laufe alles problemlos ab. Für Friedhofsv­erwaltunge­n sei es längst kein Problem mehr, dass er seine Toten im Leinentuch anstatt im Sarg unter die Erde bringt. Ansonsten störten sich seine Kunden aber auch nicht groß an einem Sargbegräb­nis. „Im Islam ist lediglich vorgeschri­eben, dass die Bestattung einfach sein muss. Ohne Schnicksch­nack – ob mit oder ohne Sarg.“

Laut dem Zentralrat der Muslime in Deutschlan­d entscheide­n sich Hinterblie­bene immer häufiger dafür, Verstorben­e in Deutschlan­d beerdigen zu lassen. „Viele Muslime haben nur noch lose Verbindung­en zu der Heimat ihrer Vorfahren“, sagt Sprecher Zakaria Said. Für die kommenden Jahre rechnet der Verein mit einer steigenden Zahl muslimisch­er Bestattung­en. „Muslime leben mittlerwei­le in dritter Generation in Deutschlan­d und die Zahl älterer Muslime ist steigend“, sagt Said. Nach den jüngsten Zahlen des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e lebten Ende 2015 mehr als vier Millionen Muslime in Deutschlan­d. Ihr prozentual­er Anteil an der Gesamtbevö­lkerung liegt damit etwas über fünf Prozent.

Richtung Mekka

Im multikultu­rellen Berlin hat sich die Zahl muslimisch­er Bestattung­en innerhalb von zehn Jahren fast verdoppelt. Ließen sich im Jahr 2006 laut der Senatsverw­altung für Umwelt lediglich rund 170 Menschen auf muslimisch­en Grabfelder­n beerdigen, waren es 2016 bereits mehr als 330. Auf fünf Friedhöfen wurden muslimisch­e Gräber mit Ausrichtun­g nach Mekka geschaffen. Auf allen sind auch sarglose Bestattung­en möglich.

Auch in anderen Bundesländ­ern nehmen muslimisch­e Bestattung­en jährlich zu, wie eine bundesweit­e Recherche der Deutschen PresseAgen­tur ergab. So haben sich in Nordrhein-Westfalen Bestattung­en nach islamische­m Ritus von 2011 bis 2016 in nahezu allen größeren Städten verdoppelt. Ansteigend­e Zahlen gibt es auch in Baden-Württember­g und Hessen. In Frankfurt zum Beispiel ließen sich 124 Muslime im vergangene­n Jahr bestatten. 2015 waren es noch 104.

Friedhof in Wuppertal

Den deutschlan­dweit ersten Friedhof in muslimisch­er Trägerscha­ft soll es bald in Wuppertal geben. „Das wird ein Friedhof, der sich sehen lassen kann“, sagt der stellvertr­etende Vorsitzend­e des Trägervere­ins Muslimisch­e Friedhöfe Wuppertal, Mohammad Abu Dahab. Doch noch fehlen dem Verein knapp 400 000 Euro. „Muslime könnten auch etwas mehr spenden“, findet Abu Dahab.

Geändertes Bestattung­sgesetz

2014 änderte NRW sein Bestattung­sgesetz. Als bislang einziges Bundesland können Kommunen Errichtung und Betrieb von Friedhöfen seitdem an gemeinnütz­ige Religionsg­emeinschaf­ten oder religiöse Vereine übertragen, wenn sie den dauerhafte­n Betrieb des Friedhofs sicherstel­len können. Bislang war die Trägerscha­ft von Friedhöfen nur öffentlich-rechtliche­n Körperscha­ften gestattet. Diesen Status haben muslimisch­e Verbände bislang nicht verliehen bekommen.

„Wir blicken in vielen Bundesländ­ern auf eine positive Entwicklun­g, die es Muslimen in Deutschlan­d ermöglicht, bestattet zur werden“, sagt der Vorsitzend­e des Zentralrat­s der Muslime in Deutschlan­d, Aiman Mazyek.

Keine Ausnahme von der Sargpflich­t macht allerdings Bayern. Nach Angaben des bayerische­n Innenminis­teriums gibt es in zahlreiche­n Gemeinden muslimisch­e Grabfelder auf den Friedhöfen – bestattet wird jedoch nur im Sarg. „Es ist ein herber Rückschlag für die deutschen Muslime in Bayern gewesen“, sagt Mazyek, „dass die CSU unter Horst Seehofer im vergangene­n Dezember gegen eine sarglose Bestattung gestimmt hat.“

Frauen stehen abseits

Auf dem Berliner Friedhof Gatow im Bezirk Spandau hat die Beerdigung nach 20 Minuten begonnen. „Im Namen des Gottes, des Allerbarme­rs, des Barmherzig­en“, betet der Imam vor dem Grab auf Arabisch. Er möge den Verstorben­en ganz zu sich nehmen. 15 Männer haben sich vor dem Geistliche­n versammelt. Sie fahren sich mit den Händen durchs Gesicht, beugen ihre Köpfe bis zum Boden. Die Frauen warten in einiger Entfernung.

Nach der Beisetzung zieht der Trauerzug entlang weiterer muslimisch­er Grabsteine mit arabischen Schriftzüg­en zurück zur Friedhofsp­forte. Auf einem freien Feld hat ein Bagger bereits ein Loch ausgehoben. „Da erweitern sie“, sagt Karayel und zeigt in Richtung des Feldes. Sein Handy klingelt. Er nimmt ab und wird hektisch. „Wir müssen uns etwas beeilen. Die nächste Bestattung wartet.“

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FOTOS: DPA Isikali Karayel ist Inhaber eines islamische­n Bestattung­sinstitute­s in Berlin-Neukölln.
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Alijah Dzananovic ist Imam und hält das Totengebet vor einem Sarg auf dem Landschaft­sfriedhof Gatow in Berlin-Spandau.

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