Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Das neue Bundesteilhabegesetz wird geprüft
Mitarbeiter der Stiftung Liebenau und des Landratsamts spielen virtuelle Fälle durch, um Schwierigkeiten beim Systemwechsel aufzudecken
FRIEDRICHSHAFEN (sz) - Das Landratsamt Bodenseekreis und die Stiftung Liebenau erproben bis 2021 gemeinsam die Umsetzung des neuen Bundesteilhabegesetzes (BTHG).
In dem Projekt wird untersucht, wie sich die Neuausrichtung der Eingliederungshilfe konkret ab dem 1. Januar 2020 auswirkt. Ab dann richtet sich die Unterstützung für Menschen mit Behinderungen nicht mehr nach der Wohnform, sondern nach dem persönlichen Bedarf des Einzelnen. Der Bedarf an Fachleistungen der Eingliederungshilfe wird künftig also vom Lebensunterhalt getrennt betrachtet und gesondert ermittelt. Das soll für Menschen mit Behinderung eine selbstbestimmtere Lebensführung und die größtmögliche Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen ermöglichen.
Die Ergebnisse sollen zeigen, wie der Systemwechsel durch die Sozialbehörden sowie die Leistungserbringer regelgerecht und praktikabel vollzogen werden kann. Gemeinsam mit allen anderen Projekten zum BTHG sollen dem Bund frühzeitig Hinweise auf mögliche Veränderungsbedarfe bei der Umsetzung gegeben werden. Um die neuen Vorschriften und Auswirkungen des Gesetzes beurteilen zu können, werden die neuen Regelungen anhand konkreter Einzelfälle virtuell im Vorfeld durchgespielt. Dabei stehen Menschen mit geistiger und/oder mehrfacher Behinderung im Mittelpunkt, die Hilfen der Stiftung Liebenau in Anspruch nehmen.
Die Vorarbeiten für diese Erprobung laufen bereits seit Jahresbeginn 2018. So werden derzeit in gemeinsamen Arbeitsgruppen die einzelnen Neuregelungen auf ihre Auswirkungen auf die Praxis hin geprüft und Untersuchungsmethoden entwickelt.
25 Menschen werden gesucht
Für jeden Regelungsbereich werden etwa 25 Menschen mit Behinderung gesucht. Zusammen mit ihnen und unter enger Einbindung der Angehörigen und Betreuer sollen neue Abläufe und geänderte Leistungen getestet werden, bevor sie 2020 verbindlich werden.
Die Projektpartner sind sich einig: Die Erkenntnisse aus dem Modellprojekt werden wichtig für alle Akteure im Bereich der Eingliederungshilfe sein, wenngleich der Zeithorizont bis 2020 ambitioniert ist. Ignaz Wetzel, Sozialdezernent des Bodenseekreises und Mitglied im Lenkungskreis des Modellprojekts, freut sich, dass „der Landkreis vom Bundesministerium als Modellregion ausgewählt worden ist und die Herausforderungen des BTHG zusammen mit der Stiftung Liebenau als kompetentem Partner angegangen werden“. Ulrich Müllerschön, Chef des Sozialamts und Projektleiter, ergänzt: „Auch wenn beide Projektpartner schon viele Jahre vertrauensvoll zusammenarbeiten, bietet sich nun die Gelegenheit, die Zusammenarbeit mit Blick auf die neue Gesetzeslage weiterzuentwickeln und den Systemwechsel intensiv zu begleiten.“
Jörg Munk, Geschäftsführer der Liebenau Teilhabe und ebenfalls Mitglied im Lenkungskreis des Modellprojektes, warnt allerdings davor, „dass durch die neuen gesetzlichen Regelungen für Menschen mit geistiger und schwerst-mehrfacher Behinderung eine Leistungslücke entstehen könnte“. Das Modellprojekt biete nun Möglichkeiten, Erkenntnisse zu gewinnen, um die konkreten Auswirkungen des neuen Gesetzes auf die Praxis und damit die Lebenssituation von Menschen mit Handicap einschätzen zu können. So könne man Rückschlüsse auf die Veränderung der Lebenssituation ziehen und es an Land und Bund zurückspiegeln, sollte es zu einer Schlechterstellung beispielsweise von Menschen mit hohem Hilfebedarf kommen, erklärt Munk.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales fördert das Projekt mit rund zwei Millionen Euro.