Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Sinn und Zeit ziehen mehr als Geld
Vetter muss 100 offene Stellen besetzen: Betriebswohnungen und Teilzeit sollen Leute locken
RAVENSBURG - Vetter wächst rasant. So rasant, dass der Ravensburger Pharmadienstleister es momentan gar nicht schafft, so viele neue Leute einzustellen, wie es Arbeitsplätze gibt: Gut 100 Stellen sind ständig vakant – der Fachkräftemangel macht auch vor dem Familienbetrieb, der sich mittlerweile zum Global Player gemausert hat, nicht halt. Darum lässt man sich bei Vetter einiges einfallen, um neuen Mitarbeitern einen Job in Oberschwaben schmackhaft zu machen.
Da ist zum einen die ordentliche Bezahlung – fast schon selbstverständlich bei einem Unternehmen, das 2016 mehr als 500 Millionen Euro Umsatz gemacht hat. Gutes Geld allein reicht aber nicht: „Der jungen Generation ist Haus oder Auto nicht mehr so wichtig, sie hat einen anderen Wertekanon – und will sich mit dem, was sie tut, identifizieren“, weiß Dieter Schade, als Bereichsleiter bei Vetter fürs Personal verantwortlich. Das hat zur Folge, dass Vetter mehr mit dem Sinnhaftigkeitspfund wuchert. Denn was in Oberschwaben an Medikamenten für die Top 20 der Pharmaindustrie aseptisch abgefüllt wird, könne Leben retten oder verbessern und Krankheiten heilen, führt Schade ins Feld.
Außerdem reisen Bewerber heutzutage in der Regel mit einer Menge Erwartungen an den potenziellen Arbeitgeber an – sie wollen beispielsweise wissen, „was eine Firma der Gesellschaft zurückgibt – der soziale Fußabdruck muss stimmen“, so Schades Erfahrung. Da kommt es gut rüber, wenn Vetter damit punktet, dass die Firma nicht nur 15 geflüchtete Syrer unbefristet eingestellt hat, sondern „wir uns auch wirklich hinter deren Integration klemmen“, wie Firmensprecher Markus Kirchner deutlich macht. Außerdem unterstütze Vetter regelmäßig das Kunstmuseum oder den Palliativpflegedienst Clinic-Home-Interface.
Work-Life-Balance ist wichtig
Schließlich legen potenzielle Mitarbeiter neuerdings viel Wert auf ihre Work-Life-Balance. Weil bei einer Frauenquote von 67 Prozent das Thema Teilzeit immer wichtiger wird und selbst Führungskräfte häufig nicht mehr 100 Prozent arbeiten wollen, „müssen wir uns verstärkt auf flexible Arbeitszeiten einstellen“, gibt Schade die Richtung vor. Ein Unterfangen, das in einem Unternehmen, in dem teilweise an sieben Tagen die Woche im DreiSchicht-Betrieb geschafft wird, freilich einen ziemlichen Spagat bedeutet.
Aber egal: Bis mit 5500 Mitarbeitern die Kapazitätsgrenzen an den Standorten Ravensburg und Langenargen erreicht sind, werden neue Leute gebraucht – und da kann man sich bei Vetter in Sachen Akquise nicht zurücklehnen. Stattdessen zeigt der Pharmadienstleister auf Hochschul-, Bildungs- und Branchenmessen Flagge, ist in Sachen Nachwuchsförderung etwa beim Girl’s Day mit von der Partie und schaltet Stellenanzeigen in Zeitung und Internet, in Kinos und auf Bussen. Um zu verhindern, dass die Großunternehmen in Biberach und Friedrichshafen den Nachwuchs abgreifen, „werben wir mit sauberer Arbeit – bei uns muss man sich nicht schmutzig machen oder in einen ölverschmierten Blaumann schlüpfen“, erläutert Schade. Das Konzept geht offenbar auf: Seit Vetter marketingmäßig mehr auf die Pauke haut, „sind unsere Bewerbungseingänge rasant gestiegen“, so der Personalverantwortliche.
Eine Rolle spielt dabei auch der vergleichsweise sichere Arbeitsplatz bei Vetter: Weil die Menschen älter werden und auch in Entwicklungsländern einen immer besseren Zugang zu Medikamenten erhalten, „sind wir relativ konjunkturunabhängig“, erläutert Kirchner. Was trotz mangelnden Großstadtflairs viele zu einem „Ja“für Vetter bewegt: „Auch ein Berliner kommt lieber an den Bodensee, ehe er gar keinen Job hat“, sagt Schade dazu.
Durchschnittsalter liegt bei 37
Sobald man sich vertraglich einig ist, läuft bei Vetter die „Wir-kümmernuns-Maschine“an: Ein Mitarbeiter ist nur für den Wohnungs- und Umzugsservice der neuen Kollegen abgestellt. Das bedeutet: Er sammelt und schickt Wohnungsanzeigen, recherchiert im Inter- und Intranet oder schaut, dass die Neuen erst mal in einem der von Vetter angemieteten Apartments am Bahnhof oder in einer Ferienwohnung unterkommen. Momentan entstehen in der Ravensburger Innenstadt drei Mehrfamilienhäuser, in denen Vetter von 2019 an 10 bis 15 Wohnungen für Mitarbeiter anmietet. Auch in einer Ravensburger Kita sind 20 Plätze für den Pharmadienstleister reserviert. Wer ein eigenes Haus sucht, hat allerdings schlechte Karten. Daher nehmen viele, die ihr Eigenheim bis Ulm, Sigmaringen oder Radolfzell haben, die Fahrt nach Ravensburg in Kauf.
Generell gilt: Mit einem Durchschnittsalter von 37 Jahren ist Vetter ein „relativ junges Unternehmen“, wie Kirchner findet. Und das, obwohl die meisten Mitarbeiter – sofern sie denn das erste Jahr überstanden haben – der Firma sehr lange treu bleiben.
„Der jungen Generation ist Haus oder Auto nicht mehr so wichtig, sie hat einen anderen Wertekanon – und will sich mit dem, was sie tut, identifizieren.“Personalchef Dieter Schade über den Trend bei jungen Bewerbern
Was Unternehmenssprecher Markus Kirchner darüber sagt, wie Vetter Mitarbeiter gewinnt und was diese von ihrem potenziellen Arbeitgeber erwarten, ist im Interview zu hören unter www.schwäbische.de/vetterpersonal