Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Vom Wildhopfen zum Craft Beer
Ein unterhaltsamer Streifzug durch Geschichte und Gegenwart des Hopfenbaus in Tettnang
TETTNANG (chv) - Zum 22. Oberschwabentag hat die Gesellschaft Oberschwaben nach Tettnang eingeladen. Nach der Begrüßung durch Professor Thomas Zotz, den Vorsitzenden der Gesellschaft, stellte Bürgermeister Bruno Walter im vollen Rittersaal voller Stolz die Stadt Tettnang vor, die sich vom „unbedeutenden Städtle“, so in einer frühen Beschreibung, zur drittgrößten Stadt der Region gemausert hat. Grundlage seien Hopfen, „unser ältester global player“, und Gewerbe, vor allem Elektronik – eine Stadt mit interessanter Geschichte und Potenzial.
Montfort-Geschichte und Hopfenbau – diese Eckpfeiler wurden in Vorträgen von Elmar Kuhn und Jürgen Weishaupt beleuchtet. Der Geschäftsführer des Hopfenpflanzerverbands Tettnang nahm das 2019 anstehende Jubiläum „175 Jahre Hopfenbau in Tettnang“zum Anlass, Geschichte und Gegenwart des Hopfenbaus vorzustellen. Derzeit werde eine Chronik erstellt, basierend auf dem Grundlagenwerk von Peter Heidtmann. Weishaupt stellte die Pflanze vor, die auch heute noch an Flüssen, in Wäldern und Auen in Wildform zu finden sei und in Deutschland erstmals 736 in der heutigen Hallertau erwähnt werde. Ein „chemisches Wunderwerk“sei die Zusammensetzung der Pflanze, deren verdauungsfördernde und beruhigende Wirkung früh erkannt wurde und bis heute in der Medizin eingesetzt wird – 2007 wurde sie von der Uni Würzburg zur Arzneipflanze des Jahres ausgerufen.
Zeiten der Handpflücke sind 1956 vorbei
1822 habe König Wilhelm I. erste Versuche in Hohenheim angeordnet, 1844 hätten in Tettnang sieben engagierte Bürger den ersten Mustergarten angelegt, 1874 habe der Hopfen mit 400 Hektar Anbaufläche bereits den Weinbau überholt. Zu den Pionieren und Förderern zählte Israel Friedrich Wirth, der das Gut Kaltenberg auf 40 Hektar ausbaute. Große Veränderungen brachte 1956 die erste Pflückmaschine, damit endete die Handpflücke, die so viele Pflücker nach Tettnang gezogen hatte. 1382 kleine Hopfenbaubetriebe seien es 1959 in Tettnang gewesen, aktuell noch 133 Betriebe, die mit 1353 Hektar Anbaufläche 2,3 Prozent der weltweiten Hopfenfläche betreiben, was Weishaupt mit Stolz anmerkte.
Eigentlich sei der Hopfen ja nur ein Gewürz und damit eine kleine Kultur, dennoch gelte der Spruch: „Kein Bier ohne Hopfen und kein Hopfen ohne Bier.“Glücklicherweise habe man noch keinen Ersatz dafür gefunden. Große Exporterfolge habe Tettnang in den 80er- und 90erJahren in den USA und Japan erreicht, exportiert werde aber weltweit. Seit 2010 sei der Tettnanger Hopfen ein EU-weit geschütztes Markenprodukt. Wichtig seien für sein Gedeihen Klima, Anbau, Herstellung, Aroma und Pflanzenschutz, wobei für Düngen, Bodenbearbeitung und Pflanzenschutz strenge Vorgaben gälten. Eine Wissenschaft für sich sind heute Lagerung und Transport.
Mit Energieeffizienzprogrammen, neuen Anbauformen und Materialien wie Beton und Stahl sei man 2015 in die nachhaltige Hopfenproduktion eingestiegen. Behutsam würden auch neue Züchtungen wie „Flavour Hops“angebaut. Diese Züchtungen würden bei Einhaltung des Reinheitsgebots dennoch „Aroma-Peaks“bringen, neue Geschmacksnoten, die ihre Liebhaber finden. Zugleich revolutioniere das „Craft Beer“derzeit den Weltmarkt – während Europa rund 100 bis 300 Gramm Hopfen je Hektoliter einsetze, seien es in den USA bis zu drei Kilogramm je Hektoliter. Die Hopfenpflanzer beobachten die Entwicklung genau.