Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Bei starkem Regen und Hagel versagt der Digitalfunk
Einsatzkräfte können sich auf Technik nicht verlassen – Max Witzigmann fordert geringere Ausfallquote
LINDAU - Das Unwetter vor knapp zwei Wochen ist kurz und heftig gewesen. Lindaus Feuerwehrkommandant Max Witzigmann kamen die Minuten, in denen es stark geregnet und gehagelt hatte, aber extrem lang vor. Denn plötzlich funktionierten die digitalen Funkgeräte der Einsatzkräfte nicht mehr. Und Witzigmann war von seinen Feuerwehr-Kollegen abgeschnitten.
Der erste Einsatz während des Sturms war an der Schule in Reutin. Dort löste die automatische Brandmeldeanlage aus. „Schon beim Ausrücken war kein Funkverkehr mehr möglich“, erzählt Witzigmann. Er habe keinen Kontakt mehr zur integrierten Leitstelle (ILS) gehabt. „Auch zwischen den Fahrzeugen war kein Funkkontakt mehr möglich.“Mit dem Handy verschickte der Feuerwehrkommandant schließlich seinen Status an die Einsatzzentrale. Glücklicherweise stellte sich heraus, dass es sich an der Reutiner Schule lediglich um einen Fehlalarm handelte. Allerdings gingen gleichzeitig mehrere Meldungen über Unwetterschäden bei der Leitstelle ein: Bäume fielen um, Gebäude liefen voll. „Ich fühlte mich persönlich total verlassen an der Einsatzstelle“, erzählt Witzigmann.
Die digitalen Funkgeräte der Feuerwehrleute sind per Basisstation an die Leitstelle angebunden. Und diese Basisstationen sind wiederum über Richtfunk untereinander gekoppelt. „Wenn der Richtfunk gestört ist, kommt es zum Ausfall“, erklärt Witzigmann.
Das bayerische Innenministerium, bei dem die Beschwerden in Sachen Digitalfunk zusammenlaufen, bestätigt: Am 30. Mai hatten zwei Basisstationen wegen des Unwetters die Anbindung an das Digitalfunknetz und damit zur integrierten Leitstelle für sieben Minuten verloren. „Die oben erwähnte Unterbrechung der Anbindung ist auf den bundesweit bekannten physikalischen Umstand zurückzuführen, dass bei extremen Wetterlagen für kurze Zeit die Richtfunkverbindungen zwischen den Basisstationen beeinträchtigt werden“, schreibt Michael Siefener, stellvertretender Pressesprecher des Ministeriums. „Während dieser Zeit ist ein lokal beschränkter Funkverkehr innerhalb der Funkzelle weiterhin möglich, jedoch nicht darüber hinaus.“
Dass es im Landkreis Lindau immer wieder zu unwetterbedingten Ausfällen des digitalen Netzes – in das Bayern bis 2021 mehr als eine Milliarde Euro investiert – kommt, ist laut Kreisbrandrat Friedhold Schneider bekannt. „Die Feuerwehr hat immer auch das alte, analoge Funkgerät dabei“, sagt er. Auch die Alarmierung erfolgt laut Witzigmann noch analog.
Feuerwehr, Polizei, Rettungsdienst – sie alle hängen am selben digitalen Netz. Heißt auch: Bei allen fiel der Funk im Lindauer Stadtgebiet am Mittwoch vergangener Woche aus. „Der Digitalfunk leistet nicht ganz so viel, wie wir uns wünschen würden“, sagt Frank Grundkötter, Rettungsdienstleiter des Lindauer Roten Kreuzes. So sei der Funk durch dicke Gebäudemauern digital meist nicht mehr möglich, weswegen größere Firmengebäude oft sogenannte Repeater verbaut hätten, die das Signal verstärkten. „Und wenn es stark regnet, dann wird die Richtfunkstrecke unterbrochen. Und dann fallen für alle Hilfskräfte alle Funkgeräte aus“, bestätigt er die Erfahrungen von Kommandant Witzigmann. Die digitalen Funkgeräte seien vergleichbar mit einem Mobiltelefon. „Grundsätzlich gibt es beim Digitalfunk nur an oder aus“, erklärt er. „Analog gibt es einen guten und einen schlechten Funk, man hört ihn teilweise verrauscht, aber man hört was.“
Auch sei die Nutzung des Digitalfunks teilweise schwierig in der Handhabung. So funkten die Einsatzkräfte untereinander in verschiedenen Gruppen. „Aber es ist extrem umständlich, zwischen den Gruppen zu wechseln“, erklärt Grundkötter. „Sie haben 30 000 Gruppen auf ihrem Funkgerät – jetzt finden Sie mal die richtige.“
Für Kommandant Max Witzigmann wird der Digitalfunk seinen Ansprüchen nicht gerecht. Denn die Störung vor zwei Wochen sei kein Einzelfall gewesen. Auch Anfang August vergangenen Jahres, als in Lindau bei einem heftigen Sturm mehrere Bäume umgefallen sind, sei das Netz zusammengebrochen. Das Innenministerium bestätigt, dass es an diesem Tag zu unwetterbedingten Störungen gekommen ist – und zwar in mehreren Netzabschnitten in ganz Bayern.
Polizei bekommt Diensthandys, um Videos zu verschicken
„Im Grunde ist das Netz so lange stabil, bis Regen kommt“, sagt Witzigmann. Regen oder Hagel dämpften das Signal so stark, dass eine digitale Funkverbindung zwischen Leitstelle und Fahrzeugen sowie unter den Fahrzeugen nicht mehr möglich sei. „Da kann man sich ja vorstellen, was los ist, wenn mehrere Einsätze gleichzeitig passieren.“Ihn ärgert, dass er in solchen Fällen immer wieder auf den überholten Analogfunk oder sein Mobiltelefon zurückgreifen muss. „Sobald auf die Smartphones ein Tropfen Regen kommt, kann man nicht mehr wählen.“
Auch für die bayerische Polizei reichen digitale Funkgeräte nicht aus, um die Ansprüche an die tägliche Arbeit zu erfüllen. Die Beamten werden zurzeit zusätzlich mit Diensthandys ausgestattet, wie Innenministeriumssprecher Siefener auf Anfrage der Schwäbischen Zeitung bestätigt. Denn zwar könnten mit den Digital-Funkgeräten Kurznachrichten, Statusmeldungen und GPS-Koordinaten an mehrere Teilnehmer gleichzeitig gesendet werden. Für die Übertragung von zum Beispiel Videos sei aber schlicht nicht genug Bandbreite da.
Dass das digitale Funken auch Vorteile hat, das liegt für die Mitglieder von Feuerwehr und Rettungsdienst auf der Hand. „Sie können mit einem Handfunkgerät von Lindau nach Kempten funken“, erklärt Kreisbrandrat Schneider. „Die Umgebungsgeräusche werden komplett rausgefiltert“, ergänzt Grundkötter. Außerdem seien die Funkgeräte abhörsicher, ließen sich orten und hätten eine Notruftaste. Auch Kommandant Witzigmann sieht diese Vorteile. Allerdings muss seiner Meinung nach die Ausfallquote der Geräte deutlich sinken. Damit der Digitalfunk irgendwann auch ohne seine analogen Vorgänger und das Handy funktioniert.