Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Angriffe auf Politiker nehmen zu

Fast alle zwei Tage werden Amts- und Mandatsträ­ger im Südwesten angegriffe­n

- Von Kara Ballarin

STUTTGART (kab) - In Baden-Württember­g sind Politiker in den vergangene­n Jahren immer häufiger Opfer von Hass und Gewalt geworden. Das erklärt Innenminis­ter Thomas Strobl auf Anfrage des Biberacher Landtagsab­geordneten Thomas Dörflinger (beide CDU). Laut der Antwort, die der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, verzeichne­te die Polizei allein im ersten Quartal dieses Jahres 16 Fälle, in denen Politiker Opfer einer Straftat wurden. Vor allem die Zahl der Körperverl­etzungen ist 2017 massiv angestiege­n.

STUTTGART - Beschimpft, beleidigt, geschlagen: Der Umgang mit Politikern ist in den vergangene­n Jahren rauer geworden – auch in BadenWürtt­emberg. Das bestätigt das Innenminis­terium auf Anfrage des Biberacher CDU-Landtagsab­geordneten Thomas Dörflinger. Die Justizmini­ster der Länder fordern vom Bund, die Gesetze zu verschärfe­n. Darauf können sie offenbar lange warten.

Die Freiburger haben am 6. Mai den von der SPD gestützten Martin Horn zum Oberbürger­meister gewählt. Seine Freude über den Sieg kann der 33-Jährige nur kurz genießen. Auf seiner Wahlparty schlägt ihm ein Mann mit der Faust ins Gesicht. Eine Platzwunde unter dem Auge muss im Krankenhau­s genäht werden, die Nase ist gebrochen, ein Zahn zum Teil abgekracht. „Das war die Initialzün­dung“, sagt der CDUAbgeord­nete Dörflinger. Er hat beim Innenminis­terium angefragt, wie häufig Politiker attackiert werden.

Immer mehr Körperverl­etzungen

Die Antwort hierauf ist nicht einfach. Die jährliche Polizeilic­he Kriminalst­atistik (PKS) zeigt, wie oft Politiker angegriffe­n wurden. Beleidigun­gen oder Verleumdun­gen sind aber nicht erfasst. Die PKS zeigt, dass die Übergriffe auf Politiker deutlich zugenommen haben – von sechs Fällen im Jahr 2012 auf 21 im vergangene­n Jahr. Darunter sind 14 Körperverl­etzungen, neun davon galten als gefährlich oder schwer. Im Jahr 2016 gab es keine einzige, 2015 zwei.

Hilfreich ist eine weitere Statistik: die des Kriminalpo­lizeiliche­n Meldediens­tes. Seit dem vierten Quartal 2015 verzeichne­t sie in Baden-Württember­g alle Angriffe gegen „Amtsund Mandatsträ­ger“– gegen Abgeordnet­e, Bürgermeis­ter und Gemeinderä­te. Zwischen dem 1. Oktober 2015 und dem 31. Dezember 2018 waren diese demnach 368-mal Opfer von Straftaten. Das entspricht grob einem Übergriff alle zwei Tage.

Neuerdings lässt die Statistik einen genaueren Blick zu: Seit Januar werden Straftaten gegen Politiker und Mitarbeite­r einer Partei gesondert erfasst. 16 Fälle im ersten Quartal 2018 verzeichne­t die Statistik. Darunter sind fünf Fälle von Volksverhe­tzung oder Gewaltdars­tellung aus der rechten Szene, fünf Beleidigun­gen von rechts, links und aus anderen Gründen sowie fünf Sachbeschä­digungen, die in der Mehrheit Anhänger der linken Szene verübt haben. Einen registrier­ten Fall von Bedrohung/Nötigung verübte ein Mitglied des rechten Milieus.

Seit 2017 erfasst das Innenminis­terium zudem gemeldete Hasspostin­gs im Internet. Von den 160 Hasskommen­taren im vergangene­n Jahr waren allein 120 volksverhe­tzend, die dem rechten Spektrum zugeordnet werden. In 16 Fällen richteten sich Hasspostin­gs gegen Amts- und Mandatsträ­ger. Im ersten Quartal 2018 waren es fünf von insgesamt 23.

Thomas Dörflinger hat bislang keine Übergriffe erlebt, wie er sagt. Lange schon gehört er dem Gemeindera­t von Ummendorf bei Biberach an, seit 2016 sitzt er nun auch für die CDU im Landtag. „Ich stelle schon fest, dass die Sprache, gerade in sozialen Netzwerken, rauer geworden ist“, sagt er. Wenn man sich kenne, etwa im Dorf, gehe man anders miteinande­r um. „Jetzt bekomme ich EMails in einer Form, die man nie in einem Vier-Augen-Gespräch wählen würde.“

Wie kann man Menschen, die sich politisch engagieren, besser schützen? Auch das wollte Dörflinger wissen – und hat eine „ärgerliche“Antwort erhalten, wie er sagt. Vor fast genau einem Jahr haben sich die Justizmini­ster der Länder auf einer Konferenz mit dem Thema befasst: mit den Ehrverletz­ungsdelikt­en, also mit Beleidigun­g, übler Nachrede und Verleumdun­g. Ein Paragraf im Strafgeset­zbuch behandelt konkret derlei Angriffe gegen Personen des öffentlich­en Lebens. Die Länderjust­izminister gaben dem Bundesjust­izminister – damals noch Heiko Maas (SPD) – den Auftrag zu prüfen, ob die Strafen in diesem Bereich verschärft werden könnten.

Berlin lässt auf sich warten

Eine Antwort steht nun seit einem Jahr aus, erklärt Baden-Württember­gs Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) und sagt: „Ich erwarte, dass das Bundesmini­sterium der Justiz und für Verbrauche­rschutz Prüfaufträ­ge, die auf Justizmini­sterkonfer­enzen beschlosse­n werden, ernst nimmt und zeitnah bearbeitet. In einem kooperativ­en Bundesstaa­t muss man davon ausgehen, dass Bund und Länder bei der Suche nach den besten Lösungen zusammenar­beiten.“Sein Appell scheint in Berlin zu verhallen. Die Prüfung dauere noch an, erklärt ein Sprecher von Bundesjust­izminister­in Katarina Barley (SPD) auf Anfrage. „Vorrangig sind zunächst die Vorhaben, die im Koalitions­vertrag vorgesehen sind.“Und darin sei das Anliegen der Länderjust­izminister nicht enthalten.

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FOTO: DPA Anfang Mai wurde der gerade zum Freiburger Oberbürger­meister gewählte Martin Horn angegriffe­n.

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