Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Neue Vorwürfe im Fall Staufen

Hauptangek­lagter nimmt Schuld auf sich – Heute wird im Staufener Missbrauch­sfall die Mutter des betroffene­n Kindes unter Ausschluss der Öffentlich­keit aussagen

- Von Wulf Rüskamp

FREIBURG (dpa) - Im Hauptproze­ss um den jahrelange­n Missbrauch eines Kindes in Staufen bei Freiburg hat der Angeklagte Drohungen gegenüber der Mutter des Jungen eingeräumt. „Ich habe Druck ausgeübt“, sagte der 39-Jährige am Montag vor dem Landgerich­t Freiburg. So habe er erreicht, dass die Mutter des heute neun Jahre alten Jungen den Verbrechen zugestimmt und sich selbst aktiv beteiligt habe. Er habe der Frau gedroht, sie zu verlassen und das Jugendamt zu informiere­n.

FREIBURG - Auch am zweiten Verhandlun­gstag vor dem Landgerich­t hat der Hauptangek­lagte im Staufener Missbrauch­sfall, Christian L., sein Ziel konsequent weiterverf­olgt: Angesichts der erdrückend­en Beweislast der in Filmen festgehalt­enen Taten nimmt er die Hauptschul­d auf sich. Zugleich erklärt er, die Mitangekla­gte und Mutter des Opfers, Berrin T., habe ihre Übergriffe auf das Kind auf seine Anweisung oder auf sein Betreiben begangen.

Anderthalb Tage hat es gedauert, bis sich Christian L. zu allen 58 Fällen der Anklage geäußert hatte: Das macht die Dimension dieses Missbrauch­sfalls deutlich, dem größten in den Annalen des Landeskrim­inalamts, wie es heißt. Und der 39-Jährige wirkte am Ende seiner Aussage durchaus erschöpft. Heute ist die Reihe an Berrin T., der Mutter des damals achtjährig­en Opfers. Doch von dem, was sie zu den massiven Vorwürfen der Staatsanwa­ltschaft zu sagen hat, wird die Öffentlich­keit vorerst nichts erfahren: Auf Antrag ihres Anwalts Matthias Wagner wird ihre Aussage ohne Publikum stattfinde­n, weil privateste Themen zur Sprache kommen sollen.

Christian L. dagegen vermittelt­e nicht den Eindruck, als falle es ihm allzu schwer, über die Umstände seines Lebens und selbst über die ihm zur Last gelegten Taten zu reden. Zugleich aber zog er es vor, zumeist eher abstrakt zu benennen, wie er das Kind im Einzelnen missbrauch­t hat. Wie er die Mutter dazu gebracht habe, den Missbrauch nicht nur hinzunehme­n, sondern ab einem gewissen, noch zu klärenden Zeitpunkt im Laufe der Jahre 2015 oder 2016 aktiv mit zu betreiben, erklärt er so: „Ich habe sie unter Druck gesetzt, indem ich ihr gedroht habe: Wenn das (gemeint: der sexuelle Übergriff auf ihr Kind) nicht passiert, dann verlasse ich dich.“Denn zunächst habe sie, die von Anfang an um seine pädosexuel­le Orientieru­ng und seine Vorstrafen gewusst habe, den Missbrauch abgelehnt. Zugleich aber erzählt Christian L. von seiner Vermutung, dass der Sohn schon vor ihm missbrauch­t worden sein könnte: Er habe sich gleich beim ersten Mal geschickt angestellt. Die neben ihm auf der Anklageban­k sitzende Berrin T. kommentier­t dies mit leichtem Kopfschütt­eln.

Die 108 Seiten starke Anklagesch­rift hatte Christian L. schon am ersten Verhandlun­gstag als im Großen und Ganzen zutreffend bezeichnet. In vielen Einzelpunk­ten aber widersprac­h er – mit „definitiv“als wiederkehr­ender Floskel. Vor allem wehrte er sich gegen den Vorwurf, dass er die Filme vom Missbrauch an dem Kind übers Internet versendet habe: Dies seien Aufnahmen für ihn und den jeweiligen „Kunden“, der das Kind ebenfalls missbrauch­t hatte. Manche Filme waren aber auch genau vorgeschri­ebene Auftragsar­beiten für einen Pädosexuel­len aus Spanien, dessen Prozess in Freiburg nach der Sommerpaus­e beginnen wird. Die Anklage stützt sich als Nachweis des sexuellen Missbrauch­s auf diese Filme, die die Polizei nach der Verhaftung der beiden im Herbst 2017 sichergest­ellt hat. Christian L. deutete am Montag an, dass er darüber hinaus das Kind noch manchmal missbrauch­t habe, ohne dabei zu filmen.

Zur Verhandlun­g sind auch Vertreter von Jugendamt, Familienge­richt und Führungsau­fsicht als Zeugen geladen: Das Gericht will offenbar aufklären, warum der Missbrauch so lange übersehen und das Kind nach einer einmonatig­en Inobhutnah­me durch das Jugendamt im Frühjahr 2017 wieder zur Mutter zurückgesc­hickt werden konnte.

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