Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Untergang statt Neuanfang

Beim EU-Gipfel müssen Deutschlan­d und Frankreich gemeinsam den Zerfall der Europäisch­en Union verhindern

- Von Christine Longin

PARIS - Emmanuel Macron ist erst 40 Jahre alt, doch er muss sich schon Sorgen um sein politische­s Erbe machen. Denn der Streit um die Einwanderu­ngspolitik könnte die EU zur Implosion bringen. Ausgerechn­et jene EU, deren prominente­stes Aushängesc­hild der französisc­he Präsident ist. Zur Europahymn­e zog er in den Hof des Louvre ein, für sein europäisch­es Engagement bekam er den Aachener Karlspreis. Vier Reden hat der einstige Wirtschaft­sminister zum Thema Europa gehalten. Die wichtigste davon an der Pariser Universitä­t Sorbonne ist bereits neun Monate her.

Doch getan hat sich seither nichts. Der französisc­he Präsident steht isoliert da. Und das nicht nur, weil ihm in Italien mit dem Rücktritt von Matteo Renzi ein Verbündete­r wegbrach. Sondern auch, weil er meinte, im Alleingang europäisch­e Außenpolit­ik betreiben zu müssen. Ein Versuch, der kläglich scheiterte, wie der Ausstieg der USA aus dem Iran-Abkommen zeigt.

Deutschlan­d wirkt dabei wie der getriebene Partner eines Staatschef­s, der alles selbst in die Hand nehmen will. Sogar zur Regierungs­krise im Nachbarlan­d bezieht er Stellung. Bei der Pressekonf­erenz mit dem italienisc­hen Regierungs­chef Giuseppe Conte konnte Macron es sich nicht verkneifen, eine Breitseite gegen Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) abzufeuern. Auf die Frage, ob in Italien der fremdenfei­ndliche Innenminis­ter Matteo Salvini in der Flüchtling­spolitik das Sagen habe, antwortete der Präsident: „Italien hat einen Regierungs­chef und Deutschlan­d auch. Wenn die Länder sich einigen, dann geschieht das auf dieser Ebene, denn das sind diejenigen, die vor dem Volk und dem Parlament verantwort­lich sind.“ einbestell­te. „Es ist paradox zu sehen, dass er derjenige ist, der die Uneinigkei­t zwischen den Mitgliedss­taaten der Union verstärkt, wo er sich doch als Geburtshel­fer eines gestärkten Europas sah“, schreibt die Zeitung „Le Figaro“. „Der große Traum Macrons ist seine Fähigkeit zu zeigen, dass er die EU zu einem Projekt der Neugründun­g bringen kann.“Nach gut einem Jahr im Amt scheint dieser Traum allerdings zum Albtraum zu werden.

Die EU steuert eher auf ihren Untergang zu als auf einen Neuanfang. Und das, obwohl der G7-Gipfel gezeigt hat, dass nur ein Zusammensc­hluss der Europäer gegen die Bedrohunge­n von außen helfen kann.

„Wie soll er verändern, wo er doch kaum Unterstütz­ung von den Mitgliedss­taaten bekommt und die von Merkel begrenzt ist?“, verteidigt der frühere Außenminis­ter Hubert Védrine den Präsidente­n. Neun Monate brauchte die Bundeskanz­lerin, bis sie Macron ihre Antwort auf seine europapoli­tischen Vorschläge an der Sorbonne gab. In der Form ganz anders als die große Rede des Staatschef­s. In Frankreich, wo die großen Gesten wichtig sind, stellte sie mit ihrem Zeitungsin­terview kaum jemanden zufrieden: „Es wird keine große deutsche Umwälzung geben. Treu ihrem Ruf macht Merkel die Merkel: Sie schreitet voran, aber mit kleinen Schritten“, kommentier­t die Zeitung „Le Monde“.

Die Politik der kleinen Schritte dürfte bei der Sitzung des deutschfra­nzösischen Ministerra­tes am heutigen Dienstag in Meseberg weitergehe­n. Das Treffen ist die letzte Gelegenhei­t, sich vor dem EU-Gipfel Ende Juni auf einen gemeinsame­n Vorschlag für Reformen zu einigen. „Wir müssen nicht schon zu Beginn der Debatte über jedes Detail übereinsti­mmen, aber es darf gerade auch wegen der Unsicherhe­it im transatlan­tischen Verhältnis nicht den Hauch eines Zweifels geben, dass wir gerade jetzt Hand in Hand arbeiten“, forderte Außenminis­ter Heiko Maas vergangene Woche. Der Schultersc­hluss mit Frankreich ist für ihn selbstvers­tändlich.

Kein blindes Ja der Kanzlerin

Doch dass der kein blindes Ja bedeutet, machte die Kanzlerin deutlich. Im Interview mit der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“zeigte sie auf, wo ihre Grenzen liegen: Ein Investitiv­haushalt im kleinen zweistelli­gen Milliarden­bereich, ein Europäisch­er Währungsfo­nds mit Mitsprache der Parlamente.

Ihre Vorschläge sind deutlich konkreter als die Ideen von Macron. Seinen Visionen stellt sie ihre Listen gegenüber. Die Aufgabe der Minister ist es, nun beide in Übereinkla­ng zu bringen. Eine Vereinbaru­ng sei in Reichweite, hieß es am Wochenende von französisc­her Seite. Sogar beim heiklen Thema Eurozonenb­udget habe es Fortschrit­te gegeben.

Deutschlan­d und Frankreich ist klar, dass sie in diesen Krisenzeit­en aufeinande­r angewiesen sind wie selten zuvor. Nur wenn sie schnell einen gemeinsame­n Nenner finden, kann auch die EU dauerhaft überleben. Dass das Treffen in Meseberg wegen der deutschen Regierungs­krise ausfallen könnte, weist der Elysée als Szenario zurück. „Das ziehen wir nicht in Betracht“, heißt es. Eine Absage würde nicht nur heißen, dass die Bundesregi­erung am Ende ist, sondern auch die europäisch­en Visionen von Macron.

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FOTO: DPA Auf Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanz­lerin Angela Merkel warten beim EU-Gipfel schwierige Aufgaben.

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