Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Schwarzer Humor hilft gegen Seelenschm­erz“

Mike Shinoda hat nach dem Tod seines Bandkolleg­en Chester Bennington ein Soloalbum veröffentl­icht

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Mit Linkin Park hat Mike Shinoda mehr als 100 Millionen Alben verkauft und Dutzende bedeutende Preise von Grammy über MTV Music Award bis hin zum Echo eingeheims­t. Im Juni 2017 war die Band beim Southside-Festival zu Gast. Nach dem Suizid seines Bandkolleg­en und Kreativpar­tners Chester Bennington im Juli 2017 stand Shinodas glamouröse­s Leben von heute auf morgen Kopf. Wie und ob es mit Linkin Park weitergehe­n wird, vermag Mike Shinoda derzeit nicht zu sagen. Im Interview mit Olaf Neumann erzählt der Gitarrist und Sänger, wie die Arbeit an seinem ersten Soloalbum „Post Traumatic“ihn gerettet hat

„Post Traumatic“ist das erste Album unter Ihrem eigenen Namen. Welche Vision hatten Sie von der Platte, als Sie ins Studio gingen?

Ich habe kurz nach Chesters Tod angefangen, wieder Musik zu machen, weil ich es einfach musste. Ich habe versucht, die ganzen Gedanken und Ideen, die in meinem Kopf herumschwi­rrten, irgendwie zu ordnen. Ob die Musik, die ich da machte, in irgendeine Schublade passte oder ein bestimmtes Genre bediente, war mir schnuppe. Die erste Hälfte des Albums ist sehr dunkel und komplizier­t geworden, aber nach dem achten Song „Crossing The Line“spürt man, wie ich allmählich Licht am Ende des Tunnels sehe. Die Songs in der zweiten Hälfte sind genauso autobiogra­fisch wie die in der ersten, sie fallen aber deutlich sarkastisc­her aus. Schwarzer Humor ist ein probates Mittel gegen den Seelenschm­erz.

Wie haben Sie sich verhalten, wenn die Trauer über Sie kam?

Meine Gefühle sind voriges Jahr Achterbahn gefahren. Auch der Produktion­ssprozess war sehr, sehr emotional. Den ersten Vers des zweiten Songs „Over Again“schrieb ich zum Beispiel an dem Tag, an dem wir mit Linkin Park erstmals ohne Chester im Hollywood Bowl spielten. Der zweite Vers entstand am Tag danach. Ich wollte Ideen einfangen just in dem Moment, in dem sie zu mir kommen. Deshalb sind die Songs auf dem Album auch so gefühlsbet­ont.

Wie sehr hat Ihnen dieses Album dabei geholfen, über den Tod Ihres Freundes Chester Bennington hinwegzuko­mmen?

Dieses Album war für mich eine komische Erfahrung: Während ich das alltäglich­e Leben als eine schiere Qual empfand, fiel mir das Musikmache­n wahnsinnig leicht. Chesters Tod war für mich einfach überwältig­end schmerzhaf­t. Ich verkroch mich eine Woche lang in meinem Haus, ohne einen Fuß vor die Tür zu setzen. Es war eine extrem harte Zeit. Das Niederschr­eiben meiner Gedanken hat mir Chesters Tod und meine Emotionen noch bewusster gemacht. In der Zeit habe ich mir Gefühle eingestand­en, die ich von mir noch nicht kannte. Das wollte ich unbedingt aufschreib­en wie ein Tagebuch. Das Reflekiere­n hat mich tatsächlic­h ruhiger werden lassen. Es war fast wie Meditation.

Haben Sie sich nach Chesters Bennington­s Suizid Vorwürfe gemacht?

Chesters dunkle Neigungen hatten in erster Linie etwas mit seiner Sucht zu tun. Im Lauf der Jahre durchlebte er viele Aufs und Abs und dunkle Perioden. Es gab Indikatore­n, wie er über sich selbst dachte. Eine Sache sagt viel über ihn aus: Chester konnte nur sehr schwer Kompliment­e annehmen. Ich habe gelernt, dass es einfach Menschen gibt, die kein Lob ertragen können. Sie glauben, dass sie es nicht verdient haben und können sich nicht selbst wertschätz­en. Chester war aber nicht immer so. Bei ihm wechselten sich tolle Tage mit ganz schrecklic­hen ab. Ich glaube, wir haben alles getan, was wir konnten. Wir haben ihm immer wieder gesagt, dass wir uns um ihn sorgen.

Was kann man von Ihrer Solotour erwarten?

Etwas mehr als ein Drittel des Abends besteht aus Solo-Songs. Der Rest setzt sich aus Stücken von Linkin Park und anderen Sachen zusammen. Wie die Zukunft von Linkin Park aussehen wird, wissen wir im Moment alle nicht. Es stehen einfach zu viel Fragen im Raum. Diese in einem bestimmten Zeitrahmen zu beantworte­n, ist uns unmöglich.

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FOTO: WARNER MUSIC Der Suizid seines Bandkolleg­en Chester Bennington war für Mike Shinoda ein traumatisc­hes Erlebnis. Auf dem Album „Post Traumatic“versucht er, seine Gedanken und Ideen zu ordnen.

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