Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Julian Brandts Selfie nach der Pleite: War das okay?

- ●» j.schattmann@schwaebisc­he.de ●» j.schlosser@schwaebisc­he.de

Natürlich war es okay, dass Julian Brandt nach dem 0:1 der Deutschen gegen Mexiko einem Jungen ein Selfie gönnte.

Für den Leverkusen­er galt da der alte Häschenwit­z: Hattu Brandt (in der Mannschaft), muttu löschen. Also übernahm der Junior mit seinen 22 Verantwort­ung und machte einen auf gute Laune. Ging zu dem Fan, posierte brav, lächelte sogar, schließlic­h ahnte er: Durch die Niederlage hat sein

Team 50 Prozent der Anhänger, also alle Erfolgsfan­s, fürs Erste verloren. Die anderen aber gilt es, bei der Stange zu halten, und das geht nur durch: gewaltfrei­e Kommunikat­ion, wenn möglich sogar humorvolle. Und Siege natürlich, irgendwann wieder.

Die Fans sind der zwölfte Mann im Sport, man darf sie nicht vergrätzen. Das weiß ein Ronaldo, der gern mit Buben posiert (allerdings nicht gern Steuern für ihre Kindergärt­en zahlt). Das weiß ein Thomas Müller, der stets versucht, sein Gegenüber zum Schmunzeln zu bringen. Und das weiß auch einer wie das Tischtenni­s-Idol Timo Boll, der noch mit 37 nach jedem Spiel fast 30 Minuten lang Autogramme gibt. „Ich wollte in den Spielertun­nel, da kam der kleine Junge und hat geschrien. In der Sekunde denkst du gar nicht darüber nach. Du tust dem Kleinen den Gefallen oder halt nicht“, sagte Brandt. Er weiß: Es gibt nichts Schöneres auf der Welt, als ein Kind zum Lachen zu bringen.

Erklärbar wäre die Aktion gewesen, wäre der Junge mit Julian Brandt verwandt oder sonst irgendwie verbandelt. Ansonsten liegt die Motivation für dieses Selfie beiderseit­s völlig im Dunkeln. Mehrere dem Autor bekannte Kinder wären nach diesem Gegurke niemals auf die Idee gekommen, ein Foto von oder mit einer Luschniki-Lusche haben zu wollen. Sie waren allesamt traurig oder sogar verärgert.

Okay gewesen wäre aus ihrer Sicht bestenfall­s ein Selfie mit Manuel Neuer. Aber der Keeper war im Gegensatz zu Brandt viel zu verärgert, um grinsend zu posieren. Nun darauf herumzurei­ten, dass ein Kind auf keinen Fall enttäuscht werden darf, ist völlig lächerlich. Enttäuscht wurden Tausende Kinder durch das lustlose Gekicke von Brandt und Konsorten. Spieler wie der allzu höfliche Sportfreun­d aus Leverkusen sind gut fürs Image eines Verbandes. Aber was soll man von einem Burschen erwarten, der sich nach dem blamabelst­en WM-Auftaktmat­ch einer deutschen Elf seit Jahrzehnte­n lächelnd für die nächste WhatsApp-Nachricht ablichten lässt? Nichts. Fotos statt Frust – das war symptomati­sch und gar nicht okay. Genau wie der Auftritt auf dem Feld. Auch dort waren die DFB-Akteure sehr zuvorkomme­nd und überließen das Kämpfen den Mexikanern. Peinlich.

„Die Fans sollte man nicht vergrätzen.“Von Jürgen Schattmann

„Peinlich wie der ganze DFB-Auftritt.“Von Jochen Schlosser

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