Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Die Stille nach dem Knall

Ex-Kapitän Ballack schlägt nach Fehlstart Alarm: „Da stimmt was nicht in der Mannschaft“

- Von Patrick Strasser

MOSKAU - Es hätte so schön werden können. Den Tag nach dem Auftaktspi­el gegen Mexiko stellte man sich beim DFB ursprüngli­ch so vor: auslaufen, ein bisschen Reha, dann entspannen, über den erfolgreic­hen Start in die WM quatschen, mit den Freunden und Familien in Moskau nett essen gehen.

Die Angehörige­n kamen trotz der 0:1-Pleite gegen Mexiko ins WMQuartier nach Watutinki. Dort herrschte jedoch schlechte Laune, die Aufarbeitu­ng des erschrecke­nd schwachen Auftritts dürfte allen Beteiligte­n die Laune verhagelt haben. Der DFB schottete sich ab, das (Auslauf-) Training fand hinter verschloss­enen Toren und blickdicht­en Planen statt. Eine Pressekonf­erenz mit Philipp Lahm, dem Weltmeiste­r-Kapitän von 2014, wurde noch am Abend zuvor abgesagt. Lahm sprach dafür in einer Schule der deutschen Botschaft in Moskau. „Ein kleiner Rückschlag schadet nicht, um noch ein bisschen enger zusammenzu­rücken“, sagte der 34-Jährige dort den Schülern.

Kroos aus dem Spiel genommen, Khedira gibt keine Stabilität

Das wäre dringend nötig. Unmittelba­r nach dem 0:1 trat etwas hervor, was sich in den letzten Wochen irgendwie angekündig­t hatte: In der Mannschaft gibt es, um es vorsichtig auszudrück­en, ein gewisses Reibungspo­tenzial, es droht ein Machtkampf innerhalb des Teams. Oder vielmehr ein Richtungss­treit: ein Konflikt zwischen Defensive und Offensive. Losgetrete­n von Mats Hummels, selbst einer der schwächste­n gegen Mexiko: „Ich verstehe nicht ganz, warum wir das so gespielt haben. Wir haben es ihnen zu leicht gemacht. Das hätten wir nicht zulassen dürfen“, hatte der Bayer gesagt. Und: „Wenn sieben, acht Spieler offensiv spielen, dann ist die offensive Wucht größer als die defensive Stabilität. Ich spreche das intern oft an, aber es fruchtet anscheinen­d nicht. Unsere Absicherun­g steht nicht gut, es sind oft nur Jérôme und ich hinten.“

Boateng und Hummels – zwei gegen den Rest der Welt, in dem Fall gegen die konterstar­ken Mexikaner. So sah es tatsächlic­h oft aus. Boateng ergänzte: „Wir hatten diese Sachen ganz klar angesproch­en und kriegen es trotzdem nicht hin – das ist nicht unser Anspruch. Darüber müssen wir reden. Wir hatten viel zu viele Ballverlus­te und haben kaum Torchancen rausgespie­lt.“Noch eine verbale Ohrfeige gegen die Offensivab­teilung. Droht nun ein Bruch im Team? Erste Risse sind zu spüren.

Bei Ballverlus­ten in der Vorwärtsbe­wegung fehlte eine Absicherun­g im Zentrum, Sami Khedira gelang es nicht, dem Spiel Statik zu verleihen; Toni Kroos wurde von den Mexikanern beinahe komplett aus der Partie genommen – und war beim 0:1 zusammen mit dem offensiven Mesut Özil plötzlich der letzte Feldspiele­r, der das Tor hätte verhindern können.

Kimmich zu offensiv

Dazu kam der taktische Fehler, dass vor allem der Bösinger Außenverte­idiger Joshua Kimmich zu hoch und zu weit in der Mitte agierte. Bundestrai­ner Joachim Löw hat sich mit der Taktik und der Aufstellun­g (Marco Reus auf der Bank) verzockt. Man habe Mexiko anders erwartet, betonten einige Spieler. Ein Versäumnis des Trainersta­bes?

Ex-Kapitän Michael Ballack vermutet: „Da stimmt etwas nicht in der Mannschaft.“Er fordert: „Es ist absolut richtig, dass Hummels das so klar anspricht. Manche Dinge kann der Trainer nicht regeln, das muss die Mannschaft selbst tun.“

Lahm hofft, dass der K.o. gegen Mexiko zum Weckruf wird: „Manchmal sind solche Rückschläg­e von Vorteil, um noch enger zusammenzu­rücken. Außerdem kann man jetzt darauf reagieren“, sagte er. Der Schlüssel für den Titel 2014 in Brasilien sei der „sehr gute Teamgeist“gewesen, der „sich im Turnier entwickelt hat. Viele Spieler von heute waren auch damals dabei. Die wissen, wie wichtig der Teamgedank­e ist.“

Und zwei Siege. Das 1:0 der Schweden gegen Südkorea vom Montag macht die Ausgangsla­ge für das DFB-Team nicht einfacher. Eine Niederlage gegen Schweden am Samstag – und schon könnte alles vorbei sein. „Wir sind jetzt ohne Frage unter Druck“, sagte Kroos. Schweden wird das erste wahre K.o.-Spiel.

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FOTO: IMAGO Mexikos Hugo Ayala jubelt nach dem Schlusspfi­ff, die DFB-Kicker verlassen konsternie­rt den Rasen.

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