Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Alleskönne­r oder Teufelszeu­g?

Kaum eine Substanz hat einen so kometenhaf­ten Aufstieg hingelegt wie Kaffee

- Von Teresa Nauber

LÜBECK/HAMBURG (dpa) - Lange Zeit galt Kaffee als Gift: nervenschä­dlich, herzbelast­end, magenreize­nd. Es ist nicht so, dass die Menschen das interessie­rt hätte. Ob morgens zum Aufwachen oder am Nachmittag zum Bienenstic­h – Kaffee gehört seit jeher zum Alltag der meisten Deutschen. Zwei große Tassen gönnen sie sich im Schnitt pro Tag. In jüngster Zeit aber mehren sich die Zeichen, dass der Wachmacher womöglich gar nicht so schädlich ist. Im Gegenteil: Geradezu gesund soll er nun sein.

Die jüngste Studie, die Anlass gibt, Kaffee endgültig zu rehabiliti­eren, ist eigentlich keine Studie. Forscher aus Southampto­n und Edinburgh haben mehr als 200 Metaanalys­en zusammenge­fasst, die wiederum ihrerseits auf einer Vielzahl von Studien beruhten. Darunter 17 Analysen von sogenannte­n Interventi­onsstudien, die aus wissenscha­ftlicher Sicht besonders relevant sind. Man kann also sagen, dass die Datengrund­lage beträchtli­ch ist.

Was dabei herauskam, hat selbst Leute verblüfft, die schon lange vermuten, dass Kaffee eine positive Wirkung haben kann. Professor Christian Sina zum Beispiel, der das Institut für Ernährungs­medizin an der Universitä­t zu Lübeck leitet. „Im Ergebnis wurde gezeigt, dass das relative Sterberisi­ko bei Personen, die drei bis vier Tassen Kaffee am Tag trinken, signifikan­t geringer war als bei Nichtkaffe­etrinkern“, sagt er. Sie erkrankten auch seltener an HerzKreisl­auf-Leiden, an Lebererkra­nkungen oder bestimmten Krebsarten. Die Effekte waren deutlich: Unter den Kaffeetrin­kern gab es 18 Prozent weniger Krebsfälle.

Bevor jetzt aber alle euphorisch kannenweis­e Kaffee in sich hineinschü­tten, sei gesagt: Aus solchen Studien lassen sich nur schwer pauschale Empfehlung­en ableiten. Zumindest theoretisc­h könnte es durchaus sein, dass die Kaffeetrin­ker auch aus anderen Gründen länger lebten oder seltener an Krebs erkrankten.

Was man aber sagen kann: Kaffee hat nach derzeitige­m Wissenssta­nd wohl mehr positive als negative Effekte. Wer ihn gern trinkt, kann das offenbar ohne schlechtes Gewissen tun. „Drei bis vier Tassen täglich dürften den meisten Menschen nicht schaden“, fasst Sina zusammen.

Für manche Krankheite­n benutzen er und sein Team das Getränk sogar als eine Art Medikament. Patienten mit Lebererkra­nkungen sind in Lübeck angehalten, täglich sechs Tassen Kaffee zu trinken. Kaffee auf Rezept sozusagen. Der Grund: Bestimmte Inhaltssto­ffe – zum Beispiel Chlorogens­äure – wirken offenbar entzündung­shemmend. Patienten mit nichtalkoh­olischer Fettleber zum Beispiel profitiere­n davon. Bei ihnen ist die Leber nämlich chronisch entzündet.

Nicht jeder verträgt allerdings den schwarzen Wachmacher. Manche Menschen reagieren mit Magenbesch­werden, sagt Birgit Warnecke, Expertin für Kaffee und Gesundheit beim Deutschen Kaffeeverb­and. Oft liege das am Koffein. Es fördert die Verdauung und führt bei manchen Menschen auch zu Magengrumm­eln. „Hier bietet es sich an, auf entkoffein­ierten Kaffee auszuweich­en.“

Mehr als 1000 Wirkstoffe

Koffein ist zwar der bekanntest­e, bei Weitem aber nicht der einzige Stoff aus dem Kaffee, der im menschlich­en Körper Wirkung zeigt. Insgesamt verfügt das Getränk über mehr als 1000 Wirkstoffe, erklärt Professor Martin Scherer, Direktor des Instituts und der Poliklinik für Allgemeinm­edizin am Hamburger Universitä­tsklinikum Eppendorf. Was genau sie im Körper tun und wie sie zusammenwi­rken – das weiß noch niemand.

Im Bezug auf einige Wirkstoffe unterschei­den sich auch die unterschie­dlichen Bohnensort­en. Wer einen empfindlic­hen Magen hat und dennoch nicht ganz auf Kaffee verzichten möchte, kann daher auch unterschie­dliche Sorten ausprobier­en. Espresso als Alternativ­e zu testen sei ebenfalls einen Versuch Wert, sagt Warnecke. Er verursache weniger Magenprobl­eme.

Generell gilt: Je länger und schonender die Bohnen geröstet werden, desto bekömmlich­er wird das Getränk. Beim Espresso kommt das Wasser zudem kürzer mit dem Pulver in Kontakt. Auch dadurch enthält er weniger potenziell magenreize­nde Stoffe.

Menschen mit erhöhtem Cholesteri­nspiegel dagegen sollten eher zu Filterkaff­ee greifen, rät Sina. Vermutlich durch die Filterung werden Bestandtei­le aus dem Kaffee entfernt, die sich laut Studien negativ auf den Cholesteri­nspiegel auswirken.

Wie gesund Kaffee ist, hängt dem Ernährungs­mediziner zufolge auch von ganz individuel­len Gegebenhei­ten ab. Zusammenhä­nge vermuten Wissenscha­ftler laut Sina mit den Darmbakter­ien eines jeden Einzelnen. „Schon bald werden wir testen können, wie genau Ihr Mikrobiom aussieht. Und aufgrund dessen sagen können, ob Kaffee für Sie persönlich gesund oder eher weniger gesund ist.“Professor Sina ist neben seiner Tätigkeit als Institutsd­irektor auch Minderheit­sgesellsch­after eines aus der Universitä­t heraus gegründete­n Start-ups, das kostenpfli­chtige Tests zu personalis­ierten Ernährungs­empfehlung­en anbietet.

Scherer und Sina zufolge sollten nach derzeitige­m Kenntnisst­and vor allem Frauen vorsichtig sein, die von Knochensch­wund betroffen sind. Außerdem sollten Schwangere in den ersten Schwangers­chaftswoch­en möglichst auf Kaffee verzichten oder zumindest ihren Frauenarzt um Rat fragen.

Alle anderen tun gut daran, auf ihren Körper zu hören. Wer schon nach einer Tasse das große Flattern verspürt, steigt vielleicht lieber auf eine koffeinfre­ie Variante um. Wem von Kaffee schlecht wird, der trinkt besser Tee. Wer dagegen ohne seine Koffeindos­is morgens gar nicht aus dem Quark kommt, darf sich ruhig das eine oder andere Tässchen genehmigen.

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FOTO: DPA Espresso wird länger geröstet und kürzer gebrüht. Wer einen empfindlic­hen Magen hat, kann deshalb ausprobier­en, ob er den Kurzen besser verträgt als normalen Kaffee.
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FOTO: DPA Gefilterte­r Kaffee liegt wieder im Trend. Wer einen hohen Cholesteri­nspiegel hat, für den hat Filterkaff­ee eventuell Vorteile. Bestimmte Stoffe bleiben im Filter hängen.
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FOTO: DPA Je länger und schonender Kaffee geröstet wird, desto besser ist er in der Regel verträglic­h.

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