Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Sämann gesucht
„Behüt’ dich Gott, es wär’ zu schön gewesen, behüt’ dich Gott, es hat nicht sollen sein.“Man möge einem Badener nachsehen, dass ihm am Mittwoch nach dem Scheitern eines Badeners ausgerechnet diese berühmten Zeilen eines Badeners in den Sinn kamen. Im Reimepos „Der Trompeter von Säckingen“des Karlsruhers Viktor von Scheffel – einem Bestseller des 19. Jahrhunderts – geht es zwar um das Ende einer Liebschaft. Aber bemerkenswert ist diese gefasste, abgeklärte, fast schon gelassene Haltung, die aus den traurigen Abschiedsversen spricht – „es hat nicht sollen sein“. Wie wahr! Dem Schwarzwälder Joachim Löw wird das kein Trost sein. Aber wünschen wir ihm und seinen Mannen ein wenig von dieser Gelassenheit. Sie werden sie brauchen angesichts der Schmähflut, die ihnen nun entgegenschwappt.
Selten feiert die zu einem Gutteil ja auch verständliche Schadenfreude so fröhliche Urständ wie jetzt in den Stellungnahmen nach dem Scheitern der Deutschen bei der WM in Russland – weltweit, aber vor allem in der Heimat, und hier besonders exzessiv. Wie an dieser Stelle die Regel, wollen wir uns dem hohntriefenden Wortschwall aus sprachlicher Sicht nähern. Blamage ist noch das Mindeste, was den Verlierern um die Ohren fliegt. Das klingt noch relativ harmlos, wobei es sich ursprünglich um ein recht starkes Wort handelt. So französisch es auch daherkommt, es ist ein Scheingallizismus. Das Substantiv blamage gibt es im Französischen gar nicht, nur das Verb blâmer. Dieses geht auf das lateinische
blasphemare im Sinn von lästern, schmähen zurück, das wiederum auf dem griechischen blasphemia beruht. Und die Blasphemie kennen wir ja vor allem als Gotteslästerung.
Nun haben unsere Spieler keine Götter beleidigt, aber anscheinend große Teile der Nation. Besonders erschreckend ist es, wieder einmal das
enorme Enthemmungspotenzial zu erleben, das die Anonymität im Internet mit sich bringt. Mit Schaum vor dem Mund weiden sich unzählige selbsternannte Kritiker am Schmerz der gebeutelten Kicker.
Weiden ist dabei ein interessantes Stichwort. Es hat mit dem Weidwerk zu tun, also mit der Jagd, mit weidwund, ausweiden, mit dem Wühlen in den Eingeweiden. Dazu passen auch die Kommentare, wonach die Deutschen abgeschossen wurden, geschlachtet und abgefieselt. Was daran so befreiend ist, wenn man sich in der Häme suhlt, mögen die Psychologen erklären.
Ein Neuanfang müsse her, heißt es nun allüberall. In der Tat. Den abgenutzten Hermann-Hesse-Spruch, wonach jedem Anfang ein Zauber innewohne, wollen wir hier jetzt nicht bemühen. Von Zauber derzeit keine Spur. Halten wir es zur Abwechslung mit Seneca: „Auch nach einer schlechten Ernte muss man säen,“meinte einst der römische Philosoph. Fragt sich jetzt nur, wie der Sämann heißen wird.