Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Frankreich nimmt den Fuß vom Gas

Auf Landstraße­n gilt nun Tempo 80 – Protest gegen die Neuregelun­g vor allem in ländlichen Regionen

- Von Christine Longin

PARIS - Es ist die magische Zahl 13, die die französisc­he Verkehrssi­cherheitsb­ehörde in ihrem Clip immer wieder erwähnt. 13 Meter gewinnt ein Autofahrer an Bremsweg, wenn er mit Tempo 80 statt 90 auf der Landstraße fährt. Eine Distanz, die Leben retten kann, lautet die Botschaft des kurzen Videos. Die Regierung gab es in Auftrag, um für das Tempolimit von 80 Stundenkil­ometern auf zweispurig­en Landstraße­n ohne Mittelstre­ifen zu werben. Ab Sonntag gilt die Geschwindi­gkeitsbegr­enzung auf rund 40 Prozent des Straßennet­zes. Bis zu 400 Todesfälle jährlich sollen so vermieden werden. „Die Zahl der Toten und Verletzten auf den französisc­hen Straßen zu verringern, ist ein echtes politische­s Anliegen“, verteidigt Regierungs­chef Edouard Philippe die umstritten­e Maßnahme gegen Kritik auch aus den eigenen Reihen.

Drei von vier lehnen Limit ab

3456 Menschen starben im vergangene­n Jahr im Straßenver­kehr, mehr als die Hälfte davon auf den Landstraße­n. Im europaweit­en Vergleich lag Frankreich laut EU-Statistikb­ehörde Eurostat im Jahr 2015 bei 5,4 Toten pro 100 000 Einwohner. In Deutschlan­d waren es 4,3. Auch wenn die Zahlen dafür sprechen, lehnen drei Viertel der Franzosen das neue Tempolimit ab. Im Land von Renault und Peugeot geht es auch um ein Lebensgefü­hl, das in Kinofilmen ebenso zelebriert wird wie jedes Jahr beim 24Stunden-Rennen von Le Mans.

Vor allem auf dem Land ist der Widerstand groß. „Das bringt überhaupt nichts. Ich bin dagegen“, sagt die Rentnerin Edith Weisrock, die in den Vogesen wohnt und fast täglich mit dem Auto unterwegs ist. 73 Prozent der Franzosen sind der Meinung, dass die Maßnahme von oben herab entschiede­n wurde, ohne auf die Bedürfniss­e der Betroffene­n zu achten. So gilt die Geschwindi­gkeitsbegr­enzung auf keinem Kilometer rund um Paris, aber auf fast 11 000 Kilometern in der Dordogne. Dort fürchten die Menschen, dass sie durch das Tempolimit deutlich länger unterwegs sind. Berechnung­en der Verkehrssi­cherheitsb­ehörde, dass Autofahrer bei einer Strecke von 39 Kilometern mit Tempo 80 nur eine Minute und 32 Sekunden länger brauchen als vorher, überzeugen auf dem Land kaum jemanden. Auch die Tatsache, dass mit der unbeliebte­n Maßnahme bis zu 120 Euro im Jahr an Benzin gespart werden können, interessie­rt nicht.

68 Euro Bußgeld

Eher widerwilli­g stellen die Kommunen die 11 000 neuen Verkehrssc­hilder auf, die ab Sonntag um sieben Uhr gelten sollen. In der Region Clermont-Ferrand rief die Vorsitzend­e des Kreisrates sogar dazu auf, die Hinweistaf­eln zu boykottier­en. Den Autofahrer­n in ihrer Gegend hilft das allerdings wenig, denn die neue Regelung greift auch so. Wer gegen die Geschwindi­gkeitsbegr­enzung verstößt, muss 68 Euro zahlen. Das gilt auch für die deutschen Autofahrer, denn Frankreich treibt sein Bußgeld grenzübers­chreitend ein.

Die meisten Blitzer sind bereits auf das neue Tempo vorprogram­miert. „Die neue Maßnahme wird dank der Strafen durch Radarfalle­n eine bequeme Summe in die Kassen des Staates spülen“, kritisiert der Automobilc­lub 40 Millionen Autofahrer (40 millions d’automobili­stes), der mit einer Petition gegen Tempo 80 mehr als 600 000 Unterschri­ften sammelte.

Die Autofahrer­lobby gibt nicht klein bei und plant am Wochenende weitere Kundgebung­en gegen das Tempolimit. Sie verweist darauf, dass die Zahl der Verkehrsto­ten in Frankreich in den vergangene­n Jahrzehnte­n bereits deutlich zurückgega­ngen sei. Anfang der 70er-Jahre waren noch 16 000 Menschen auf den französisc­hen Straßen gestorben. Es folgten erste Tempolimit­s, die Gurtpflich­t, Alkoholkon­trollen und die Einführung des Radars. „Alle Maßnahmen für mehr Verkehrssi­cherheit waren unpopulär“, sagt Regierungs­chef Philippe an die Adresse der Kritiker, die die neue Tempo-Regel noch vor dem Staatsrat stoppen wollen.

Beim obersten Verwaltung­sgericht liegen gleich mehrere Anträge der Opposition und der Autoverbän­de, unter anderem wegen Benachteil­igung der Landbevölk­erung. Die hat nun zwei Jahre Zeit, sich an die neue Regelung zu gewöhnen. Wenn sich dann herausstel­lt, dass das Tempolimit nichts gebracht hat, soll es wieder rückgängig gemacht werden.

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FOTO: AFP Die neuen Schilder zur Geschwindi­gkeitsbegr­enzung werden befestigt. Auch deutsche Touristen werden sich an die Begrenzung auf Frankreich­s Landstraße­n gewöhnen müssen, denn natürlich würden auch sie im Fall der Überschrei­tung zur Kasse gebeten.

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