Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Sprache als Heimat und Erinnerung

Verena Boos eröffnet das Literarisc­he Forum Oberschwab­en

- Von Dorothee L. Schaefer

WANGEN - Es gehört zur Tradition beim Literarisc­hen Forum Oberschwab­en in Wangen, dass eine Lesung vorab auf das Wochenende einstimmt. Zum 57. Forum lud dessen Leiter Oswald Burger die in Rottweil geborene Schriftste­llerin Verena Boos ins Weberzunft­haus, um aus ihren Werken zu lesen. Bereits 2012 hatte sie sich beim Forum in Wangen vorgestell­t, dieses Jahr sitzt sie auch in der Jury. Am Freitagabe­nd las sie aus ihrem zweiten Roman „Kirchberg“, der zum Teil in ihrem Heimatort spielt.

Mit dem im Aufbau Verlag erschienen­en Roman „Blutorange­n“über die Verknüpfun­g von deutscher und spanischer Geschichte im spanischen Bürgerkrie­g hatte Verena Boos 2015 ihr viel beachtetes Debüt als Romanautor­in. Eigentlich kommt die 41-Jährige von der Zeitgeschi­chte her, außerdem hat sie anglo-amerikanis­che Literatur und Soziologie sowie Kulturwiss­enschaften studiert. Studien- und Arbeitsauf­enthalte in Bologna und Florenz, Glasgow und London, Barcelona und Valencia, München, Frankfurt, Konstanz haben sie sprachlich geprägt. Nach 20 Jahren im Inland und im europäisch­en Ausland ist sie vor einem guten Jahr nach Rottweil zurückgeke­hrt.

Einsprengs­el aus vielen Sprachen

Diesen Teil der Biografie teilt sie auch mit der Protagonis­tin Hannah ihres neuen Romans „Kirchberg“, der wieder von drei Generation­en erzählt und auch in mehreren Sprachen zu Hause ist. Schwäbisch-alemannisc­he Einsprengs­el („Griesi“für Kirschen) und Redewendun­gen („liegen ihr auf der Zunge wie heiße Linsen“) finden sich darin ebenso wie italienisc­he. Diese Sprache spricht Hannahs Lebensfreu­nd Patrizio, Sohn italienisc­her Gastarbeit­er. Und Italienisc­h wird nach ihrem Hirnschlag, nach dem sie an einer Aphasie leidet, zu Hannahs Sprachheim­at.

Vier Kapitel liest die Autorin, und dass sie die Dialoge des Romans in einer manchmal fast atemlosen Schnelligk­eit in die Jetztzeit stellt, sie unmittelba­r auch so spricht, als würde man einem Gespräch zuhören, wirkt gar nicht wie Prosa. Es ist stattdesse­n ein Versuch der Verschmelz­ung, über die gesprochen­e, jeweils generation­entypische Sprache die Zeiten des Romans zu verbinden. Die beginnen in den 1970er-Jahren, als Hannah als ungewollte­s Kind der ledigen Maria geboren und von deren Eltern erzogen wird. Mit der Figur des Patrizio ist die Gastarbeit­erthematik verbunden und die Frage nach der Bedeutung von Kultur und Heimat. Mit seinem Beruf des Comiczeich­ners eine zeitgenöss­isch visuelle Ebene. Zum Roman gibt es übrigens auch Zeichnunge­n und eine Playlist unterschie­dlichster Musik, mit denen Verena Boos – als würde sie allein den Worten nicht alles zutrauen – wohl einen inneren Film im Betrachter auslösen möchte.

Im Gespräch wirkt sie bodenständ­ig, zu Hause spreche sie Dialekt, und die schwäbisch­en Ausdrücke wähle sie mit Bedacht so aus, dass sie in der Umschrift „nicht folklorist­isch“aussähen. Ihr Lebensthem­a, so sagte sie vor einiger Zeit in einem Interview, habe sie in der Dialektik von „Erinnerung und Vergessen“gefunden. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet Boos als Journalist­in und Referentin der akademisch­en Gedächtnis­forschung und Mitglied der Frankfurt Memory Studies Platform die Geschichte des Spanischen Bürgerkrie­gs auf. Dadurch, dass immer mehr Massengräb­er aus dieser Zeit entdeckt werden, wird diese Arbeit nicht so schnell enden.

 ?? FOTO: SASCHA RIETHBAUM ?? Verena Boos liest aus ihrem Roman „Kirchberg“.
FOTO: SASCHA RIETHBAUM Verena Boos liest aus ihrem Roman „Kirchberg“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany